15.05.2007
Zeitung bei jedem Wetter
Der Zeitungsverkäufer Horst
Er steht fast jeden Tag neben dem Eingang der Bäckerei „Kamps“ und verkauft den „Straßenfeger“. Passanten grüßen ihn zum Teil mit Namen: Er heißt Horst und ist gebürtiger Berliner. Dass er eine Berliner Straßenzeitung verkauft, ist allerdings nur Zufall.
Vor zwölf Jahren verlor der ausgebildete Einzelhandelskaufmann seinen Arbeitsplatz, 1999 wurde ihm die Stelle als Zeitungsverkäufer angeboten, seitdem fühlt er sich frei. Er entscheidet selbst, wie viele Zeitungen er heute verkaufen möchte, ob er spontan den Standort wechselt, oder wie viele Stunden er heute auf der Straße steht.
Die meisten Menschen, so sagt er, sind in Arbeitsprozesse eingebunden, die sie völlig vereinnahmen, ihnen den Raum für soziales Leben nehmen und doch letztendlich nicht glücklich machen. Viele würden die dahinter stehende Ausbeutung und die Lügen nicht erkennen oder verdrängen und so am Ende in irgendeiner Art und Weise krank werden. Sozialkontakte beschränken sich oft auf Konkurrenz, Mobbing und Stammtischdiskussionen, was ihn irgendwann anekelte.
Seiner Meinung nach sind das Wichtigste ein Obdach, Kleidung und Nahrung, außerdem Liebe und Zuneigung. Er hat eine Wohnung, Kleider am Leib sowie genug zu essen und ist damit absolut zufrieden.
Nur einsam ist sein Leben manchmal. Für viele ist es schwierig, eine Beziehung mit jemandem einzugehen, der nicht den Konventionen der Gesellschaft entspricht. Die Leute ließen sich viel zu sehr von anderen Menschen vereinnahmen und leiten, meint er, klingt aber nicht verbittert, sondern verständnisvoll.
Durch seine ständige Präsenz ist er für viele Menschen in der Einkaufszone eine feste Größe, und etliche Leute vertrauen ihm auch ihre Sorgen an. Horst hört ihnen zu, ein „Sozialfuzzi“ will er aber um Gottes Willen nicht werden, dann wäre er nämlich weg von der Straße und wieder genau da, wo er nie wieder hin will.
Man merkt, wie wichtig ihm seine Freiheit ist. Horst hat sich für seine Art zu leben bewusst entschieden und entspricht damit so gar nicht dem Klischee der gescheiterten Existenz, Er erinnert ein bisschen an Diogenes: Statt in einer Tonne auf dem Athener Marktplatz zu liegen, steht er mit seinem Zeitungskarren neben der Bäckerei, macht sich seine Gedanken über das Leben und ist froh, wenn man ihn mit Amt und Würden in Ruhe lässt.
Manchmal findet man neue Wege oder Denkanstöße, wo man es am wenigsten vermutet; und sei es nur, wenn man dem Mann am Eingang der Bäckerei ein wenig zuhört.
von Caroline Geiger, Victoria Keerl