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11.12.2006
Empfindliche Nase für Langeweile Der deutsch-syrische Schriftsteller Rafik Schami schlägt mit seinen Märchen Brücken zwischen der europäischen und orientalischen Kultur
Rafik Schami wurde 1946 in der syrischen Hauptstadt Damaskus geboren. Seine Eltern gehörten der dortigen christlichen Minderheit an. 1965 gründete er in Damaskus die Wandzeitung „Al-Muntalek“ (Ausgangspunkt), die 1970 verboten wurde. 1971 flüchtete er nach Deutschland, kam nach Heidelberg und promovierte in Chemie. Schami, alias Suheil Fadel, besitzt sowohl die deutsche als auch die syrische Staatsbürgerschaft und lebt momentan zusammen mit seiner Frau und seinem Sohn in der Pfalz. In seinen Werken befasst er sich sowohl mit der arabischen Welt als auch dem Leben in Deutschland aus der Perspektive eines Fremden. Sein Anliegen ist es dabei, zu einer Vermittlung zwischen beiden Kulturen beizutragen. Mit seinen Büchern, die vom Kinder- und Jugendbuch bis zum gesellschaftskritischen Roman reichen, richtet er sich an eine Leserschaft jeden Alters. Eines seiner bekanntesten Werke „Die dunkle Seite der Liebe“ erschien 2004.
ruprecht: Sie sind promovierter Chemiker. Warum haben Sie sich dennoch für die Schriftstellerei entschieden? Rafik Schami: Ich hatte und habe immer zwei Seelen in mir: die naturwissenschaftliche und die literarische Seele. Außerdem bin ich sehr neugierig und deshalb wollte und will ich die Natur und ihre Wunder verstehen. Zusätzlich fühle ich ein Bedürfnis, andere mit Worten zu verzaubern. Ich habe immer schon parallel zum Chemie-Studium, und sogar im Chemielabor, Geschichten aufgeschrieben. Kerne für Märchen, Satiren und Romane, die mir eingefallen waren. Irgendwann wurde beides auf einmal zu viel und ich entschied mich für die Literatur. Wären die Umstände anders gewesen, etwa wenn ich nach Damaskus hätte zurückkehren dürfen, wäre die Entscheidung anders ausgefallen. Ich wollte in erster Linie Lehrer sein und erst in zweiter Linie Schriftsteller werden. Aber das Leben entschied sich anders für mich; und ich bin sehr glücklich darüber. Ihre Geschichten machen süchtig. Haben Sie ein „Geheimrezept“? Geheimrezepte verrät man nie, sonst verdienten sie ihren Namen nicht. Mein Rezept ist ganz einfach zu erklären, aber schwer zu praktizieren. Ich schreibe meine Geschichte auf und dann lese ich sie und nehme alles Langweilige heraus. Ich habe eine empfindliche Nase für Langeweile. Entstammen die Figuren Ihrer Bücher der Realität? Sie stammen alle aus meiner Umgebung, aber sie sind nie Kopien, sondern in der Regel Verschmelzung von mehreren Personen, die eine literarische Figur ergeben. Würden Sie sich als Perfektionisten bezeichnen? Nein, aber ich kann ungefähre Dinge nicht ausstehen. Entweder perfekt oder lieber gar nicht. Das hat mit meiner Ausbildung als Chemiker zu tun. Es gibt dort wenig Platz für das Wort „ungefähr“. Auch die Arbeit im Untergrund in Syrien lehrte mich, pünktlich zu sein – nicht erst das Leben in Deutschland. Literatur ist der höchste Anspruch an Sprache und Geist, also muss man sie genauso behandeln – und pünktlich seine Texte liefern. Sie beschreiben Damaskus mit einer Liebe und Hingabe, dass man die Stadt förmlich spüren kann. Als Leser hat man das Gefühl, diese Stadt zu kennen, ohne jemals dort gewesen zu sein. Vermissen Sie ihre Heimat? Eine Heimat vermisse ich nicht, nur ein bestimmtes Viertel von Damaskus. Dieses dafür aber täglich. Haben Sie noch viel Kontakt zu Damaskus? Ja, täglich; und das ist durch die Gnade der neuen Kommunikationsmittel möglich. Mich kostet die Telefonminute nach Damaskus heute etwa 15 Cent. Vor ein paar Jahren hat sie noch 17,50 DM – heute wären das acht Euro – gekostet. Wenn Sie, wie ich, eine Stunde nach Damaskus telefonieren, dann ist das schon ein Unterschied. Außerdem lese ich täglich die wichtigsten arabischen Zeitungen im Internet. E-Mails können nicht genau kontrolliert werden. Können Sie sich an den Moment erinnern, als Sie beschlossen, Syrien endgültig zu verlassen? Ein Exilant vergisst nie den Augenblick, als er einsah, dass es keinen anderen Weg gibt, als den, das Land zu verlassen. Man beschließt das nicht, sondern die Umstände diktieren das einem. Wie hat sich dieser Moment angefühlt? Was ging in Ihnen vor? Es war eine tiefe Trauer, weil ich meine Mutter sehr geliebt habe und bis heute liebe. Ich wusste, dass ich sie bald nicht mehr sehen werde, und außerdem wollte ich Damaskus auch nie verlassen. Ich hatte Angst davor, zu scheitern – und vor allem, dass der Versuch, das Land zu verlassen, scheitern könnte. Erst als ich auf dem Weg nach Beirut die syrische Grenze passiert hatte, habe ich vor Erleichterung laut geschrien und damit meine Nachbarn im Sammeltaxi sehr erschreckt. Sie arbeiten seit langem an einer israelisch-palästinensischen Freundschaft. Welchen Hintergrund hat dieser Einsatz? Meine berechtigte Angst, dass im Konflikt dieser zwei Völker ein ungeheures Zerstörungspotential für die Erde steckt, aber auch wunderbare Möglichkeiten des friedlichen Zusammenlebens. Durch Ihre Geschichten versuchen Sie eine Brücke zwischen der orientalischen und der europäischen Welt zu schaffen. Könnte es dem europäischen Leser dadurch möglich sein, die orientalische Welt etwas besser zu verstehen? Brücken verbinden beide Seiten. Natürlich sind meine Geschichten und Essays, die Damaskus, Syrien oder die arabische Kultur behandeln, auf Deutsch erscheinen und danach in mehrere Sprachen übersetzt werden, eine Möglichkeit für die Europäer und Europäerinnen, den Orient zu verstehen. Wie sehen die Reaktionen auf Ihr Bemühen aus? Die Reaktionen meiner Leser und der Literaturexperten sind sehr positiv. Von einer kleinen Gruppe selbst ernannter Experten allerdings sehr negativ, weil ich ihnen nicht erlaube, dummes Zeug über meine Kultur zu verbreiten. Sie können meine Kritiken gegen diese Meute im Buch „Damaskus im Herzen“ nachlesen, wenn Sie möchten. Rafik Schami ist ein Pseudonym. Welche Geschichte steckt hinter diesem Namen? Eine ganz kleine: Sicherheit im Untergrund. Zur Tarnung, und um meine Familie im Falle einer Verhaftung nicht in Schwierigkeiten zu bringen. Mein Glück war, dass der Name auf Deutsch leicht auszusprechen ist. Obwohl Sie seit über 35 Jahren hier in Deutschland leben, die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, Bücher in deutscher Sprache verfassen und in Heidelberg promovierten, bezeichnen Sie sich trotzdem nicht als Deutschen, sondern als Syrer im Exil. Warum? Mir fehlt die Kindheit und Jugend in Deutschland. Mein Sohn ist ein deutscher Junge, ein Pfälzer Bub. Ich bin deutscher Staatsbürger und bin es gerne, aber man soll nicht heucheln und mehr scheinen, als man ist. Welche Gefühle und Erinnerungen verbinden Sie am intensivsten mit Heidelberg? Die Freundlichkeit der Stadt, die Gelassenheit des Lebens als Ausländer unter vielen Ausländern und weltoffenen Deutschen, Luxemburgern, Griechen, Spaniern und Lateinamerikanern. Manche Freundschaften sind heute nach über 30 Jahren noch intensiv. Mit Heidelberg verbinde ich auch die Erfahrung mit dem Dritte-Welt-Laden, der heute besser Weltladen genannt und von wunderbaren jungen Menschen weiter in die vierte und fünfte Generation getragen wird. Und von vielen Liebesabenteuern. Was will man mehr von einer Stadt? Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, was würden Sie sich am meisten wünschen? Dass bald Frieden, Demokratie und Freiheit im Orient herrschen. Wie Sie sehen, gar nicht so bescheiden. Herr Schami, wir danken Ihnen für dieses Gespräch. |