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 Heidelberg
15.05.2007

Neue Religiosität trotz leerer Kirchen?

Fazit des 19. Heidelberger Symposiums „Renaissance der Religion?“

Erlebt die Religion wirklich eine Renaissance oder ist die religiöse Dimension nur ein Unterpunkt in einer globalen Wertedebatte? Vorträge, Kolloquien und Diskussionen sollten beim 19. Heidelberger Symposium auf diese vielschichtige Frage eine Antwort finden.

Erlebt die Religion wirklich eine Renaissance oder ist die religiöse Dimension nur ein Unterpunkt in einer globalen Wertedebatte? Vorträge, Kolloquien und Diskussionen sollten beim 19. Heidelberger Symposium auf diese vielschichtige Frage eine Antwort finden.

Eröffnungsredner und Schirmherr der Veranstaltung Heiner Geißler verweist gerne auf die politische Dimension des Evangeliums. Für ihn ist Religion eng verknüpft mit der Frage nach der „richtigen“ Ordnung: Das Evangelium als sicherer Boden für das Zusammenleben der Menschen und Grundlage einer fundierten Gerechtigkeit. Werte bedeuten nach Geissler, dass christliche Moralvorstellungen in politische Entscheidungen einzufließen haben. Dem Bundespräsidenten-Credo „Arbeit hat Vorfahrt“ stimmt er beispielsweise nur teilweise zu, denn bedeutsam sei auch die Frage, ob es sich um würdige Arbeit handelt. Der Mensch sei mehr als ein Kostenfaktor und Religion wirke quasi als Heilmittel gegen eine „entsolidarisierte“ Gesellschaft.

Hier stellt sich die Frage, inwieweit ein derart begründeter Wertekanon als Renaissancebewegung anzusehen ist. Insbesondere linke Politiker dürften widersprechen und darauf verweisen, dass Gerechtigkeit und Solidarität keine Frage der Religion sind. Auch scheint weniger Religiosität im Allgemeinen als vielmehr ein religiös motivierter Diskurs neu aufzublühen. Die Menschen sind interessiert, jedoch ohne ihr eigenes Handeln direkt in einen religiösen Kontext einzuordnen. Gerade in Deutschland bleiben die Kirchen überwiegend leer – trotz der Millionen Schaulustigen beim Papstbesuch.

Ist die Sehnsucht nach Religion evolutionär bedingt?

Ist das Interesse an Religion und deren Ausübung wohlmöglich eine evolutionäre Konsequenz? Für Professor Eckhart Voland, der selbst überzeugter Agnostiker ist, erzeugen religiöse Elemente wie Mystik, Ethik, Rituale und Mythen durchaus einen evolutionären Vorteil. Ist die Renaissance der Religion also gar keine echte Wiederentdeckung, sondern ein permanenter Bestandteil unseres evolutionären Erbes? Die Sehnsucht der Menschen nach Gemeinschaft, Tradition und Sicherheit lässt sich jedenfalls mit dieser Argumentation begründen.

Voland vergleicht die Entwicklung der eigenen Religiosität mit dem Spracherwerb. Die Umgebung forme aus einer instinktartigen Anlage die persönliche religiöse Überzeugung. Demzufolge könne man auch nicht von einer Renaissance der Religion sprechen; als universelle Veranlagung sei sie nie verschwunden.

Auch in der abschließenden Podiumsdiskussion, die das Verhältnis zwischen Staat und Kirche beleuchtete, war der Tenor: die Kirche ist nie verschwunden gewesen, aber sie dringt wieder mehr ins Bewusstsein. Das Interesse an religiösen Diskursen nehmen zu, die Menschen seien jedoch nicht religiöser geworden, bestätigten die Rechtswissenschaftler Winfried Hassemer und Jörg Winter. Das spiegelte sich auch in den jeweiligen Anschlussdiskussionen wider.

Kam es bei den meisten Diskussionen nicht zu starken Kontroversen, entwickelte sich in der besagten Abschlussdiskussion doch noch ein Streitgespräch. Im Zentrum der Auseinandersetzung stand die Frage, wie sehr sich die Kirche in staatliche Belange einmischen dürfe und wie es um das Verhältnis zu den in Deutschland lebenden Muslimen bestellt sei. Aiman Mazyek, Generalsekretär des Zentralrats der Muslime in Deutschland, sieht den Islam in einer tiefen Depression, da er als Negativfolie missbraucht werde, obwohl ein Bekenntnis zu einer Werteordnung existiere.

Religion kann Orientierung stiften

Schließlich einigte man sich auf einen weitgehenden Konsens: Das Christentum, als die große Religion innerhalb Deutschlands, solle am politischen Prozess mitwirken. Dabei dürfe aber die „göttliche Eingebungen“ nicht als Legitimierung für kriegerische Kreuzzüge benutzt werden.

Diskutiert wurde gleichfalls die Frage nach der Zukunft des Religionsunterrichts in Deutschland. Bislang werden die beiden großen Konfessionen in Deutschland gelehrt, Andersgläubige können sich vom Unterricht befreien lassen. Daher scheint es überlegenswert, ob nicht ein Rückzug der Religionen ins Private sinnvoll wäre und stattdessen an den Schulen ein allgemeiner, religionswissenschaftlicher Lehrplan angeboten werden sollte.

Als Fazit der Podiumsrunde und auch des Symposiums ist ein Trend zur Religion im öffentlichen Raum auszumachen. Religion als reine Privatsache sei nicht wünschenswert, denn als wichtige Quelle auf der Sinnsuche könne sie denn Menschen auf ganz unterschiedliche Weise behilflich sein, auch wenn allein dadurch die Mitgliederzahlen in den Kirchen noch nicht steigen.

von Jörn Basel, Nine Luth
   

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