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 Hochschule
28.01.2008

Keine Bewegung im System

Andreas Schleicher über Bildung und Studiengebühren

Andreas Schleicher, Entwickler der PISA-Studie, zog ein vernichtendes Fazit über das deutsche Bildungssystem im internationalen Vergleich: „Das derzeitige deutsche System enthält eher das Potential, Probleme zu schaffen, als zu lösen.“

Weiße Haare, blaue Augen, ein respektabler rotblonder Schnauzer und vier Buchstaben, die Sprengkraft bergen: Das ist der Physiker Andreas Schleicher, Entwickler der PISA-Studie. Jüngst äußerte sich der Heidelberger Honorarprofessor für Bildungswissenschaft in einem Vortrag über „Bildungsfinanzierung und Chancengerechtigkeit im internationalen Vergleich“ über das deutsche Bildungssystem und fällte ein explosives Urteil: „Das derzeitige System enthält eher das Potential, Probleme zu schaffen, als zu lösen.“

Die zahlreichen Zuschauer im Heidelberger Universitätsarchiv pflichteten Beifall, denn Schleicher begründete seine Meinung mit umfassendem Datenmaterial. Schleichers für die OECD erhobene Daten sind bekannt und haben nicht nur die deutsche Bildungslandschaft erschüttert. Das deutsche System verändere sich zu langsam, obwohl die Missstände offensichtlich seien: frühe Selektion gepaart mit geringer Durchlässigkeit sowie herausragende Bedeutung des sozialen Hintergrunds (rein rechnerisch sind die Chancen auf ein Studium für deutsche Akademikerkinder dreimal höher als für Altersgenossen aus Arbeiterfamilien) führten vor allem zu einer nur geringfügig ausgeprägten Fähigkeit zum Wissenstransfer und zur Verschwendung kognit iver Fähigkeiten.

Sein eindeutiges Fazit lautet: Die Schwachen Schüler werden zu wenig gefördert, die Starken hingegen zu wenig gefordert. Hinsichtlich Hochschulfinanzierung und Chancengerechtigkeit liegen ähnliche Befunde vor. Schleicher erkennt international drei Strategien der Bildungsfinanzierung: In Skandinavien schaffen vornehmlich öffentliche Gelder und kaum private einen soliden Grundstock für die Bildung. Die USA, aber auch Länder wie Korea und Japan, handeln gegenteilig, indem sie Schulen und Universitäten überwiegend privat finanzieren.

Die Europäische Union tut weder das eine noch das andere, was zu einer „sehr geringen Dynamik führt“, so Schleicher. Private Finanzierung bedeute hauptsächlich Studiengebühren, wobei „die Rückfinanzierung den entscheidenden Faktor darstellt.“ So seien die Chancen auf einen Universitätszugang dank guter Stipendiensysteme für Kinder aus Arbeiterkreisen in Australien oder den USA trotz hoher Studiengebühren besser als in Deutschland mit seinen 500 Euro „für die Portokasse“, wie Schleicher sagt. Diese verbesserten die Qualität der Lehre kaum, stellten aber ohne funktionierendes Rückfinanzierungssystem eine soziale Barriere dar. Auch hier fällt Schleichers Fazit kritisch aus: „Die Logik im Finanzierungssystem stimmt hier zu Lande nicht.“

Nun ist Kritik an Schleicher keine Seltenheit. Unter anderem mahnte der bayerische Kultusminister Siegfried Schneider an, dass die deutschen Bildungssysteme aus „länderspezifischen Traditionen erwachsen sind“ und deshalb eine „Eins-zu-Eins-Übertragung“ nicht möglich sei. Davon lässt sich Schleicher aber nicht einschüchtern. Getreu seinem Motto: „Without data, you are just another person with an opinion“, gelingt es ihm häufig, Gegner und Befürworter zu überzeugen. Zumal er auch Lösungsvorschläge parat hält: Fest steht, dass eine öffentliche Finanzierung allein keine Garantie auf Chancengerechtigkeit birgt.

Es kommt auf die intelligente Mobilisierung der Ressourcen an. Hier bietet Schleicher eine kurzfristige und eine langfristige Lösung: Zunächst solle der Hochschulzugang, etwa durch Zugangstests, von der Schulbildung entkoppelt, sodann das Schulsystem und die Bildungsfinanzierung reformiert werden. Umsetzen ließe sich dies allemal, da Deutschland ein reiches Land sei.

von Armin Ulm
   

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