11.12.2007
„Mein größter Feind bin ich!”
Robert J. Sternberg spricht über Erfolg, Hass und Liebe
Robert J. Sternberg, Dekan der School of Arts and Sciences an der Tufts University in Boston, zählt weltweit zu den bekanntesten und meist zitierten Forschern auf dem Gebiet der Psychologie. Am 21. November trat er in der Alten Aula seine Honorarprofessur an der Universität Heidelberg an. Mit dem ruprecht sprach Sternberg über seine Forschungsschwerpunkte: Intelligenz, Liebe und Hass.
ruprecht: Herr Sternberg, was ist das Geheimnis erfolgreicher Menschen?
Robert Sternberg: Erfolgreiche Menschen wissen, was sie wollen, sie haben Ziele. Erfolgreiche Menschen entscheiden selbstständig, was sie machen wollen. Diese Ziele dürfen aber nicht unerreichbar sein – sodass man sich zwar herausfordert, jedoch nicht soweit, dass man Gefahr läuft zu scheitern. Und dann finden erfolgreiche Menschen heraus, worin ihre Stärken und wo ihre Schwächen liegen.
Aus den Dingen, in denen sie gut sind, machen sie das Beste und die Dinge, in denen sie schlecht sind, kompensieren oder korrigieren sie. Sie fragen sich: „Was kann ich gut?“ und machen das zu einem großen Bestandteil ihres Erfolges. Mir fiel das besonders in unserer Zusammenarbeit bei meiner Erforschung von Blitzkarrieren auf: Im Team kann ich das tun, worin ich gut bin und andere machen die Dinge, worin ich nicht gut bin. Wenn ich etwas nicht kann, dann gibt es andere, die das können.
Kann man Erfolgsintelligenz lernen?
Ja, ich denke Intelligenz ist erlern- und modifizierbar. Sicher gibt es auch einen angeboren Bestandteil von Intelligenz, aber Modifizierbarkeit ist eine völlig andere Frage. Einen Teil der Intelligenz macht der kreative Part aus. Kreativität ist eine innere Einstellung. Kreativ-intelligente Menschen sind bereit, Risiken einzugehen, sie überwinden Hindernisse, sie akzeptieren Mehrdeutigkeiten.
Praktische Intelligenz ist ebenfalls erlernt: Gemeinschaftssinn wird durch die eigene Umgebung geprägt. Das kann von Gesellschaft zu Gesellschaft unterschiedlich sein, aber man wird nicht geboren mit dem Wissen, wie man in gesellschaftlichen Situationen angemessen reagiert. Man lernt es. Das ist auch der Grund, warum Sie als Student nach Heidelberg kommen: Weil Sie glauben, dass die Atmosphäre hier Ihnen hilft, sich intellektuell weiterzuentwickeln.
Kann also jeder intelligent sein?
Ich würde sagen: So ziemlich jeder. Die Haupthürde, die sich den Menschen stellt, ist, dass sie sich selbst einreden, sie könnten keinen Erfolg haben. In meinem Leben habe ich wiederholte Male festgestellt: Wenn man aufgibt, dann scheitert man. Ich habe zum Beispiel einmal einen Artikel geschrieben und ihn an eine Zeitung geschickt und ich bekam fürchterliche Bewertungen, wirklich grauenhafte. Das war so entmutigend, dass ich die Arbeit in die Ecke schmiss und irgendwann vergaß. Dann einige Jahre später fand ich zufällig den Artikel wieder und ich las ihn mir durch und dachte: „Der ist wirklich gut! Ich könnte ihn einfach an eine andere Zeitung schicken, was soll’s.“ Und eine angesehene Zeitung hat ihn dann veröffentlicht. Und so ist das Leben: Dein Hauptfeind ist nicht irgendein Anderer, das bist du.
Oder wenn man an jemandem als einem Beziehungspartner interessiert ist: Viele Leute versuchen es nicht einmal, weil sie denken: „Der würde sich nie für mich interessieren, ich bin zu hässlich, zu dumm“ oder sonst was. Das kann stimmen – aber man weiß es nicht, wenn man es nicht probiert und zwar wirklich ernsthaft probiert.
Ein weiteres Ihrer Forschungsgebiete ist die Liebe. In Ihrem Buch „Love as a story“ behaupten Sie, jeder von uns folge in der Liebe einem gewissen Konzept. Sie stellen verschiedene Arten von Liebesbeziehungen vor, anhand derer der Leser sich wiedererkennen und einordnen soll – um dann selbst eine glückliche Beziehung zu führen. Kann man also sagen, Sie halten Liebe für berechenbar?
Ich denke, sie ist kann gemessen werden, ja. Das ist es ja, worum es in der Psychologie geht: Versuchen verschiedene Aspekte einer Person zu verstehen und zu messen. Und das, was wir erforscht haben ist, dass Menschen glücklicher in Beziehungen sind, wo die Profile der Geschichten übereinstimmen. Wenn Sie zum Beispiel nach einem Märchenprinzen suchen und auf jemanden treffen, der nach einem Geschäftspartner sucht, ist das keine Voraussetzung für eine glückliche Beziehung – denn Sie suchen nach Romantik und er möchte ein noch größeres Haus, einen noch besseren Job, noch mehr Geld...
Aktuell befassen Sie sich vor allem mit dem Thema Hass. Wie würden Sie Hass und Liebe unterscheiden?
Eine der Komponenten von Liebe ist Intimität: Jemandem nahe sein, sich gegenseitig zu vertrauen und mit einander zu reden. Eine Komponente des Hasses ist Verneinung von Intimität: Die Vorstellung, eine persönliche Beziehung zu der betroffenen Person zu haben, ist abstoßend.
Die Leidenschafts-Komponente hingegen hat den gleichen Grad an Motivation, aber auf unterschiedliche Art. In der Leidenschaft der Liebe ist man einer Person zugetan, man fühlt sich auf liebevolle, fürsorgliche Art zu ihr hingezogen. Im Hass kann man sich sowohl zu einer Person hingezogen als auch von ihr abgestoßen fühlen – aber wenn es einen zu der Peron hinzieht, dann deshalb, weil man sie zerstören will. Und wenn man von ihr abgestoßen wird, dann will man möglichst weit weg von ihr.
Die Bindungs-Komponente gibt es bei beiden. Aber die Bindungs-Komponente der Liebe bedeutet, dass man mit der Person für immer zusammen sein will. Und im Hass ist man davon überzeugt: „Das sind schlechte Menschen, die mir schaden wollen.“
Aber der Grund, warum Liebe so leicht zu Hass werden kann, ist, dass sie mit einander in Verbindung stehen. Wenn man zum Beispiel herausfindet, dass man betrogen wurde, kann die Leidenschaft der Liebe zur Leidenschaft des Hasses werden.
Kann man jemanden lieben und zugleich hassen?
Liebe und Hass schließen sich nicht aus, sie können koexistieren. Das Gegenteil von Liebe ist Gleichgültigkeit. Was man nicht kann, ist jemandem gegenüber Liebe und Gleichgültigkeit empfinden, oder Hass und Gleichgültigkeit. Wenn jemand aber sagt: „Ich habe eine Hass-Liebes-Beziehung zu ihm“ dann kann das stimmen, man kann Elemente von beidem fühlen.
In Köln wurde erst kürzlich der Amoklauf eines 17-jährigen Schülers vereitelt, 2002 erschoss ein 19-Jähriger in Erfurt in seiner Wut über ein Dutzend Lehrer und Mitschüler. Wie kann man diesen Hass erklären?
Ich denke nicht, dass man damit man auf die Welt kommt. Die Fähigkeit zu hassen, ist etwas, das einem die eigenen Eltern beibringen können. Und religiöse Leitfiguren lehren Kinder, andere zu hassen. Diese Fähigkeit zu hassen muss über einen gewissen Zeitraum hinweg weiterentwickelt worden sein.
Dann ergibt sich ein Zusammenspiel der eigenen Persönlichkeit und der Situation. Die Kinder, die amoklaufen, wurden meistens gedemütigt und sie schlagen zurück. Sie fühlen sich nicht akzeptiert, machtlos und das ist ihre Art sich aus dieser Demütigung zu befreien: „Du dachtest, du zerstörst mich, aber jetzt zerstöre ich dich!“
Man kann auch auf pro-soziale Weise reagieren, sich neue Freunde suchen, entscheiden, dass es nicht so wichtig ist – oder asozial, indem man Amok läuft.
Lassen sich im Allgemeinen Anzeichen erkennen, anhand derer man solchen Taten vorbeugen könnte?
Die Anzeichen dafür kann besonders gut danach erkennen (grinst). Vorher sind es vielleicht bestimmte Zeitungen, die offen herumliegen. Aber das große Problem ist: Oft sagen diese Kinder im Vorfeld etwas, dass die Menschen nicht ernst nehmen. Sie lassen durchsickern, was sie vorhaben und keiner geht darauf ein.
Was hilft, um mit dem eigenen Hass umgehen zu können?
Der beste Weg raus aus dem Hass ist Weisheit. Man muss versuchen zu verstehen, wie andere Menschen verschiedene Dinge sehen und sich in ihre Position versetzen. Das bedeutet nicht, dass man automatisch deren Standpunkt akzeptieren soll. Vielmehr meint es dialogisches Denken: verstehen, dass das, was richtig ist sich über die Zeit hinweg ändern kann.
Manchmal sind wir ganz schnell darin, zu beurteilen: Wir sind gut, ihr seid schlecht. George Bush beispielsweise verfolgt das Motto: „Entweder seid ihr für uns oder gegen uns“, „Ich habe Recht, du hast Unrecht.“ Und das ist ein typisches Beispiel für eine unglaublich geringe Ausprägung von Weisheit, das ist unterstes Niveau.
Sehen sie einen Zusammenhang zwischen Intelligenz und Hass?
Sehr intelligente Menschen können ebenso hassen. In traditionellem Sinn waren auch viele Nazis intelligent. Aber die Menschen sollten ihre Intelligenz und Kreativität für das Gemeinwohl einsetzen und sich nicht fehlleiten lassen.
Sehen Sie sich einmal das Jahr 2007 an: Bush führt seine Regierung wie ein irre gewordener Clown, Putin wird ein Zar in Russland, Schröder spricht sich gegen Russland aus und dann arbeitet er für diese Leute. Intelligente Menschen sollten ihre Fähigkeiten jedoch einsetzen um weise zu handeln und somit der Gemeinschaft dienen.
Was genau fasziniert Sie an der Erforschung von Hass?
Da gibt es verschiedene Gründe. Zum Einen meine persönliche Geschichte: Meine Mutter ist Australierin und ich habe einen Großteil meiner Familie mütterlicherseits im Zweiten Weltkrieg verloren. Ein zweiter Punkt ist: 1990 waren diese ganzen Völkermorde, einer nach dem anderen und es war hart, sich vorzustellen, dass das immer noch passierte. Und es passiert noch heute, genau in diesem Moment. Massaker, Massenmorde und auch in Europa und Jugoslawien und nicht etwa ganz weit weg. Und zum Dritten habe ich die von Ihnen angesprochene Beziehung zwischen Liebe und Hass erkannt.
Außerdem sehe ich immer wieder, dass Psychologen ausschließlich Dinge erforschen, die leicht zu analysieren sind. Ich hingegen fühle mich zu den schwierigen Dingen hingezogen. Und Hass ist ein sehr schwieriges Thema, es ist gefährlich: Die wichtigste Zielgruppe meiner Forschung sind Terroristen – und das ist riskant. Liebe und Hass sind jedoch fundamentale Dinge, die es zu erforschen gilt und nicht nur die „einfacheren“ Themen: In jeder Zeitung, in jeder Nachrichtensendung hört man etwas über Liebe oder Hass!
Vielen Dank für das Gespräch.
von Jenny Genzmer, Kristin Höhn