Dies ist ein Archiv der ruprecht-Webseiten, wie sie bis zum 12.10.2013 bestanden. Die aktuelle Seite findet sich auf https://www.ruprecht.de

ruprecht-Logo Banner
ruprecht/Schlagloch-doppelkeks-Jubiläum
Am 13.10. feiern wir 25 Jahre ruprecht/Schlagloch und 10 Jahre doppelkeks [...mehr]
ruprecht auf Facebook
Der aktuelle ruprecht
ruprecht vor 10 Jahren
Andere Studizeitungen
ruprechts Liste von Studierendenzeitungen im deutschsprachigen Raum
ruprecht-RSS
ruprecht-Nachrichten per RSS-Feed
 Weltweit
15.05.2007

Zähne zeigen an der Grenze

Ein politisches Flaggenritual zwischen Pakistan und Indien

Regen fällt auf die satten, grünen Wiesen und Felder des Punjab, dem an der Grenze zu Pakistan liegenden Bundesstaat in Indien. Wir sind auf dem Weg zur allabendlichen Grenzzeremonie bei den Orten Attari auf der indischen und Wagah auf der pakistanischen Seite.

Von Cara Schwalb aus Amritzar (Indien)

Die beiden südasiatischen Länder, die 1947 durch eine blutige Teilung aus Britisch-Indien entstanden sind und einander als Atommächte gegenüber stehen, veranstalten jeden Abend am Grenzposten eine aufwändige und bei Zuschauern beliebte Grenzschließungszeremonie. 

Unser Fahrer, ein Mitglied der im Punjab dominierenden Religionsgruppe der Sikh, zu erkennen an ihren stattlichen Turbanen, stoppt das Taxi auf einem schlammigen Parkplatz. Den letzten Kilometer zum eigentlichen Spektakel müssen wir zu Fuß zurücklegen. Mit uns sind hunderte Inder aus allen gesellschaftlichen Schichten unterwegs, darunter ganze Großfamilien, die sich bei fliegenden Händlern schon einmal mit Fähnchen und Mützen in den indischen Landesfarben eindecken.

Gelenkt von Polizei und Armee erreichen wir den Ort des Geschehens. Auf beiden Seiten der durch ein Eisentor markierten Grenze befinden sich große Steintribünen, die sich langsam zu füllen beginnen. In Pakistan hält man sich dabei streng an die Geschlechtertrennung: Die linke Tribüne ist für Frauen, die rechte für Männer reserviert. Auch auf der indischen Seite versuchen Soldaten den nicht enden wollenden Besucherstrom zu regeln – eher vergeblich. Trotz einzelner kleiner Rangeleien um die besten Plätze ist die Stimmung dabei ausgelassen und friedlich.

Kurz vor Beginn der Zeremonie haben sich trotz des schlechten Wetters auf beiden Seiten geschätzte 5000 Zuschauer versammelt. Bevor die eigentliche Zeremonie anfängt, laufen auf beiden Seiten mehrere kleine Rituale ab. Auf der durch das eiserne Tor getrennten Grenzstraße veranstalten einige Teilnehmer Fahnenwettläufe. Dabei stürmen je zwei junge Männer mit der  indischen beziehungsweise pakistanischen Nationalflagge von einem bestimmten Punkt aus auf das eiserne Tor zu. Inder und Pakistani bejubeln dabei lautstark die Läufer der eigenen Nation. Wer das Ziel als Schnellster erreicht, ist Sieger dieses kleinen Duells.

Während dieser Wettkämpfe spielt durchgehend laute Hindi-Musik, immer wieder unterbrochen von einem jungen Mann, der, verstärkt durch ein Megaphon, die Menge anheizt. Rufe wie „Hindustan Zindabad!“ (Es lebe Indien!) und „Bharat mata ki!“ (Heil Mutter Indien!) werden von hunderten Kehlen beantwortet. Von der pakistanischen Seite schallen ähnliche Rufe herüber. Die Spannung steigt und die regenfeuchte Luft vibriert fast vor patriotischen Gefühlen. Auch bei uns unbeteiligten Gästen verursacht dies Gänsehaut.

Als die eigentliche, nur wenige Minuten dauernde  Zeremonie beginnt, werden die jeweiligen Landesfahnen gehisst und die in Paradeuniformen gekleideten Soldaten verlassen im Stechschritt ihre Posten. Die Menge bejubelt dabei jede Bewegung „ihrer“ Soldaten, die in genau vorgegebenen Schrittfolgen zu dem eisernen Grenztor eilen. Als sich das Tor öffnet und sich nun indisches und pakistanisches Militär Auge in Auge gegenüber stehen, hält es die Zuschauer kaum noch auf den Rängen.

Es kommt zu einem kurzen Händeschütteln zwischen den Soldaten beider Länder und nach weiteren, heftig bejubelten akrobatischen Schrittfolgen und militärisch- akkuratem Salutieren werden die Fahnen der Länder wieder eingeholt. Dabei achten beide Seiten darauf, dass keine der Flaggen höher steht als die andere, denn dies würde eine Überlegenheit des jeweiligen Landes andeuten. Nachdem die Soldaten ihre Fahne wieder zurück in den Grenzposten getragen haben, ist die Zeremonie zu Ende und die Zuschauer strömen auf die Straße, um mit den Soldaten für Erinnerungsfotos zu posieren. Während der Zeremonie ist alles friedlich geblieben.

Das ist nicht selbstverständlich zwischen zwei Ländern, die seit 1947 mehrere Kriege gegeneinaner geführt haben. Zwar unternehmen  beide Seiten immer wieder friedliche Annäherungsversuche, doch die diplomatischen Bemühungen können die Zähne zeigen an der Grenze ideologischen Gräben noch nicht überwinden. Die beiden Staatskonzepte, Indiens Säkularismus und Pakistans muslimischer Hintergrund, stehen einander diametral gegenüber. Der bilaterale Konflikt entzündet sich immer wieder in der seit Jahrzehnten von beiden Ländern zum Teil besetzten Kaschmir- Region, die beide Staaten vollständig für sich beanspruchen. Kaschmir gilt als eine der großen Krisenregionen der Erde; bis heute steht eine Lösung des Konfliktes aus.


DIE INDISCH-PAKISTANISCHE GRENZE

Im Jahr 1947 wurde Britisch-Indien in die Staaten Indien und Pakistan g
eteilt. Seitdem haben beide Staaten drei Kriege gegeneinander geführt: 1947, 1965 und 1971. Zuletzt gab es in der Kargil-Region in Kaschmir eine lokal begrenzte militärische Auseinandersetzung zwischen Indien und Pakistan, die aber nicht zu einem Krieg eskalierte. Die tägliche friedliche Zeremonie, die an dem einzigen Ãœbergang entlang der indisch-pakistanischen Grenze zwischen Amritsar und Lahore stattfi ndet, stellt eine Ausnahme in der sonst so konfliktbelasteten Beziehung dar. Genau durch diesen Grenzbereich bei den Orten Attari und Wagah fährt auch die Zuglinie „Samjhauta“, welche die indische Hauptstadt Neu-Delhi und das pakistanische Lahore verbindet. Diese ist im Jahre 2004 wieder in Betrieb genommen worden, was als ein symbolischer Akt der gegenseitigen Annäherung interpretiert wurde. Die positive Entwicklung der letzten Zeit wurde allerdings durch einen Anschlag auf einen Zug am 19. Februar diesen Jahres gefährdet.

von Cara Schwab
   post@ruprecht.de">

Archiv Weltweit 2024 | 2023 | 2022 | 2021 | 2020 | 2019 | 2018 | 2017 | 2016 | 2015 | 2014 | 2013 | 2012 | 2011 | 2010 | 2009 | 2008 | 2007 | 2006 | 2005 | 2004