21.06.2007
Im Mainstream von attac
Ein Interview mit Peter Wahl, Vorstandsmitglied von attac, im Rahmen des IPW-Forums 2007 der Fachschaft des Instituts für Politikwissenschaft der Universität Heidelberg.
ruprecht: In Ihrem Vortrag spielte Afrika eine große Rolle. Müsste man nicht, anstatt immer weitere Erhöhungen der Entwicklungshilfe zu fordern, die Systematik, nach der Hilfe geleistet wird, verändern?
Peter Wahl: Das ist eine richtige Kritik an der Entwicklungshilfe, die seit langem geübt wird und über weite Strecken völlig berechtigt ist. Es kommt viel stärker darauf an, ohne einer Einstellung der Entwicklungshilfe das Wort zu reden, die Strukturen vor Ort selbst zu verändern. Hierzu gehören an erster Stelle Demokratisierung, Empowerment unterprivilegierter und verwundbarer Gruppen, die Stärkung ihrer Rechte und Durchsetzungsmöglichkeiten durch Selbstorganisation, durch Gewerkschaften und NGOs.
Im nächsten Schritt müssen die ökonomischen Verhältnisse verschoben und verändert werden. Es ist viel stärker eine Binnenorientierung nötig, die auf die Bedürfnisse der Menschen in Afrika und nicht jene der Märkte in Europa und Amerika eingeht, wie es in den letzten Jahren der Fall war, etwa im Fall Ostafrikas, wo anstatt Hirse nunmehr Blumen für den europäischen Markt produziert werden. Dies hat zu einem Rückgang der Nahrungssicherheit geführt sowie dazu, dass die Produktion von Großfarmern beherrscht wird. Nur kann man Blumen nun einmal nicht essen. Solche und ähnliche Strukturen gilt es zu verändern. Andernfalls wird Entwicklungshilfe zum Fass ohne Boden.
Aber ist es daher nicht problematisch, aus ökologischen Gründen eine Reduzierung des Überseehandels zu fordern? Kann freier Welthandel nicht dazu dienen, Länder wirtschaftlich zu stärken?
Nein. Chinas Aufstieg ist, ebenso wie jener Japans und Südkoreas, ein Aufstieg der völlig klassisch ablief, ähnlich der Entwicklung in Europa im 19. Jahrhundert, und zwar durch Abschottung und Protektionismus. Liberalisierung und Öffnung erfolgten erst als man international wettbewerbsfähig war. China ist heute noch kein durchliberalisiertes Land.
Es gibt immer noch sehr viele politische Regulierungen. Der Erfolg beruht hierbei also gerade nicht auf der neoliberalen Ideologie. Die Kehrseite der Medaille ist allerdings, dass der chinesische Industrialisierungstyp genau derselbe ist wie jener in Europa während der Industrialisierung. China wird zur Werkbank der Welt mit den entsprechenden ökologischen Schattenseiten.
Könnten die G8, so sie willens wären, bei der von Ihnen geforderten Demokratisierung nicht mehr erreichen als etwa die UNO, nicht zuletzt angesichts des dort herrschenden Einflusses undemokratischer Staaten?
Prinzipiell schon, nur tun sie das nicht. Die G8 konsolidideren viel mehr die bestehenden Machtverhältnisse durch ihr Verhalten. Der Einladung des nigerianischen Staatspräsidenten stand der Umstand, dass die Wahlen undemokratisch, um nicht zu sagen gefälscht, waren offenbar nicht im Wege, was daran liegt, dass er den westlichen internationalen Konzernen weiterhin gestattet, zu guten Konditionen Öl zu fördern.
Im Falle einer Revolution und einer sich an den Interessen der Bevölkerung orientierenden Regierung würde das Öl unter Umständen an andere Abnehmer verkauft, oder selbst genutzt und zum Aufbau und zur Entwicklung des Landes verwendet. Hieran haben Shell, Elf und Co keinerlei Interesse. Und in so einem Fall hat eben auch Frau Merkel daran kein Interesse.
Ist Ihre Kritik somit eher pragmatischer Natur, und geht es Ihnen weniger um die strukturellen Misstände, etwa die mangelnde Representativität oder mangelnde demokratische Struktur der G8, sondern darum, dass die G8 keine „gute“ G8 sind?
Eine „gute“ G8 wäre besser als die G8, die vor allem die Privilegien der Reichen und Mächtigen weiter verteidigt.
Könnte oder müsste attac, um politisch mehr Einfluss zu nehmen, sich nicht anders organisieren, zum Beispiel direkt eingreifen, etwa in Form einer attac-Partei?
Das glaube ich nicht. Das würde attac innerlich zerreißen, das würden viele nicht mitmachen. Ich weiß auch nicht, wie das ausgehen würde. Ein Blick auf die Meinungsumfragen nach Heiligendamm zeigt, dass Frau Merkel gut dasteht; was im Vergleich zu Beck vielleicht auch keine große Kunst ist. Es zeichnet sich immerhin in der bestehenden Parteienlandschaft eine positive Entwicklung ab. Die an diesem Wochenende stattfindene Fusion von Linkspartei und WASG könnte in dieser Hinsicht hilfreich sein, da deren Anspruch ein globalisierungskritischer ist.
Ob dieser Anspruch umgesetzt wird, steht auf einem Blatt. Ich habe da gewisse Zweifel, dass das so bald funktionieren könnte.
Hierbei erscheint jedoch problematisch, dass Linke und WASG eben nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind, wie es bei den Grundwerten von attac der Fall zu sein scheint.
Wenn wir bei Wahlen antreten würden, würden wir die hohen Zustimmungsraten sicherlich nicht halten können. Es ist wohl möglich, dass wir in den Bundestag einziehen könnten; das will ich nicht ausschließen. Dass wir eine Mehrheit erreichen könnten, die es uns erlauben würde, all die notwendigen Entscheidungen zu treffen, bezweifle ich dann doch.
Stellt die Vielfalt von attac hierbei auch ein Problem dar?
Sicherlich. Darüberhinaus würde aber auch unsere Glaubwürdigkeit verloren gehen, wenn wir kandidieren würden. Immer größere Teile der Bevölkerung verlieren das Vertrauen in die repräsentative Demokratie und ich glaube nicht, dass wir hieran etwas ändern könnten.
In letzter Zeit gab es Stimmen, die kritisierten, dass sich bei attac gewissermaßen zentralistische Strukturen herausbilden, dahingehend, dass, auch von Ihnen, beispielsweise Mitteilungen herausgegeben werden, die von der Basis nicht uneingeschränkt unterstützt werden. Sind Sie zu konservativ für attac?
Ich sehe mich mit meinen Aussagen im Mainstream von attac. Attac ist eine sehr pluralistische Organisation, und so kann es passieren, dass man, wie ich nach Heiligendamm, von Teilen des linken Flügels kritisiert wird, während der rechte Flügel ganz zufrieden ist. Hier gibt es naturgemäß Kontroversen und Konflikte, mit denen man umgehen muss. In einer Partei würde so etwas von der Führung unterdrückt, was bei attac nicht geht. Es geht bei attac aber genausowenig, dass der linke Flügel sich gegenüber dem rechten durchsetzt und die Organisation in eine andere Richtung zieht. Hier gibt es eine gewisse Trägheit durch das Konsensprinzip und auch durch die Tatsache, dass wir nicht gezwungen sind, konkrete Entscheidungen zu treffen.
Wenn attac an der Regierung wäre, würde sich wohl auch deswegen nichts ändern, weil sich Einigungen an der Basis sehr langwierig gestalten würden.
Hat das globalisierungskritische Lager hier nicht dahingehend ein Problem, dass es ihm schwerfällt, sich auf gewisse Kernthemen zu konzentrieren? Noam Chomsky betont, dass hochgradig ideologisierte antiimperialistische Positionen der Bewegung eher schaden, da sie Kräfte binden, die anderorts gebraucht werden.
Das ist die Realität von attac. Mir wird manchmal unheimlich, wenn ich erlebe, wie die Bewegung zu einem Hoffnungsträger hochstilisiert wird, von dem erwartet wird, dass er die Welt retten könnte; weder wir noch die G8 werden die Welt retten. Hier muss sich noch vieles verändern, und müssen unsere eigenen Grenzen realistisch einschätzen.
Müsste sich attac hierzu nicht entideologisieren, um überhaupt Kernthemen festlegen zu können?
Es ist sicherlich ein Problem, dass wir zu viele Themen haben. Andererseits gehört dies zu den Widersprüchen, mit denen attac leben muss. Wir akzeptieren und befürworten die Selbsttätigkeit unserer Mitglieder, sodass wir die Beschäftigung mit etwa Gentechnologie nicht zugunsten anderer Bereiche wie Armutsproblematik beschränken würden. Dies gehört zu unseren Dilemmata, weshalb die Handlungsfähigkeit von attac in Fällen konkreter Entscheidungen nicht übermäßig groß einzuschätzen wäre, von eindeutigen Konsensfällen einmal abgesehen. Während niemand bei attac für die Privatisierung der Bahn ist, gibt es im Bereich Steuerpolitik oder Armutsbekämpfung bereits große Differenzen.
Eine Entideologisierung ist daher ein unrealistisches Ziel. Selbst Einzelthemen wie die Armutsproblematik lassen sich nicht in einem ideologischen Vakuum bearbeiten, da unterschiedliche Analysen der Gründe bereits zu Differenzen führen.
Mittlerweile legt attac großes Gewicht auf die Ökologie, vor allem die Klimaentwicklung. Wie stark lenkt das von anderen Problemen, wie Hungerkatastrophen ab, beziehungsweise widerspricht ihrer Lösung, wie zum Beispiel im Fall der Malariabekämpfung mit DDT?
Themenkonkurrenz ist ein schwierig zu handhabendes Problem. Wir versuchen dies durch Verknüpfung aufzulösen, indem darauf hinweisen, dass die größten Opfer der Klimakatastrophe die Menschen in Afrika sein werden. In unseren Breiten gibt es, so zynisch das klingen mag, auch Gewinner, wenn etwa in Brandenburg Riesling angebaut werden kann oder die Ostsee zum Urlaubsparadies wird, weil die Hitze am Mittelmeer nicht mehr auszuhalten ist; das ist ein Problem. Während sich also die Sahara immer weiter nach Süden ausbreitet, das Wasser knapper wird und somit Menschen ihrer Lebensgrundlage beraubt werden, gibt es aus solche, für die die Entwicklung wirtschaftlich attraktiv ist.
Was ist Ihre Vision von attac in zehn Jahren?
Vielleicht hat Attac dann zwei Millionen Mitglieder, ist aber hoffentlich nicht so bürokratisiert und erstarrt, wie dies bei Großorganisationen üblich ist, sondern wird seine große Lebendigkeit und Frische bewahrt haben und dynamisch geblieben sein.
Herr Wahl, vielen Dank für das Gespräch.
von Stefan Dworschak