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15.05.2007

Schmerzfrei testen

Heidelberger Wissenschaftler tüfteln an Tierversuch-Alternativen

Wie ein Forschungslabor sieht der Arbeitsplatz von Jürgen Schneele auf den ersten Blick nicht aus: Auf dem Tisch stapeln sich Paletten voller Hühnereier, in der Luft hängt eine Ahnung von dem Geruch von frisch aufgeschlagenem Ei. Wären da nicht die Mikroskope, Computer und Pipetten, würde der ahnungslose Besucher wohl zuerst auf eine Großküche tippen.

Wie ein Forschungslabor sieht der Arbeitsplatz von Jürgen Schneele auf den ersten Blick nicht aus: Auf dem Tisch stapeln sich Paletten voller Hühnereier, in der Luft hängt eine Ahnung von dem Geruch von frisch aufgeschlagenem Ei. Wären da nicht die Mikroskope, Computer und Pipetten, würde der ahnungslose Besucher wohl zuerst auf eine Großküche tippen.

Dem ersten Anschein entgegen arbeiten die Wissenschaftler am Institut für Pharmazie und Molekulare Biotechnologie der Uni Heidelberg hier an einer Methode, mit der zuverlässig und schnell getestet werden kann, ob bestimmte Chemikalien durch Augen- oder Hautkontakt Reizungen hervorrufen, dem „Hen‘s Egg Test – Chorioallantois Membrane“ (HET-CAM). Solche Tests schreibt der Gesetzgeber für eine lange Reihe von Produkten vor: Von der Scheuermilch bis zum Badezusatz müssen alle Haushaltschemikalien, Arzneimittel und Kosmetika auf ihre Giftigkeit hin untersucht werden, bevor sie – gegebenenfalls mit Warnhinweisen versehen – den Markt erobern dürfen.
 
„Die Standardmethode ist da immer noch der ‚Draize-Test‘“, erklärt Jürgen Schneele. „Dabei gibt man die zu testende Substanz mehreren Kaninchen in die Augen und schaut, welche Auswirkungen das hat.“ Meist sind das Rötungen und Schwellungen, nicht selten bluten die Augen oder bilden Geschwüre. Über Stunden oder ganze Tage werden die Reaktionen des Kaninchenauges beobachtet und akribisch protokolliert, um anhand dessen die Giftigkeit einer Chemikalie einzuschätzen. Die Kaninchen bleiben während der gesamten Prozedur in einem Gestell festgeschnallt, sodass sie sich die Substanzen nicht aus den Augen reiben können.

Grausam, extrem ungenau und noch dazu wenig aussagekräftig – so lautet schon seit langem die vielstimmige Kritik am Draize-Test. Nicht nur erklärte Tierschützer machen sich für die Abschaffung der Tests am Kaninchen stark. Da der Experimentator beim Draize-Test die Giftigkeit der Chemikalien nach subjektiven Kriterien beurteilt, schwanken die Resultate je nach Labor stark. Darüber hinaus ist fragwürdig, in welchem Maß Erkenntnisse über die Auswirkungen einer Substanz auf ein Kaninchenauge überhaupt auf die menschlichen Schleimhäute und Augen übertragen werden können.

Hühnerei ersetzt Kaninchenauge

Dennoch wird der 1944 entwickelte Draize-Test noch immer in großem Maßstab eingesetzt. Chemie- und Pharmafirmen verweisen stets auf den Gesetzgeber, der sie um der Produktsicherheit willen in die Pflicht nehme: Neuere Richtlinien der EU und OECD erlauben zwar, die Anzahl der Versuchskaninchen drastisch zu reduzieren, aber in vielen Fällen ist der Draize-Test noch immer gesetzlich vorgeschriebene Routine. Allein in Deutschland kamen so im Jahr 2005 im Rahmen von Qualitäts- und Sicherheitskontrollen über 90 000 Kaninchen um.
Die HET-CAM-Methode verwendet alternativ zum Draize-Test die Chorioallantois-Membran (CAM) des Hühnereis als Testorgan – ein dünnes Häutchen, das sich wenige Tage nach der Befruchtung an der Innenseite des Eis bildet und das Hühnerembryo mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt. Die Chorioallantois-Membran enthält ein feines Netz aus Blutgefäßen; das Nervensystem des Hühnerembryos jedoch ist zu dem Zeitpunkt, an dem der HET-CAM durchgeführt wird, noch so unentwickelt, das es keine Schmerzempfindungen zulässt.

Schon 1985 entdeckte der Osnabrücker Pharmakologe und Toxikologe Niels-Peter Luepke, dass die Versorgungsmembran des Embryos empfindlich auf reizende Chemikalien reagiert: Wenige Minuten nach dem Kontakt mit der Chemikalie treten deutliche Symptome auf, die zur Klassifizierung giftiger und reizender Stoffe verwendet werden können. Drei Reaktionen lassen sich unterscheiden: Blutungen der Membran (im Bild rechts mittig), die Gerinnung des Blutes in den Adern (rechts oben), und die Disintegration von Blutgefäßen (rechts unten).

„HET-CAM liefert billiger, schneller und zuverlässiger Resultate als der Draize-Test“, argumentiert Schneele, der für seine Doktorarbeit untersucht, ob man mittels HET-CAM auch ätherische Öle klassifizieren kann – eine Frage, die vor allem die kosmetische Industrie interessiert.

Bevor eine neue Testmethode den Sprung in die Labors der Industrie schafft, muss sie in einem mühsamen Verfahren validiert werden. An über hundert Substanzen müssen verschiedene Labors eine Alternativmethode erproben, bevor diese vom Gesetzgeber akzeptiert wird. „Das kann ein Institut alleine gar nicht leisten“, so Schneele.

Die deutsche „Zentralstelle zur Erfassung und Bewertung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zu Tierversuchen“ (ZEBET), die auch das Validierungsverfahren für HET-CAM organisierte und unterstützte, gibt jährlich etwa vier Millionen Euro für die Entwicklung und Evaluierung von Alternativmethoden aus – eine winzige Summe, verglichen mit der finanziellen Ausstattung anderer Forschungsbereiche.

Eiertanz um die Validierung

Die größte Hürde bei der Validierung neuer Verfahren ist jedoch, dass die Altermativmethoden stets die Ergebnisse des bisher vorgeschriebenen Tierversuchs reproduzieren müssen. Bei einem so ungenauen Verfahren wie dem Draize-Test ist das kaum zu bewerkstelligen.

Einen großen Erfolg konnte eine Kollaboration von acht Instituten und Firmen mit dem HET-CAM bereits verbuchen: Bei stark reizenden Substanzen darf HET-CAM nun den Test am Kaninchenauge in Frankreich und Deutschland ersetzen. Allerdings müssen Stoffe, die im HET-CAM kein Ergebnis liefern, nach wie vor am Kaninchen getestet werden. Die Forschungsgruppe um Jürgen Schneele gibt sich damit noch lange nicht zufrieden: Die Wissenschaftler sind überzeugt, dass Luepkes Methode den Draize-Test bei toxikologischen Untersuchungen weit öfter ersetzen kann.

Über die Hälfte aller Versuchstiere werden allerdings in der bio­lo­gischen und medizinischen Grundlagenforschung gebraucht. Dort gibt es bisher kaum Alternativmethoden für die gängigen Tierversuche. Besonders schwierig gestaltet sich die Situation bei transgenen Tieren, deren Erbgut manipuliert wurde, um beispielsweise die Funktionsweise von Proteinen zu untersuchen.
„Die sofortige Abschaffung aller Tierversuche würde momentan eine erhebliche Einschränkung für die biologische, medizinische und pharmazeutische Forschung bedeuten“, meint auch Schneele, „das ist wohl nicht durchsetzbar. Es muss aber verstärkt daran gearbeitet werden, Tierversuche so weit und so bald wie möglich zu ersetzen. Es sollte mittlerweile auf vielen Gebieten möglich sein, bessere, aussagekräftigere Methoden zur Verfügung zu stellen.“

von Helga Rietz
   

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