11.12.2007
Nachgefragt: Sprache, die Wissen schafft
Sollten Wissenschaftler verständlicher schreiben?
Der fleißige Student möchte akademische Forschung betreiben und endet mit rauchendem Kopf über unverständlichen Texten – ein bekanntes Phänomen. Nicht zuletzt, weil die wenigsten Aufsätze eingängig im Kopf bleiben. Forderungen nach mehr Verständlichkeit auch in Fachpublikationen bekommen immer mehr Aufwind. Manche Wissenschaftler halten sie dagegen für einen Türöffner populärwissenschaftlicher Unterwanderung ihrer Disziplin. Welche Sprache braucht die Wissenschaft im 21. Jahrhundert?
Lesen macht mehr Spaß, wenn man einen Artikel beim ersten Durchlesen komplett versteht. Wenn man einen Text also nicht zweimal lesen muss, um zu kapieren, was gemeint war. Verständliche Sprache beginnt mit simplen Regeln: Möglichst kurze Sätze und einfache Wörter. Natürlich gibt es Begrifflichkeiten, die es Fachleuten erlauben, sich schneller zu verständigen.
Wenn der Mediziner von der „Ionenstrahlbehandlung im Rasterscan- Verfahren“ spricht, weiß der Kollege genau, was gemeint ist. Dem Laien müsste das Verfahren mühsam erläutert werden.
Insofern ist es wichtig, Texte auf die gewünschte Zielgruppe abzustimmen. Fachkollegen gegenüber kann man sich präziser und kürzer mitteilen. Texte für Laien müssen mehr erläutern oder Sachverhalte vereinfachen. Aber es gibt auch eine Fachsprache, die anderen Zwecken dient. Zum Beispiel der Abgrenzung gegenüber anderen. Wenn der Mediziner von „Herzinsuffizienz“ spricht, könnte er auch von „Herzschwäche“ sprechen. Das tut er nicht, obwohl er sich häufig an Laien wenden muss, nämlich an seine Patienten. Die geschwollene Fachsprache betont seine Zugehörigkeit zu einer akademischen Klasse.
Es gibt ähnliche Beispiele aus anderen Disziplinen. Karl Popper hat einmal die Soziologensprache auf ihr Imponiergehabe hin untersucht. Er zitiert einen Satz von Habermas: „Theorien sind Ordnungsschemata, die wir in einem syntaktisch verbindlichen Rahmen beliebig konstruieren.“ Popper vermutet, damit sei folgendes gemeint: „Theorien sollten nicht un grammatisch formuliert werden; ansonsten kannst du sagen, was Du willst.“ Das klingt verständlich, wirkt aber auch banal. Mit Unverständlichkeit lässt sich offensichtlich Eindruck schinden. Es ist allerdings ein Armutszeugnis für eine Disziplin, wenn sie mit gespreizten Formulierungen und ersetzbaren Fachtermini hantiert, statt sich verständlich für alle zu präsentieren. Sprachliche Abgrenzung mag notwendig gewesen sein zu Zeiten, als das Fach noch um seine akademische Anerkennung ringen musste.
Für etablierte Disziplinen jedenfalls ist das demonstrative Abgrenzen nicht mehr zeitgemäß. In Zeiten knapper Kassen muss Wissenschaft bestrebt sein, in der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden. Die Zeiten des gepflegten Elfenbeinturms sind vorbei. Wissenschaft ist heute ein gesellschaftlicher Sektor, der mit anderen Bereichen konkurriert: der Wirtschaft, der Kultur, dem Sozialwesen. Forschung wird weitgehend öffentlich finanziert. Entscheidend ist die Beachtung, die die Gesellschaft und die Politik dem Sektor Bildung und Wissenschaft zukommen lassen. Wissenschaft muss Öffentlichkeitsarbeit betreiben.
Wissenschaftler müssen mit den Medien zusammenarbeiten, müssen sich in der Öffentlichkeit bemerkbar machen. Und dazu gehört Verständlichkeit.
Nicht so sehr in den Fachveröffentlichungen, die sich an den Kreis der Kollegen richten. Obwohl ich noch keinen Wissenschaftler getroffen habe, der nicht froh darüber war, wenn ein Artikel leicht zu lesen war. Verständlichkeit ist vor allem gefordert, wenn die Öffentlichkeit angesprochen ist. Danach sollte mehr und mehr gesucht werden. Mit einer klaren, einfachen, verständlichen Sprache.
Als „klassische“ funktionale Anforderungen an Fachsprachen gelten herkömmlich Exaktheit, Explizitheit und Ökonomie. Daneben wird immer häufiger kömmlich auch die Verständlich- keit von Fachtexten angeführt. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, für welche Adressatengruppen die Verstehbarkeit gewährleistet werden soll. Für Fachexperten sind Fachtexte in der Regel verstehbar, für den relativen Laien nicht.
Welche Folgen hätte eine Veränderung der Fachsprache in Richtung eines allgemein verständlichen Sprachgebrauchs für die Funktionalität der Kommunikation im Fachbereich? Einen verheerenden. Der Usus fachsprachlicher Zeichenverwendung geht mit der fachlichen Differenzierung der Gegenstände einher. Wer die fachsprachlichen Konventionen zugunsten eines gemeinsprachlichen Sprachgebrauchs verändern will, nimmt damit einen Verlust an fachlich- inhaltlicher Differenzierungsfähigkeit in Kauf – er verzichtet auf kognitive Potentiale. Das eine hängt unmittelbar mit dem anderen zusammen, ohne Sprache kein Wissen. Denn der fachliche Gegenstand wird im Medium Sprache wesentlich konstituiert.
Gewöhnlich rückt der sprachliche Aspekt in Fachkontexten nur dann in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, wenn es Verstehens- oder Kommunikationsschwierigkeiten gibt. In der linguistischen Fachsprachenforschung hat sich in den letzten Jahrzehnten ein Perspektivenwechsel vollzogen: Im Mittelpunkt steht nicht nur die sprachsystematische Erforschung von Fachsprachen, sondern vor allem auch der Fachkommunikation. Untersuchungen zum Fachsprachengebrauch beispielsweise im Recht und seiner Funktionsfähigkeit beleuchten sowohl die kognitive als auch die kommunikative Funktion bei der Vermittlung von Fachwissen in fachinternen, interfachlichen (also zwischen Experten) und fachexternen Verwendungszusammenhängen (Verstehbarkeit für den relativen Laien).
Die Hinwendung zur Fachkommunikation bedeutet auch die Einbeziehung der Sprachpragmatik und berücksichtigt Aspekte von Verstehensprozessen, Wirkungsfunktionen, der Sprachverwendungssituationen und der Adressatenspezifizierung. Deshalb wird die kommunikative Funktion einer sich fachlich äußernden Person („Fachsprache- in-Situationen“) genauer analysiert, um Einsatz- und Wirkungsmöglichkeiten in konkreten Kommunikations- situationen zu erfassen. Somit steht der Text als Ganzheit – im Sinne von „Fachtexten-in-Funktion“ – im Mittelpunkt sprachlicher und fachdomänenspezifischer Forschung und berücksichtigt diverse Gliederungsdimensionen.
Mit diesem Untersuchungsinteresse fokussiert der Analyst die erkenntnissteuernde Funktion sprachlicher Zeichen beim Aufbau von Wissen (das durch die Auswahl sprachlicher Zeichen stets perspektiviert ist) und zugleich die kommunikative und handlungsbezogene Dimension von Fachtexten und die damit verbundenen Sprachverwendungssituationen, also die Bedingungen fachlich-beruflichen Handelns und die damit verbundenen Fachtextsorten, gerade auch im Hinblick auf die Experten-Laien-Kommunikation. Dabei ist zu konzedieren: Das Wissen einer Domäne ist stets umfangreicher als der durch den Domänenwortschatz repräsentierte Inhalt.
von Janine Luth