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06.05.2007

Ein Regisseur des mythischen Realismus

Seit fast 50 Jahren dokumentiert Luis Figueroa die andine Kultur

Der peruanische Regisseur Luis Figueroa repräsentiert in seinen Dokumentarfilmen die Kultur der Anden. Beim Heidelberger Festivals "Cine Latino" stellte der 78-jährige seine bekanntesten Filme Yawar Fiesta (1982) und Perros hambrientos (1976) vor. Der ruprecht traf den politisch engagierten Filmemacher am Rande des Festivals.

Im Foyer des Karlstorkinos steht ein fröhlicher, kleiner Mann umringt von einer Hand voll Fans: Es handelt sich um den peruanischen Regisseur Luis Figueroa. Geduldig gibt er Autogramme und posiert für Erinnerungsfotos. Seine Augen strahlen und scheinen gar nicht zu wissen, wohin sie zuerst blicken sollen. Da er kein Deutsch versteht, wendet er sich immer wieder hilfesuchend an seine Dolmetscherin.


ruprecht: Señor Figueroa, ich habe gehört, Sie haben Familie in Deutschland?

Luis Figueroa: Meine Tochter lebt zusammen mit meinem kleinen Enkelsohn seit über 15 Jahren in Nürnberg. Leider kann ich sie nur sehr selten besuchen.

Sind Sie zum ersten Mal in Heidelberg?

Ja und es ist für mich ist es ein wirkliches Privileg, in einer so wunderschönen Stadt zu sein!

Bevor Sie Regisseur wurden, arbeiteten Sie in den 50er-Jahren als Maler. Wie würden Sie ihren damaligen Stil beschreiben?

Ich habe viel mit Aquarellfarben gearbeitet. Dabei habe ich aber keine Pinsel benutzt, sondern eine ganz eigenen Technik angewandt: Ich habe das Papier hin- und hergeschwenkt, so dass die Farben verliefen und sich vermischten – eine Art „Action-Painting“.

Warum haben Sie aufgehört zu malen und begonnen Filme zu machen?

Da mein Vater ein bekannter Maler und Fotograf war, hatte ich sehr früh die Möglichkeit, mir einen besonderen Blick für diese Art der Künste anzueignen. So richtig zum Film bin ich erst durch das schwere Erdbeben in Peru von 1950 gekommen. Damals wurde Cuzco, die alte Hauptstadt des Inkareichs, fast völlig zerstört. Ein Jahr später wurde in der Stadt eine Restaurationsschule gegründet, für die ich arbeitete. Dabei lernte ich die verschiedenen Perspektiven kennen, aus denen man Gebäude betrachten kann. Ich beobachtete auch die vielen Arbeiter, Künstler und Maler, die versuchten, die Vergangenheit wieder herzustellen. In dem Moment entdeckte ich, dass die Gegenwart wunderschön war.

Sie hatten Ihre größten Erfolge mit den beiden Literaturverfilmungen Yawar Fiesta und Perros hambrientos in den 1970er und 80er Jahren. Was motiviert Sie nach so vielen Jahren, so weit zu reisen und über ihre Arbeit zu reden?

In den letzten Jahren habe ich 30 Filme gedreht, davon sind 20 bisher noch nicht einmal ausgestrahlt worden. Ich stecke also noch mitten im Filmgeschäft und habe noch eine Menge vor. Meine früheren Filme, wie Kukuli, Perros hambrientos und auch Batalla ritual sind Teil eines neuen Konzepts des Andenkinos. Das Andenkino umfasst viel mehr Länder als Peru, sondern auch Filme aus Bolivien, Chile, Ecuador und dem Norden Argentiniens. Die gesamte Region ist ein riesiger, historischer Raum des Films, der immer noch aktuell ist.

Ihr Film Batalla ritual ist direkt, nachdem Sie ihn 1975 fertiggestellt hatten, von der peruanischen Regierung verboten worden. Warum?

Der Film handelt vom traditionellen Glauben der indigenen Bevölkerung und beschreibt deren traditionelle Riten. Darin kommen auch Andenpriester zu Wort, die sich kritisch über die von den USA finanzierten Sekten in Peru äußern. Der damalige peruanische Diktator General Morales Bermúdez und die katholische Kirche Perus betrieben damals eine sehr religiöse Politik. Sie wollten das heidnische Götzenbild und alle aus der Kolonialzeit übriggebliebenen Vorstellungen ausrotten. Außerdem verurteilen die indigenen Gelehrten im Film die Ausbeutung der Bauern und unserer natürlichen Rohstoffe. General Bermúdez war damals nur ein Instrument US-amerikanischer Konzerne, die sich an unseren Ressourcen bereicherten.

Hatte die Regierung Sie damals gezwungen, das Land zu verlassen?

Ich ging freiwillig ins Exil nach Paris, nahm aber eine Kopie des Films mit. Die peruanische Regierung verlangte diese mehrmals zurück, doch ich habe mich geweigert.

Wie kam es zur Wiederaufführung von Batalla ritual?

In Paris half mir nun das Centre Pompidou, die mittlerweile ziemlich zerkratzten Aufnahmen zu restaurieren. Nach über 30 Jahren wird der Film in diesem Jahr erstmals in Peru uraufgeführt und wird im November beim Filmfestival von Paris laufen. Naja, und beim nächsten Filmfestival in Cuzco will ich natürlich gewinnen.

Viele lateinamerikanische Künstler gingen aus politischen Gründen in Exil nach Paris. Die dortige Avantgardebewegung beeinflusste viele der Exilanten maßgeblich. Welchen Einfluss hatte Paris auf ihre Arbeit?

Der Kontakt mit Frankreich war für mich sehr wichtig. Bereits 1958 war ich zum ersten Mal in Paris. Dort lernte ich den Guru der französischen Surrealismusbewegung, André Breton, kennen. Er war fasziniert von meinem Film und meinte: „Das ist ja magischer Realismus“. Breton lobte mich als großes Talent und der Film wurde bald darauf sogar im französischen Fernsehen ausgestrahlt. Das war ein riesiger Erfolg für mich.

Woher kommt Ihr Interesse an den Bräuchen und am Glauben der indianischen Bevölkerung?

Ich empfinde die indigenen Traditionen als wesentlichen Bestandteil und Symbol meiner Kultur. International sind diese leider noch immer sehr unbekannt, obwohl sie den kreativen Raum vieler bekannter Künstler wie José María Arguedas oder Ciro Alegría bieten. Es existieren keine schriftlichen Dokumente über diese Kultur, da diese hauptsächlich mündlich überliefert wird. Das verleiht ihr einen sehr lebendigen, aber auch sehr flüchtigen Charakter. Es ist also notwendig, diese Kultur am Leben zu erhalten.

Manche Stimmen behaupten, dass die andine Kultur nicht nur flüchtig, sondern sogar tot sei.

Nein, die andine Kultur lebt mehr denn je und bietet auch für viele Probleme der Welt eine Lösung an. So ist zum Beispiel die Gegenseitigkeit unter den indigenen Völkern eine Selbstverständlichkeit. Es würde etwas fehlen, wenn diese faszinierende Welt der andinen Kultur nur in der Literatur und Anthropologie präsent wäre.

Ihr Film Perros hambrientos aus dem Jahr 1976 handelt von der sozialen Misere der Indios durch den Konflikt mit der dominanten westlichen Kultur. Wie aktuell ist dieses Problem heute?

In Perros hambrientos geht es um den Konflikt zwischen Gutsherrn und Indianern, den es in der Form in Peru nicht mehr gibt. Als die peruanischen Großgrundbesitzer Anfang der 70er Jahre vom Staat enteignet wurden, endete dieses Machtverhältnis. Heute sind die multinationalen Unternehmen, die sich in den ländlichen Kommunen ansiedeln und die natürlichen Rohstoffe rücksichtslos ausbeuten, an die Stelle der Großgrundbesitzer getreten.

Inwiefern?

Die Unternehmen verschmutzen das Trinkwasser, holzen die Wälder ab und bereichern sich an den Ölvorkommen des Landes. Damit entreißen sie den Indios ihre Lebensgrundlage. Das ist noch schlimmer als der frühere Konflikt, da die Großgrundbesitzer die Natur noch respektiert und über die Folgen ihrer Handlungen nachgedacht haben.

Wenn Sie bei den Indios drehen, leben sie auch mit ihnen zusammen. Wie gehen diese mit ihnen als Außenstehenden um?

Ich werde nicht als "Außenstehender" behandelt, da ich und alle meine Mitarbeiter deren Sprache Quechua sprechen. Das ist ein großer Vorteil, da wir so automatisch dazugehören und die Bewohner während der Dreharbeiten die Kamera bald nicht mehr wahrgenommen haben. Das zeigt, dass Filmemacher wie ich Teil dieser Kultur sind und sie von innen heraus präsentieren können.

Sie haben viele Dokumentarfilme gedreht, aber nur wenige Spielfilme. Was macht Ihnen mehr Spaß?

Ich stecke in alle meine Filme die gleiche Energie und gehe grundsätzlich mit der gleichen Leidenschaft vor.

Haben Sie einen Unterschied zwischen der Arbeit mit ausgebildeten Schauspielern oder Laiendarstellern bemerkt?

Es gibt keine Arbeit, die leichter wäre oder von der ich behaupten würde, dass sie mir besser gefällt. Den Unterschied sieht man sehr gut bei Yawar Fiesta: Der böse und brutale Großgrundbesitzer spielt natürlich nicht sich selbst, die Indios hingegen waren „echte“ einfache Bauern.

Würden Sie sich als perfektionistischen Regisseur beschreiben?

Ich würde mich einfach nur als Regisseur des „mythischen Realismus“ bezeichnen wollen. Mehr nicht.

Vielen Dank für das Gespräch!


Das Interview führte Ulrike Worlitz. Übersetzt von Bettina Clasen.
Fotos: Michael Doh

von Ulrike Worlitz
   

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