17.07.2007
Leben in der Cambridge-Blase
Ungewöhnliche Rituale prägen das Bild der Elite-Universität
Cambridge galt als eine der besten Universitäten der Welt. Ein Grund, warum das Leben dort nicht der realen Welt zu entsprechen scheint. Vom Leben und Studieren in der der „Cambridge Bubble“.
Cambridge ist bekannt dafür, eine der besten Universitäten der Welt zu sein. Vielleicht ist genau das der Grund, warum das Leben dort kaum dem der realen Welt zu entsprechen scheint. Erstsemester dort müssen schnell erkennen, dass sie während ihrer achtwöchigen Trimester in der so genannten „Cambridge Bubble“ leben und studieren werden.
Von Anfang an haben die Studenten eine schwierige Aufgabe vor sich: Cambridge ist eine Elite-Institution und die Neuen müssen bereit sein, sich nicht nur in ihre Bücher zu vergraben, sondern sich auch in die Cambridge-Traditionen einzuleben. Das heißt, sich daran zu gewöhnen, ab und zu die Universitätstracht tragen zu müssen, in der „Formal Hall“ zu essen und auch zu lernen, wie man mit den „College Portiers“ am besten umgehen sollte.
Aber die Studenten müssen sich auch bewusst werden, dass das, was sie in Cambridge erleben, auf elitären Ansprüchen basiert. Sie müssen lernen, ihre Rolle zu spielen. Denn die Tage, in denen nur die soziale „crème de la crème“ einen Platz bekam, sind längst vorbei. Sicher, die Traditionen wirken pompös. Das Ende des akademischen Jahres, die so genannte „May Week“, ist das beste Beispiel dafür: Hier feiern die Studenten eine Woche lang auf mehreren Gartenpartys und Bällen, an denen sie sich sehr fein kleiden und viel Geld für die Eintrittskarten ausgeben.
Auch sonst pflegt die Universität einige merkwürdige Rituale, an die sich die Studenten erst einmal gewöhnen müssen: Beispielsweise fängt die Semesterwoche nicht montags, sondern donnerstags an. Die bereits erwähnte „May Week“ findet im Juni statt, und fast alle Studenten, egal was sie studieren, können als Abschluss einen Bachelor of Arts erwarten. In Cambridge gilt die Mehrheit der Studenten als Geisteswissenschaftler – unter anderem auch die Informatiker und Mathematiker.
Abseits dieser gewöhnungsbedürftigen Rituale ist für die Studenten in Cambridge vor allem eines wichtig: den Kontakt zur Außenwelt nicht zu verlieren. Das ist gar nicht so einfach, denn für viele Studenten beschränkt sich in der „Cambridge Bubble“ die Verbindung nach außen auf den täglichen Online-Nachrichtendienst oder eine der vielen Zeitungen, die in den Aufenthaltszimmern der Institute ausliegen. Da sich die „Colleges“ außerdem hauptsächlich in der Stadtmitte befinden, kennen viele Studenten nur den Kern der Stadt. Dabei kann es sogar vorkommen, dass es Tage gibt, an denen ein Student sein College überhaupt nicht verlassen muss.
Heutzutage ist es so, dass die Studenten nur auf der Basis ihrer akademischen Leistung ausgewählt werden. Die Dozenten suchen keine Fertigware, sondern ein starkes Leistungsvermögen, das sie pflegen können. 99 Prozent der Studenten erkennen, dass man nicht als Genie gilt und monatelang im Elfenbeinturm lebt, nur weil sie einen Platz in Cambridge ergattert haben. Natürlich glauben immer ein paar, vom Himmel gefallen und etwas ganz Besonderes zu sein. Doch den meisten ist klar, dass das Auswahlverfahren in Cambridge einer Lotterie ähnelt, durch deren Raster auch viele intelligente Leute fallen.
Die Studenten müssen hart arbeiten, um den Anforderungen zu genügen. So überrascht es sehr, dass der Leistungsdruck dennoch nicht besonders stark ausgeprägt ist. Es gibt natürlich Studenten, die während des letzten Trimesters im Jahr die Bibliothek kaum noch verlassen und erst nach den Prüfungen, den Sonnenschein anblinzelnd, wieder auftauchen. Aber es ist bemerkenswert, dass in Cambridge die Abschlussurkunden ohne Noten ausgestellt werden, und dass viele Dozenten häufig darauf verzichten, die wöchentlichen Arbeiten zu benoten, was die Studenten oft ahnungslos lässt, wie sie sich mit ihren Kommilitonen vergleichen sollen. Erst im Abschlussjahr steigt die Konkurrenz, denn nur im letzten Teil des Studiums sind die Noten von Bedeutung: was die Studenten am Ende leisten, ist der Maßstab, an dem sie sich und den Erfolg ihres Studiums messen können. Es ist außerdem die letzte Chance, die Noten zu verbessern und Cambridge mit hocherhobenem Kopf zu verlassen.
Die Noten werden in so genannten „class lists“ veröffentlicht, die jeder einsehen kann – auch die Namen erscheinen neben den Noten. So stehen die Studenten ganz erwartungsvoll vor dem Senatshaus, wenn die Listen endlich aufgehängt werden. Es ist ein Moment, den die meisten fürchten. Mit zitternden Knien lesen sie die Listen durch. Einige lassen Champagnerkorken knallen, andere umarmen ihre Freunde, denn wenn man bestanden hat, bedeutet das: Die Zeit in Cambridge ist bald vorbei.
In den letzten Juniwochen findet die Abschlusszeremonie statt. Es dauert ganze drei Tage, bis alle Absolventen persönlich im Senatshaus ihre Bestätigung und Urkunde überreicht bekommen haben. Die Zeremonie selbst läuft folgendermaßen ab: Zuerst versammeln sich die Absolventen vor den stolzen Eltern für das College-Abschlussfoto. Genau wie bei der Immatrikulation tragen sie dabei den Talar, aber diesmal mit einer Kapuze. Die Männer haben zusätzlich eine weiße Fliege, was jedem Zuschauer zeigen soll: „Ich hab’s geschafft!“ Der ganze Tag ist erfüllt von Stimmen, die fragen: „Sitzt meine Fliege richtig?“, „Habe ich meine Kapuze richtig an?“ oder „Hat jemand zufällig ‘ne Sicherheitsnadel?“ Denn die Kapuzen sind schwer, und wehe den Mädchen, die ihre Kapuze nicht nur am Talar, sondern auch an der Bluse – und in einigen Fällen sogar noch zusätzlich am BH – befestigt haben.
Die Studenten gehen dann in einer Prozession zum Senatshaus – und hier fängt es an, wirklich komisch zu werden: Die Studenten warten gemeinsam im Saal, während der „Praelector“, die „College Master“ und die anderen Funktionäre in einer Prozession hinzutreten. Die nun folgende Zeremonie findet komplett auf Latein statt, eine Tradition, die fast 800 Jahre alt ist. In Vierergruppen gehen die Absolventen zum Praelector, und die Studenten umfassen jeweils einen seiner Finger, während er sie der Versammlung vorstellt. Dann gehen die Studenten nacheinander zum Master, und bekommen vor ihm kniend offiziell ihren Abschluss überreicht. Ein Gast kommentierte: „Das ist die merkwürdigste Zeremonie, die ich je in meinem Leben gesehen habe!“.
Für die Absolventen ist die Cambridge-Zeit nunmehr vorbei. Viele haben schon einen Job ergattert und freuen sich auf den Start ins neue Leben. Für die, die noch nicht wissen, was sie machen sollen, steigt die Angst vor der Ungewissheit. Was wohl als nächstes kommen wird? Eine Studentin warnte: „Ich sag dir, dieser Abschluss hat mir mehr Stress gemacht als die Prüfungen selbst.“ Sicher ist: Cambridge erzeugt ehrgeizige Individuen, die in der realen Welt nicht zurückgelassen werden wollen. Aber ein Umstand, der alle Studenten betrifft, und den sie vielleicht zu Recht befürchten, ist: Sie alle müssen die Cambridge-Blase verlassen. Das Leben in dieser Blase kann stressig sein, aber sich schließlich der wirklichen Welt zu stellen, mag wohl die schwierigste aller Aufgaben sein.
von Frances Darby