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 Interview
17.07.2007

„Die Lage ist todernst“

Interview mit dem Nahostexperten Ulrich W. Sahm

Ist der Nahe Osten noch zu retten? Die jüngste Entwicklung in den Gebieten der palästinensischen Autonomiebehörde, der Machtkampf zwischen Fatah und Hamas stellt eine neue Stufe der Eskalation in einem anscheinend unlösbaren Konflikt dar. Der langjähriger Auslandskorrespondent in Israel, spricht über seine Arbeit.

Ist der Nahe Osten noch zu retten? Die jüngste Entwicklung in den Gebieten der palästinensischen Autonomiebehörde, der Machtkampf zwischen Fatah und Hamas stellt eine neue Stufe der Eskalation in einem anscheinend unlösbaren Konflikt dar. Ulrich W. Sahm, langjähriger Auslandskorrespondent in Israel, spricht über seine Arbeit, den nicht enden wollenden Nahost-Konflikt und die Situation für die westliche Welt.

Herr Sahm, was reizt Sie besonders an dem Beruf des Kriegsreporters?


An dem Begriff „Kriegsreporter“ habe ich etwas auszusetzen. Ich bin Reporter in dem klassischen Krisengebiet der Welt. In einem Gebiet, auf das die gesamte Welt ständig schaut. Was immer sich in der Welt abspielt, irgendwann kommt der Nahost-Konflikt zur Sprache. Das ist natürlich für einen Journalisten ein Traumfeld, quasi im Zentrum der Welt zu stehen.

Wie wurden Sie Nahostkorrespondent?

Der Grund liegt in einer Mischung aus Freundschaften in der Schulzeit und religiösem Interesse. Durch ein Sommerstipendium bin ich nach Jerusalem gekommen und dann dort hängen geblieben. Später bin ich Journalist geworden und, trotz mehrerer Versuche, das Land zu wechseln, bin ich als Nahostkorrespondent in Israel geblieben.

Ihr Alltag ist doch geprägt von Hektik und Gefahren. Sind Sie nicht in gewisser Weise lebensmüde?


Es ist nicht so, dass ich von morgens bis abends nichts anderes zu tun habe, als mich bei irgendwelchen Militärs einbetten zu lassen und mit deren Jeeps auf Patrouille zu fahren, um dann dabei zu sein, wenn sie rumballern. Oder umgekehrt, dass ich mich bei den Palästinensern zwischen die Steinewerfer stelle, um dann selbst erschossen zu werden.

Der kürzlich freigekommene britische Journalist Alan Johnston wurde über 100 Tage als Geisel festgehalten. Haben sie keine Angst, dass Ihnen so etwas auch passieren könnte?

Jein. Ich bin lange nicht mehr in den Gaza-Streifen gefahren. Denn bei aller Liebe für Pressefreiheit und Informationsbedürfnis bin ich nicht bereit, mich für eine Reportage kidnappen oder töten zu lassen. Wer soll sich dann um meine Frau und Kinder kümmern? Das ist es mir nicht wert. Ich bin kein mutiger Mensch.
Wie verarbeiten Sie das Leid der Menschen, das Sie ständig sehen?
Ich habe mir nicht sehr viele Gedanken darüber gemacht. Wahrscheinlich habe ich es verdrängt. Schlimm ist, wenn es Tote im Bekanntenkreis gibt. Wenn ein Klassenkamerad meiner Tochter plötzlich nicht mehr zur Schule kommt, weil er in irgendeinem Bus in die Luft geflogen ist, und ich dann darüber berichte, ohne es zu wissen. Das ist sehr hart. Krieg macht keinen Spaß.

Wie filtern Sie die nachrichtentauglichen Informationen heraus?

Da gehört viel Erfahrung dazu. Viele Dinge spüre ich aus dem Bauch heraus. Es ist nicht wichtig, die zerfetzten Leichen zu sehen, sondern zu erfahren, wer dafür verantwortlich ist und ob es politische Auswirkungen hat.

Jahrzehntelang haben die Palästinenser gegen die Israelis gekämpft, jetzt töten sich die Palästinenser gegenseitig. Warum?

Der Bruderkrieg ist nichts Neues, weil die Palästinenser das seit 40 Jahren tun. Es wollte nur niemand  wahrhaben. Jetzt, als die Hamas im Gazastreifen mit vielen Toten die Regierung geputscht hat, kommen  die Medien plötzlich nicht mehr daran vorbei, darüber zu berichten. Wenn ein Palästinenser einen Israeli tötet, dann ist das immer eine große Schlagzeile. Ich übe hier ein bisschen Medienkritik. Es liegt an der Wahrnehmung der Medien hier in Deutschland.

Welche Rolle spielen die Religionen in diesem Konflikt? Ist der Konflikt religiös legitimiert?


Nein. Aber es ist schon immer so gewesen, dass man mit der Religion die Leute emotional packen kann. Ich würde auch die Kreuzzüge vor tausend Jahren nicht als Religionskriege bezeichnen. Da wird irgendwelchen politischen, wirtschaftlichen und militärischen Machtinteressen ein kleiner religiöser Mantel umgehängt. Man findet in diesen ganzen religiösen Büchern, ob nun in der Bibel oder im Koran, immer die passenden Zitate für den jetzt aktuellen politischen Konflikt. Religion ist hier ein Triebmittel, wie die Hefe im Teig.

US-Präsident George W. Bush und der israelische Premier Ehud Olmert halten offiziell an der Zwei-Staaten-Lösung fest. Es soll einen geeinten Palästinenser-Staat geben. Halten Sie das unter den aktuellen Umständen für möglich?

Ich sehe momentan nicht die geringste Chance für die Verwirklichung eines palästinensischen Staates. In den Osloer Verträgen von 1993 steht: Westbank und Gaza sind eine Einheit. Das scheint  nun endgültig vorbei. So wie die Lage heute aussieht, fürchte ich, dass der nationale Traum der Palästinenser von einem eigenen Staat geplatzt ist. Auch hinsichtlich der israelischen Militär- und Sicherheitsinteressen sehe ich keine Chance, dass die Palästinenser einen eigenen Staat bekommen.

Was bedeutet dann das Entgegenkommen Olmerts an Palästinenserpräsident Mahmud Abbas, 250 Fatahkämpfer aus israelischer Haft freizulassen?

Die haben doch alle kein Blut an den Händen. Das können Kleindiebe und Autodiebe sein. Ich weiß nicht, wer da auf der Liste steht. Olmert sind die Hände gebunden. Er ist ein grauer, nicht ganz durchsichtiger Politiker und schwer einzuschätzen. Das Einzige, was auf seinem Programm stand, war, den Rückzug aus Gaza und im Westjordanland fortzusetzen. Diese Idee ist mit dem Libanon-Krieg gestorben.

Wie bewerten Sie, dass Tony Blair Nahostgesandter wird? Kann ein Premier, der den Irakkrieg so vehement unterstützt hat, glaubwürdig in dieser Region vermitteln?

Nun will ich mal ganz ketzerisch sagen – und das ist nicht meine Meinung: die Amerikaner haben den Krieg doch auch nur für den „Frieden“ gemacht. Was Tony Blair angeht: Das ist eine völlig neue Situation und ich weiß auch gar nicht, mit wem oder was er da verhandeln  will. Die Hamas sagt, Tony Blair interessiere sie nicht. Wenn selbst schon die Ägypter das Vermitteln aufgegeben haben, was will dann da dieser vornehme Brite mit seinem schönen Lächeln erreichen?

Mit den vereitelten Terroranschlägen in Großbritannien wollen sich die Terroristen zurückmelden und Angst verbreiten. Allerdings versteckt sich die Bevölkerung nicht, sondern demonstriert Gelassenheit. Glauben Sie, dass dieses Verhalten den Hass der Terroristen noch mehr schürt?

Nein! Die Terroristen wollen die Welt auf den Kopf stellen. Da reicht schon irgendein Idiot, der sich ein bisschen Sprengstoff in seine Schuhsohle macht, und schon werden alle Flughäfen der Welt in Moscheen verwandelt, weil sich alle Leute bei den Kontrollen die Schuhe ausziehen müssen. Das ist das Ziel.
Ich erlebe das ja fast jeden Tag in Israel: Nach jedem neuen Terroranschlag werden die Sicherheitsmaßnahmen ausgedehnt, und das erschwert das Leben. Das ist es, was die Terroristen wollen.

Ist die Lage in Deutschland wirklich so ernst, wie sie unser Innenminister Wolfgang Schäuble derzeit darstellt?

Die Lage ist vor allem in der westlichen Welt todernst. Jetzt ist die politische Frage: Soll man die Bevölkerung in Panik versetzen und es offen aussprechen oder möglichst unauffällig arbeiten? Vieles wird unter den Teppich gekehrt, weil es gelungen ist, so manche geplante Aktion rechtzeitig zu entschärfen. Ich weiß nicht, warum Schäuble plötzlich von Terrorgefahr spricht.

Würde es die Terrorgefahr in Deutschland mindern, wenn die Bundesregierung die Truppen aus Afghanistan abgezöge?

Überhaupt nicht! Die Frage ist: Soll man diese Leute von Al Quaida quasi für ihre Terrortaten belohnen? Warum soll es angeblich diese Terrorgeschichten in London gegeben haben? Weil die Queen sich entschlossen hatte, Salman Rushdie zum „Sir“ zu adeln. Verdammt noch mal, müssen wir uns eigentlich für alles ducken und rechtfertigen?

Aus Ihrer persönlichen Sicht: Wird es je Frieden in Israel geben? Wie lautet Ihre Prognose?

Ich gehe grundsätzlich davon aus, dass es den Staat Israel weiterhin geben wird. Ich gehe auch nicht davon aus, dass sich die Palästinenser in Luft auflösen werden. Man muss das beobachten. Ich habe keine Prognose. Ich halte diese ganzen „Friedensprozesse“ für  heiße Luft, es muss irgendetwas ganz Neues her. Leider kann ich nicht vorhersehen, wie so ein „Paukenschlag“ aussehen müsste.

Was würden Sie einem Studenten, der nach Israel gehen möchte, mit auf den Weg geben?

Sich darauf vorzubereiten, eine Erfahrung für das ganze Leben zu machen und sich vorbehaltlos in dieses Abenteuer zu stürzen. In Krisenregionen ist das Leben  intensiver. Man kann dort viel Menschliches erleben. Ganz allgemein ist jeder Auslandsaufenthalt ein Gewinn.



von Moritz Damm, Claudia Tupeit
   

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