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 Interview
30.01.2007

Dann gebt eure Handys wieder her!

Henryk M. Broder ĂŒber Europas Kapitulation

Europas mangelnde Standhaftigkeit quĂ€lt ihn. Seit langem warnt der in Berlin lebende Publizist Henryk M. Broder vor wachsendem islamischen Einfluss in Europa. In seinem 2006 erschienen Buch „Hurra, wir kapitulieren“ kritisiert er den europĂ€ischen Unwillen, die liberalen Werte entschlossen zu verteidigen.

Europas mangelnde Standhaftigkeit quĂ€lt ihn. Seit langem warnt der in Berlin lebende Publizist Henryk M. Broder vor wachsendem islamischen Einfluss in Europa. In seinem 2006 erschienen Buch „Hurra, wir kapitulieren“ kritisiert er den europĂ€ischen Unwillen, die liberalen Werte entschlossen zu verteidigen.



ruprecht: Herr Broder, Ihr aktuelles Buch verkauft sich besser als all Ihre bisherigen zusammen. Woher kommt der Erfolg?

Henryk M. Broder: Es ist zum richtigen Zeitpunkt erschienen. Ich habe tatkrĂ€ftige UnterstĂŒtzung von Agenten meiner Sache erfahren: zuerst vom Papst, dann von der Intendantin der Deutschen Oper in Berlin. Es gibt Sachen, ĂŒber die lange nicht, oder nicht genug, gesprochen wurde. Die sind dann so massiv geworden, dass man sich ihnen nicht mehr entziehen konnte.


Sind wir so feige, dass wir die RealitÀt immer verdrÀngen?

Jede Gesellschaft braucht Zeit, um sich bestimmter Sachen bewusst zu werden.
Vieles, was passiert ist, war so schrecklich, dass man sich der Folgen gar nicht bewusst sein wollte.
Nach dem 11. September beschĂ€ftigte sich die Diskussion in Deutschland erstens mit der Frage, warum die Amerikaner selbst Schuld daran haben, dass es sie getroffen hat, und zweitens, warum es uns nicht treffen kann. Diese Verleugnung der Wirklichkeit hĂ€lt nur eine Weile an. Irgendwann muss man sie zur Kenntnis nehmen. Und vermutlich haben tatsĂ€chlich die Papstrede in Regensburg, diese Operngeschichte in Berlin und diese zwei gefundenen Kofferbomben im Sommer das Fass zum Überlaufen gebracht.


Was wollten Sie mit Ihrem Buch letztendlich erreichen?

Wenn ich so etwas schreibe, will ich mir etwas klarmachen. Das geht nur im Prozess der Arbeit. Wenn ich mit Ihnen rede oder zu Hause sitze, lese und schreibe, werde ich selber schlauer. Erreichen wollte ich eigentlich nichts.
Wenn andere Leute an meinen Erkenntnissen teilnehmen, finde ich das sehr schön; und wenn sie es nicht wollen, ist es auch in Ordnung.


Sie behaupten, dass Europa zu „Eurabia“ wird und haben im niederlĂ€ndischen Volkskrant jungen EuropĂ€ern geraten, in andere westliche LĂ€nder auszuwandern.

Nein, nicht geraten. Ich habe gesagt, wenn ich heute ein junger EuropĂ€er wĂ€re, und nicht ein alter Mann von sechzig Jahren, wĂŒrde ich auswandern.


Ist das nicht ein bisschen ĂŒbertrieben?

Was eine Übertreibung ist, weiß man immer erst im Nachhinein. Wenn man 1933 gesagt hĂ€tte, mit der Wahl der Nazis fĂ€ngt eine europĂ€ische Katastrophe an, dann wĂ€re das zu dem Zeitpunkt völlig ĂŒbertrieben gewesen, weil es nach einem normalen europĂ€ischen Betriebsunfall aussah. Es gab ja Pi?sudski in Polen, es gab andere faschistoide Systeme, das kann ja mal passieren.

Es kann sein, dass ich die Sachen auf den Punkt bringe oder zuspitze, aber ich ĂŒbertreibe nicht.


Worin bestehen die Gefahren fĂŒr Europa?

Ich denke nicht, dass die große Gefahr von den Moslems kommt. Ich sehe uns selbst als Gefahr, weil wir nicht wissen, was wir verteidigen wollen. Ist es „Deutschland sucht den Superstar“?

Wenn Frauen Kopftuch tragen, habe ich nichts dagegen. Es spricht fĂŒr uns, dass so was möglich ist, aber ich schlage grundsĂ€tzlich GeschĂ€fte auf Gegenseitigkeit vor. Wenn so was hier möglich ist, dann möchte ich, dass meine Tochter in Riad im Minirock rumlaufen darf.

Dieses GeschĂ€ft auf Gegenseitigkeit findet nicht statt. Wir geben im Voraus nach, wir machen Konzessionen, auf die die andere Seite zu reagieren gar nicht verpflichtet ist. Ich befĂŒrchte, dass wir uns akkommodieren, dass wir uns mit allem arrangieren und darĂŒber unsere IdentitĂ€t verlieren. Ich fĂŒrchte in der Tat Eurabia, weil die Gegenseite nicht nur tĂŒchtiger ist, wenn es darum geht, Kinder in die Welt zu setzen, sondern – und das halte ich fĂŒr völlig legitim – ihre eigenen Werte durchzusetzen. Ich nehme es aber Europa ĂŒbel, dass es nachgibt.


Haben Sie Beispiele fĂŒr dieses Nachgeben?

Wenn sechzig deutsche und europĂ€ische Soziologen ĂŒber eine tĂŒrkische Sozialwissenschaftlerin [Necla Kelek; Anm. d. Red.] herfallen, nur weil sie die Situation so beschreibt, wie sie ist und die die deutschen Soziologen nicht wahrnehmen wollen, dann nehme ich ihnen das ĂŒbel. Oder ich nehme es den Berlinern ĂŒbel, dass sie die tĂŒrkische RechtsanwĂ€ltin Seyran Ate?, [die muslimische Frauen vertritt; Anm. d Red.] die Morddrohungen erhĂ€lt allein im Regen stehen lassen. Schlimmer als die Leute, die diese Frau bedroht haben, ist die Gesellschaft, die wegschaut.


Zum Minirock in Riad: DĂŒrfen wir unsere Toleranz, die wir uns im Zuge der AufklĂ€rung als Wert angeeignet haben, dort als Maßstab anlegen?

NatĂŒrlich mĂŒssen wir unsere Werte als Maßstab anlegen. Wenn wir gegen die Todesstrafe sind, gegen Folter, fĂŒr die Gleichberechtigung von Mann und Frau.

Wir legen schon unsere Werte an, wenn wir unsere Handys in alle Welt exportieren. Wenn diese Artikel weltweit genutzt werden, gibt es eine globale Gesellschaft. Und wenn sie sich der Mittel dieser Gesellschaft bedienen, dann erwarte ich auch, dass sie deren Ethik akzeptieren. Oder sie sollen ihre Handys wieder zurĂŒckgeben! Das Handy ist nicht nur ein technisches Produkt, da steckt die AufklĂ€rung drin: Gutenberg, Heine, Spinoza, Kant, Hegel und viele andere. Man kann nicht das Produkt akzeptieren, aber seine Entstehungsgeschichte nicht.

Das ist keine Frage der Toleranz, sondern von gleichen Rechten. Und wenn wir Minderheiten Rechte geben, mĂŒssen wir erwarten, dass es in deren Gesellschaften fĂŒr andere Minderheiten die gleichen Rechte gibt. Es ist unglaublich, dass die TĂŒrken den Mord an den Armeniern nach fast hundert Jahren nicht anerkannt haben oder dass wir uns mit den Teheraner Mullahs arrangiert haben, wĂ€hrend die Fatwa gegen Salman Rushdie in Kraft war. Das sind alles unsere VersĂ€umnisse.


Aber kann man denn die hier lebenden Muslime dafĂŒr verantwortlich machen, was in ihren HeimatlĂ€ndern schief lĂ€uft?

Nein, das können wir nicht. Aber es gibt eine moslemische Kultur, die sich als Exportware versteht. Metin Kaplan etwa, der wegen Aufrufs zum Mord in Köln verurteilt wurde, und noch mal vier Jahre hier geduldet wurde, bevor man ihn abgeschoben hat. Metin Kaplan ist nicht der GenĂŒsse der demokratischen Gesellschaft wegen hergekommen, sondern um sein Gesellschaftsmodell hier zu implantieren: das Kalifat. Wir dĂŒrfen Leuten nicht erlauben, ihre Ideen bei uns auszubreiten, wenn diese Möglichkeit nicht zur gleichen Zeit unserer Kultur in anderen LĂ€ndern gegeben wird. Wir können diese Ungleichgewichte nicht hinnehmen, etwa, dass eine britische Fluggesellschaft den Stewardessen das Tragen des Kopftuches erlaubt, aber das Tragen des Kreuzes verbietet.

Man kann die Moslems, die hierher kommen, nicht dafĂŒr verantwortlich machen, was in ihren HeimatlĂ€ndern passiert. Aber wenn Sie davon ausgehen, dass es inzwischen eine globale Gesellschaft gibt, dann kann man das eine nicht dulden und das andere ĂŒbersehen. Ich nehme nicht die hier lebenden Moslems, sondern deren Regierungen oder Kultur in die Pflicht, anderen Minderheiten das zu ermöglichen, was hier selbstverstĂ€ndlich ist.


Zeigen nicht FĂ€lle wie die Causa Metin Kaplan, dass unser Rechtsstaat hervorragend funktioniert?

Ja und nein. Es zeigt, dass der Rechtsstaat auf solche FĂ€lle nicht vorbereitet ist. Zumal er stĂ€ndig von kulturellen Bedenken ausgebremst wird: „Kann man das machen? Was provozieren wir damit? Was lösen wir damit aus?“ Die EuropĂ€er, die hier leben sind ja permanent von schlechtem Gewissen geplagt; und meistens zu Recht: Nicht nur wegen Auschwitz; auch wegen Algerien, Indochina, wegen dieser ganzen beschissenen europĂ€ischen Geschichte. Die Frage ist, wie wir das schlechte Gewissen artikulieren.

Jedenfalls nicht, indem wir hier Leute dulden, die eine despotische, autoritĂ€re Herrschaft in ihren eigenen Gemeinden fĂŒhren. Berechtigtes schlechtes Gewissen heute vernĂŒnftig zu artikulieren, hieße eben, sich fĂŒr Necla Kelek, Seyran Ate? und, Salman Rushdie einzusetzen.


Wird die Diskussion heute offener gefĂŒhrt? Manche Medienberichte hĂ€tten vor zehn Jahren wohl noch als auslĂ€nderfeindlich gegolten.

Das hat mit AuslĂ€nderfeindlichkeit nichts zu tun. Die Leute wissen, dass es richtig ist, dass AuslĂ€nder herkommen, sich hier einrichten, Moscheen bauen und ein ganz normales Leben fĂŒhren. Aber dass es nicht geht, dass Teile dieser Gesellschaft die Mehrheitsgesellschaft stĂ€ndig unter Druck setzen und erpressen können. Wir mĂŒssen uns die Frage stellen, was wir uns alles von Leuten bieten lassen, denen wir eigentlich nichts schulden.


Was sagen Sie zum Vorwurf Ihrer Gegner, Sie betrieben Hetzerei. Das kommt ja nicht nur von „Idioten“?

Doch! Das sind Idioten. Wenn diese Leute sagen, ich sei ein Hetzer, so ist das die reine Projektion.

Gestern bin ich gefragt worden: „Warum machen die Terroristen das, was sie machen?“ Das ist eine kluge Frage, ein Frage der AufklĂ€rung, aber die Antwort kann vielleicht ganz einfach sein: Weil es ihnen Spaß macht.


Das ist nicht Ihr Ernst.

NatĂŒrlich.Es gibt Leute, denen es Spaß macht, böse zu sein. Sie glauben, es mĂŒsse ein rationales Motiv geben?


Es wirkt wohl eher ein FaktorenbĂŒndel.

Richtig. Aber wenn es ihnen keinen Spaß macht, machen sie es nicht.


Verzweiflung kann doch auch ein Motiv sein.

Warum sind die Armenier dann nicht so verzweifelt? Warum sprengen sich nicht permanent Armenier vor tĂŒrkischen Botschaften in die Luft? Die hĂ€tten Grund dazu. Warum sprengen sich nicht permanent vertriebene Schlesier vor polnischen Vertretungen in die Luft?


Daher der Begriff des „BĂŒndels“ von Faktoren.

Da fehlt dann etwas, genau. In der Statistik wĂŒrde man sagen: Notwendig, aber nicht hinreichend. Klar, notwendig ist vieles. DafĂŒr, dass es hinreichend wird, muss noch mehr dazukommen. Ich glaube, es ist wirklich so einfach. Ich weiß: Es wĂ€re viel schicker, wenn ich Ihnen jetzt eine komplizierte, intellektuelle ErklĂ€rung geben wĂŒrde, aber die habe ich nicht.

von Marcel Bertsch, Sebastian BĂŒhner, Stefan Dworschak
   

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