17.07.2007
Entwicklungshilfe abschaffen?
Milliarden-Hilfe für Afrika stößt auf Kritik
Seit Jahrzehnten fließt Entwicklungshilfe in Milliardenhöhe nach Afrika. Beim G8-Gipfel in Heiligendamm haben die Teilnehmerstaaten eine erneute Aufstockung der Mittel um 25 Milliarden US-Dollar jährlich zugesagt. Dennoch muss die Hälfte der Bevölkerung mit weniger als einem Dollar pro Tag auskommen; es geht ihnen schlechter als am Ende der Kolonialzeit. Immer lauter werden daher die Stimmen, die die Entwicklungshilfe für sinnlos oder gar schädlich halten. Wäre es also besser, sie abzuschaffen?
Seit Jahrzehnten fließt Entwicklungshilfe in Milliardenhöhe nach Afrika. Beim G8-Gipfel in Heiligendamm haben die Teilnehmerstaaten eine erneute Aufstockung der Mittel um 25 Milliarden US-Dollar jährlich zugesagt. Dennoch muss die Hälfte der Bevölkerung mit weniger als einem Dollar pro Tag auskommen; es geht ihnen schlechter als am Ende der Kolonialzeit. Immer lauter werden daher die Stimmen, die die Entwicklungshilfe für sinnlos oder gar schädlich halten. Wäre es also besser, sie abzuschaffen?
JA
Albrecht Heise - Journalist, Filmemacher und Afrika-Experte
In den meisten Ländern der Dritten Welt haben sich in den letzten 40 Jahren die Lebensbedingungen deutlich verbessert – gewöhnlich nicht wegen, sondern trotz der dort geleisteten Entwicklungshilfe. Nur in Schwarzafrika nicht. Dort hat die „Hilfe“ großen Schaden angerichtet und zu einer dramatisch wachsenden Fluchtbewegung in Richtung Europa beigetragen. Wie es dazu kam, ist weitgehend – wenn auch noch nicht ganz – erforscht. Nur fällt es Gebern und Nehmern schwer, selbst anerkannte Forschungsergebnisse zu akzeptieren – denn für beide geht es um die Existenz: Geber müssen um hochbezahlte Posten fürchten und um gute Geschäfte – Nehmer sogar um die Macht.
Je mehr wir helfen, so die Forscher – mit Nahrung, Schulen, Krankenhäusern, Straßen – desto weniger müssen sich die Empfängerstaaten selbst um diese Dinge kümmern. Das verschafft den Regierenden viel Spielraum, sich auf den Erhalt der Macht zu konzentrieren und auf die Vermehrung ihres persönlichen Reichtums. Die Meinung der Bürger kann ihnen dabei egal sein. Sie dürfen es sich nur mit den ausländischen Gebern nicht ganz verderben. Mit deren Hilfe halten sich Staatschefs in Afrika länger an der Macht als irgendwo sonst auf der Welt – und werden reich. 15 Milliarden Dollar wandern Jahr für Jahr von afrikanischen Staatskassen auf verschwiegene Privatkonten, zum Beispiel in der Schweiz. Kein Wunder also, dass in den Augen dieser „Staatseliten“ die Entwicklungshilfe nicht nur fortgesetzt, sondern erhöht werden sollte. Manche pochen gar darauf, als sei das ihr Recht.
Afrikas Intellektuelle und westliche Forscher sehen genau darin das Problem: Solange die Hilfe so reichlich fließt, haben die Empfänger an den Hebeln der Macht keinerlei Anlass, an ihrem kolonial-verstaubten Regierungsstil etwas zu ändern. Ebensowenig am Entwicklungsdefizit ihrer Länder. Hauptsache die Macht bleibt in immer den selben Händen. Das sichert auch so manchen Helfern die gut bezahlten Arbeitsplätze. Und zwar auf Dauer. Der Erfolg ihrer Arbeit wird ja nicht am Grad der bewirkten Entwicklung gemessen (welcher Entwicklung auch?), sondern eher an der Menge des ausgegebenen Geldes, am geordneten „Mittelabfluss“.
In ganz Schwarzafrika sind ständig Mitarbeiter der Hilfsindustrie auf der Suche nach neuen Projekten. Ihre Bezahlung ist abhängig vom Erfolg: Je mehr Hilfsgelder sie an den (schwarzen) Mann bringen, desto höher ihr Lohn. Der Markt ist lukrativ und deshalb heiß umkämpft. Konkurrenz (und Korruption!) auch auf der Empfängerseite. Das bitterarme Volk geht in der Regel leer aus.
„Lasst uns endlich in Ruhe mit eurem Geld!“, höre ich kluge Afrikaner immer wieder sagen, „sonst werden wir unsere Kleptokraten nie los.“ Afrika könne sich nur entwickeln, wenn es sich zuvor von seinen korrupten Regierenden befreit. Solange die aber unter dem Schutz der Entwicklungshilfe stünden, könne es keine Entwicklung geben. Das sieht auch die einschlägige Forschung so.
Nun behaupten die gewerbsmäßigen Helfer, über 80 Prozent ihrer Projekte seien erfolgreich. Doch das haben sie sich stets selbst bescheinigt. Bewiesen haben sie es noch nie! Wie sollten sie auch. Je ärmer ein Land, desto schädlicher die Hilfe, denn gerade dort blockiert sie notwendige Reformen. Deshalb gehört gerade dort die Armutsbekämpfung eingestellt. Sie verlängert nur das Leid der Armen.
NEIN
Hartmut Sangmeister - Professor für Entwicklungsökonomie an der Universität Heidelberg
„Viel Geld um nichts!“ So lautet das vernichtende Urteil des Filmemachers und Publizisten Albrecht Heise über 40 Jahre Entwicklungszusammenarbeit (EZ) mit Afrika. Und er steht mit dieser Einschätzung keineswegs allein. Zu Recht argumentieren Kritiker, dass dort, wo die Rahmenbedingungen für Entwicklung fehlen, EZ wenig bewirken könne und insofern sinnlos sei. Diese vordergründige Diagnose der Vergeblichkeit von „Entwicklungshilfe“ für Afrika wird durch die Berichterstattung vieler Medien verstärkt, die von den eklatanten Misserfolgen und Ruinen der EZ berichten, aber nur selten von deren zahlreichen kleinen Erfolgen und den Verbesserungen, die sie für viele arme Menschen in afrikanischen Ländern ermöglicht hat. Allerdings: Trotz der erheblichen EZ-Mittel, die den Ländern Afrikas südlich der Sahara von der internationalen Gebergemeinschaft zugeflossen sind (allein in den Jahren 2000 bis 2005 waren dies über 84 Milliarden US-Dollar), ist die Zahl der absolut armen Menschen in der Region weiter angestiegen, auf über 320 Millionen.
EZ kann nur so effektiv sein, wie es die politischen, wirtschaftlichen und administrativen Rahmenbedingungen gestatten, unter denen sie stattfindet. Dies bedeutet, dass es gegenüber der traditionellen EZ in Form punktueller Eingriffe auf der Mikroebene – ein Brunnen hier, eine Schule dort – immer wichtiger wird, auf die nationalen Rahmenbedingungen der Partnerländer Einfluss zu nehmen und die Systemwirkung der EZ zu stärken. Dies bedeutet zum Beispiel, dass die EZ mit Afrika gefordert ist, einen aktiven Beitrag zur Konfliktlösung und Krisenprävention zu leisten, wenn dort ein Viertel der Menschen unter Staatskrisen oder bewaffneten Konflikten leidet.
Populärer ist in der Öffentlichkeit der Geberländer zweifellos das Argument, die EZ mit Afrika auf die Armutsbekämpfung zu fokussieren. Sozusagen als präventive Investition für das Sicherheitsbedürfnis der eigenen Gesellschaft, die sich mit dieser „Schutzgeldzahlung“ von den Gefährdungen der aus der Armut erwachsenden Übel freizukaufen hofft, die ihr aus den afrikanischen Ländern zu drohen scheinen. Eine ausschließliche Armutsorientierung der EZ mit Afrika läuft allerdings Gefahr, die überzogene Erwartung zu wecken, sie könne Armutsbekämpfung wirksam für Millionen von Menschen leisten. Diese Erwartung kann EZ niemals erfüllen, selbst wenn die Geberländer bereit wären, erheblich mehr Finanzmittel dafür einzusetzen.
Was vor allem die ärmsten Länder Afrikas in der Weltwirtschaft anzubieten haben – vielfach nur einige wenige Rohstoffe und unverarbeitete Agrarprodukte – ist auf dem Weltmarkt kaum sichtbar. Wichtiger sind in der Weltwirtschaft von heute Informationen, Innovationen, Effizienz und Produktivität. In diesen Bereichen können durch EZ Know-how, Erfahrungen und zusätzliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, die komplementär zu der entwicklungsrelevanten Ressourcenausstattung in den afrikanischen Empfängerländern sind.
Die Chancen der Globalisierung werden in vielen afrikanischen Ländern bislang nur vage wahrgenommen. Stärker wahrgenommen wird dort das hässliche Gesicht der Globalisierung oder dessen, was dafür gehalten wird. Eine ergebnisorientierte EZ mit Afrika muss den Mut zur Prioritätensetzung aufbringen, um die in der Globalisierung angelegten Chancen aufholender Entwicklung auch für die bisher nicht aktiv an ihr teilnehmenden afrikanischen Länder zu verbessern.
von Ellen Holder, Lisa Frilling