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19.10.2005

Weniger Parteienmacht und Mehrheitswahlrecht

Ein Interview mit dem Parteienkritiker Hans-Herbert von Arnim

Wenn es nach Hans-Herbert von Arnim geht, ist Deutschland seit Jahrzehnten die Beute der politischen Parteien geworden, der Bürger und seine Interessen zählen nicht mehr. Nach der Bundestagswahl zieht der Speyerer Verwaltungswissenschaftler und Parteienkritiker Bilanz.

Herr Professor von Arnim, sind sie mit dem Ausgang der Wahl zufrieden?

Nein, ganz und gar nicht. Weder das eine noch das andere Lager hat gewonnen, weil die Linkspartei so viele Stimmen auf sich ziehen konnte und jetzt den "Notnagel" Große Koalition nötig gemacht hat. Diese wird sich, so ist zu befürchten, nur auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner bewegen.


Hätte Paul Kirchhof etwas ändern können?


Oh ja! Es hätte eine Aufbruchstimmung erzeugt, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch geistig. Ich halte nach wie vor viel von seinem Konzept.


Sie halten das Konzept also nicht für unsozial?

Ganz und gar nicht! Es steht für mehr Wahrheit und Klarheit, denn die Steuervergünstigungen sind das eigentlich Unsoziale. Diese werden allerdings vehement verteidigt. Sich da ranzutrauen, bedeutet, sich mit etlichen Interessensgruppen gleichzeitig anzulegen, die ihre Privilegien verteidigen wollen und mit Parteien, die sich das zunutze machen.


War die Nominierung Kirchhofs ins CDU-Kompetenzteam also doch ein Fehler?

Nein, aber vielleicht wäre es strategisch günstiger gewesen, man hätte ihn erst eine Woche vor der Wahl präsentiert. Grundsätzlich ist seine Nominierung aber eine gute Idee gewesen.


Die letzte Große Koalition 1966-69 hat große Reformen umsetzen können. Trauen sie der Großen Koalition 2005 ähnliches zu?

Nein, denn durch den Druck der neuen Linken auf die SPD wird sie es kaum wagen, die notwenigen Grausamkeiten durchführen, um nicht noch mehr Stimmen an die Linkspartei zu verlieren. Daher plädiere ich schon lange für die Einführung eines Mehrheitswahlrecht nach englischem Muster. Die dann gewählten Ein-Parteien-Regierungen könnten mit stabilen Mehrheiten nötige Reformen besser angehen.


In anderen europäischen Ländern haben Koalitions- und sogar Minderheitsregierungen durchgreifende Reformen umgesetzt. Ist vielleicht die politische Kultur der deutschen Parteien das eigentliche Problem?

In kleineren Ländern wie Schweden, Niederlande und Dänemark es ist leichter, Konsens zu erreichen. Etwas, was hierzulande bisher nur rhetorisch der Fall war. In Deutschland ist es offenbar schwieriger. Daher brauchen wir diese stabile Mehrheiten. Gleichzeitig müsste es eine Föderalismusreform geben, die ein Blockadeinstrument Bundesrat ausschließt.


Sie fordern auch mehr Macht für den Bürger durch Volksentscheide und Bürgerbegehren.

In den letzten 20 Jahren haben alle Bundesländer dieses Instrument auf kommunaler und Landesebene eingeführt. Dadurch können die Bürger an den herrschenden Parteien vorbei Gesetze fordern und durchsetzten. Zur Zeit herrscht eine lähmende Politikverdrossenheit. Mehr plebiszitäre Elemente könnten zu einer politischen Aufbruchstimmung bei den Bürgern führen - nur gut wäre.


Also Volksabstimmungen auch auf Bundesebene?

Ja, das würde ich gerne sehen. Allerdings ist das von der Verfassung her bisher nicht möglich. Die rot-grüne Regierung hatte zwar versucht dies zu ändern, aber leider verhinderten CDU und FDP die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit zur Grundgesetzänderung.


Die Franzosen lehnten per Volksentscheid die EU-Verfassung ab, um der aktuellen Regierung einen Denkzettel zu verpassen. Ist der Bürgerwille nicht auch gefährlich?

Nein, denn in Frankreich wie auch den Niederlanden wurde die Verfassung abgelehnt, weil die Bürger daran inhaltlich nicht mitbestimmen konnten. Nach der Ablehnung hat die EU den "Plan D" wie Demokratie ins Leben gerufen, dessen Ziel es ist, die EU-Verfassung bürgernäher zu gestalten und Gesetze auf ihre Notwendigkeit hin zu überprüfen. Die Ablehnung hat also einen sinnvollen Nachdenkprozess ausgelöst.


Sie beklagen einen mangelnden Gemeinsinn der Berufspolitiker. Sie seien nicht mehr am Gemeinwohl interessiert, sondern auf die eigene Karriere fixiert.

Bei denen, die von der Politik leben, stößt der Gemeinsinn in der Praxis schnell auf Grenzen. Diese müssen erst mal eine jahrelange "Ochsentour" durch die politischen Parteien absolvieren. Bis sie einen vollbezahlten Posten erreichen, lernen sie ihr eigenes Fortkommen ganz voran zu stellen.


Sind die "Lehrjahre" einer Ochsentour nicht auch positiv? Lernen da eventuell nicht sogar Ego-Politiker gemeinsam tragbare Kompromisse zu finden?

Sie lernen in der Regel sich durchzusetzen, Bataillone hinter sich zu versammeln und, wie Richard von Weizsäcker es formulierte, "den politischen Gegner zu bekämpfen". Das Interesse des Bürgers spielt bei den parteiinternen Wahlen um den nächsthöheren Posten keine Rolle mehr. Sie verinnerlichen den Blick durch die Parteibrille. Das interne Weiterkommen hängt nur von innerparteilichen Abstimmungen ab. Inhaltliche Vorstellungen spielen meist keine Rolle mehr.


Die Spendenpraxis der Parteien ist ein Dauerbrenner. Was sollte sich da ihrer Meinung nach ändern?

Spenden von Körperschaften sollten ganz verboten, die von Einzelpersonen bei einem bestimmten Betrag gedeckelt werden. Kleinspenden und Mitgliedsbeiträge sind völlig in Ordnung.


Mit der staatlichen Parteienfinanzierung haben sie auch ihre Probleme.

Ja, aber ich meine damit nicht, dass die Unterstützung etwa auf null heruntergefahren werden soll. Sie ist nur zu hoch. Bis das Verfassungsgericht den Höchstbetrag auf 133 Millionen Euro gedeckelt hat, stieg die Unterstützung immer weiter an. Allerdings nutzt das auch nicht viel, weil die Parteien sich das Geld jetzt über die jeweiligen Parlamentsfraktionen und Stiftungen holen.


Sie beklagen, dass die Ämterpatronage mittlerweile alle öffentlichen Einrichtungen und Bereiche erfasst hat. Wo haben die Parteien nichts zu suchen und wie kann man sie wieder zurückdrängen?

In den Rechnungshöfen, den öffentlich-rechtlichen Medien, Unternehmen und dem öffentlichen Dienst generell werden die Posten häufig nach Parteibuch und Parteienproporz besetzt. Das ist ein Krebsübel und verstößt gegen Beamtenrecht und Verfassung. Das Verfassungsgericht könnte dem Einhalt gebieten, nur herrscht dort dieselbe Proporz-Praxis. Das zu ändern wird verständlicherweise schwierig sein.


Verzweifeln sie am politischen System?

Nein, ich habe noch Hoffnung, dass sich was ändert. Ich hoffe dass durch eine langsam einsetzende "legale Revolution", bei der die Bürger zumindest in den Bundesländern durch Volksbegehren ihren Einfluss und Interessen an Regierungen und Parteien vorbei durchsetzen. Solche Erfolge könnten dann hoffentlich auch auf den Bund überschwappen, damit es nicht noch schlimmer wird.



Mit Hans-Herbert von Arnim sprach Reinhard Lask. Das Gespräch wurde am 19. Oktober 2005 telefonisch geführt.

   

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