16.12.2007
Doktor Achtkampf
Christian Leisinger meistert seit sechs Jahren den Spagat zwischen Jura-Studium und Leistungssport.
Disziplin ist Christian Leisingers Stärke. Seit über 20 Jahren turnt der 27-jährige Athlet auf regionalen und überregionalen Wettkämpfen. Im September wurde er in Gelnhausen bei Frankfurt zum zweiten Mal Deutscher Meister im Achtkampf.
Disziplin ist Christian Leisingers Stärke. Seit über 20 Jahren turnt der 27-jährige Athlet auf regionalen und überregionalen Wettkämpfen. Im September wurde er in Gelnhausen bei Frankfurt zum zweiten Mal Deutscher Meister im Achtkampf. Doch damit nicht genug: Neben seinem harten Training arbeitet der Stipendiat des Europäischen Graduiertenkollegs seit einem Jahr an seiner Jura-Doktorarbeit in Heidelberg.
Locker, charmant und gut durchtrainiert meistert Leisinger seit sechs Jahren diesen Spagat zwischen Studium und Leistungssport. „Ich brauche den Sport als Ausgleich“, erklärt er. Zwischen 2000 und 2005 studierte er Jura in Konstanz. Besonders während seines Examens habe ihm das Turnen geholfen, abends wieder den Kopf frei zu bekommen. „Natürlich war es stressig: lernen, trainieren und am Wochenende auf Wettkämpfe fahren. Doch ich habe auch viel vom Turnen profitiert, indem ich damit Disziplin und Konzentration gelernt habe. Zudem waren Prüfungssituationen auch nichts Neues für mich. Beim Wettkampf schauen mir schließlich auch alle zu.“
Im September 2006 zog Leisinger nach Heidelberg und begann, an seiner Dissertation im Bereich Schiedsverfahrenrecht zu schreiben. Seitdem trainiert er im Kirchheimer Leistungszentrum zusammen mit den Erstligisten, der Kunstturngemeinschaft (KTG) Heidelberg. Dort herrschen perfekte Voraussetzungen für sein Training: In der Halle sind die Sportgeräte fest installiert. „Es gibt sogar eine Schaumstoff-Schnitzelgrube, so dass man problemlos schwere Sprünge üben kann“, schwärmt der Neu-Heidelberger. In Konstanz hatte er diese Möglichkeiten nicht gehabt.
Seine Kindheit verbrachte Leisinger in Lörrach, an der Schweizer Grenze. Schon mit sechs Jahren trat er dem TSG Ötlingen bei. Im Freundeskreis musste er deshalb öfters Hänseleien trotzen – schließlich war Turnen kein typisches Hobby für einen Jungen. Doch er blieb dabei und absolvierte nach der Schule mit Absicht Zivildienst, um immer Zeit für seine Leidenschaft zu haben. Seinem Verein ist er bis heute treu geblieben und tritt bei Mannschaftswettkämpfen weiterhin für Ötlingen an. In der Regionalliga steht das Team Leisingers derzeit auf Platz drei. Seine größten Erfolge feiert der angehende Anwalt eher als Einzelkämpfer im Achtkampf. Hier ist er der erfolgreichste deutsche Sportler. „Beim Wettkampf ist es schon ein seltsames Gefühl, gegen Trainingskollegen der KTG Heidelberg anzutreten“, grinst Leisinger, aber von Rivalität könne keine Rede sein.
Dieser Mehrkampf ist eine spezielle Kombination aus jeweils vier Turn- und Leichtathletikübungen. „Genau da liegt meine Stärke“, weiß Leisinger. Sein Erfolg beruht darauf, dass er nicht nur ein guter Turner, sondern ein ebenso guter Leichtathlet sei. „Viele Konkurrenten können eines meist besser als das andere. Ich bin in allen Übungen gleich stark.“ Eine internationale Karriere bleibt Leisinger allerdings verwehrt, da es diese Form des Mehrkampfes nur in Deutschland gibt.
Der größte Stress ist so kurz vor Weihnachten erst einmal vorbei – bis Ende November lief die Saison, was für Christian Leisinger bis zu fünf Mal die Woche Training à zwei Stunden bedeutete. Fast an jedem Wochenende stand ein Turnier an. Jetzt bereitet er sich allerdings schon auf die Frühjahrswettkämpfe vor. Viel Freizeit bleibt ihm also nicht. Gut, dass seine Freundin ebenfalls sportlich ist und sie regelmäßig gemeinsam trainieren.
Ein schönes Erlebnis war für Christian sein Auslandsaufenthalt in Oxford, wo er seinen „Magister Jurus“ machte. Auch hier konnte er das Turnen nicht sein lassen und trat für die Universität Oxford im Duell gegen Cambridge an – und gewann. „In England fördert man den Leistungssport neben dem Studium sehr stark. Auch von Seiten der Professoren und Kommilitonen gibt es Unterstützung“, erinnert sich Leisinger begeistert. In Deutschland hingegen herrsche immer noch eine strikte Trennung von Studium und Sport – Universitätsteams oder Sportstipendien wie in England gebe es hier nicht.
Ein Ziel hat Leisinger noch: 2008 will er ein letztes Mal Deutscher Meister werden. Denn spätestens wenn er seinen Doktortitel hat und sein Referendariat antritt, wird er keine Zeit mehr für den Leistungssport haben: „Wer weniger als dreimal pro Woche trainiert, hat keine Chance mehr.“ Doch Leisinger hat sich vorgenommen den Turnsport weiterhin zu unterstützen: Dann aber nicht mehr körperlich aktiv, sondern finanziell.
von Ulrike Worlitz