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 StudiLeben
01.07.2008

Zum Beten in die Abstellkammer

In der schmalen Lücke zwischen Bett und Wand liegt ein kleiner, mit Moscheespitzen verzierter Gebetsteppich. Es ist gerade Zeit für das muslimische Mittagsgebet. Sara Ehsan, eine ehemalige Studentin der Uni Heidelberg und Mitglied der Muslimischen Hochschulgruppe (MSG), demonstriert, was einige Muslime für Ihren Glauben zwischen den Vorlesungspausen oft „hinter den Kulissen“ auf sich nehmen. Im winzigen Hinterzimmer einer Dönerbude nahe des Uniplatzes verrichten sie ihre rituellen Gebete. Es sei nur eine „Zwischenlösung“, sagt Sara, kein offizieller Gebetsraum.

Die Universität Heidelberg stellt muslimischen Studierenden keine eigenen Gebetsräume zur Verfügung. Von einigen Muslimen wird das sogar als mangelnde Akzeptanz verstanden. Eigene Gebetsräume zu bekommen würde für sie bedeuten, in der deutschen Gesellschaft angenommen und integriert zu sein.

Der Besitzer des Dönergeschäftes zeigt auf die ordentlich hinterlassene Schlafmatratze in der kleinen Kammer, die etwa zwei Drittel des Raumes ausmacht: „In der Regel nutze ich diesen Raum, wenn ich gerade eine Pause mache oder schlafe.“ Der muslimisch-türkische Unternehmer fürchtet sich vor der Öffentlichkeit, weil er seinen Landsleuten solch einen „Unterschlupf“ bereitstellt, und möchte daher nicht mit Namen genannt werden.

Zu wenig Platz um die Koran-Regeln zu befolgen

Sara begibt sich in die halb öffentliche Toilette in der Dönerbude und macht sich an die so genannte kleine Waschung. Über das winzige Waschbecken gebeugt reibt sich die Perserin das Gesicht mit Wasser ab. „Als ich hier noch Studentin war, habe ich mich auch schon direkt an der Uni gewaschen und kam nur zum Beten hierher“, erklärt sie und fährt mit den nassen Händen noch einige Male über ihre Fußspitzen. „In der Regel soll man sich auch die Füße bis zum Knöchel waschen, so wie es im Koran geschrieben steht, aber hier müsste ich jetzt einen halben Spagat machen“, sagt sie und demonstriert mit gestrecktem Bein, wie schwierig es ist, mit ihren zierlichen 1,60 Metern an das Waschbecken zu gelangen.

Nach dem schwierigen Waschritual begeben wir uns auf einer engen Holztreppe zum Gebetsraum. Wir blicken in das etwa sechs Quadratmeter groĂźe Kämmerchen.  Sara schlieĂźt die TĂĽr hinter sich und legt ihren Schal zurecht. Wir sollen unsere Schuhe ausziehen und uns still verhalten. Fotografieren ist aber erlaubt. In der ersten Gebetshaltung beginnt Sara mit halbleiser Stimme zu beten. Ganz still muss es sein und wir dĂĽrfen keine Gespräche mit ihr anfangen. „Es gibt fest vorgeschriebene Stellungen, die man beim Beten annehmen muss“, erklärt uns die junge Muslimin. Das „Al Sajdah“ (arabisch: Teppich) demonstriert Sara auf dem Boden kniend richtet sich beim „al Qada“ auf.

„Traurige“ Lage für Muslime


Aus dem gekippten Fenster hört man einige Menschenstimmen, die harmonisch ineinander übergehen. Plötzlich wirkt der Raum wie eine Oase der Stille, der hektische Alltag tritt in den Hintergrund und in dem üppig dekorierten Stübchen bleibt uns nur das fotografische Festhalten des Gebetsrituals.

Der Koran regelt an insgesamt fünfzehn Stellen, wann und wie gebetet wird: Fünfmal am Tag sollen sich Muslime zu Gott wenden und sich vor jeder Gebetszeit einer „kleinen“ oder „großen Waschung“ unterziehen. Der Boden, auf dem gebetet wird, sollte nicht mit Straßenschuhen betreten worden sein. Während des Gebets solle niemand unmittelbar vor dem Betenden vorbeigehen. Schließlich darf nach dem Koran nie in eine andere Richtung als zu „Qibla“, also zur Kaaba in Mekka, dem zentralen Heiligtum des Islam, gebetet werden.

An der Uni Heidelberg fühlt sich vor allem die MSG für ihre muslimischen Kommilitonen verantwortlich. Fatma Hassan, die Sprecherin der Gruppe, berichtet über die „traurige“ Lage hierzulande: „Wir kennen die Schwierigkeiten, die muslimische Studierende beim Suchen einer Gebetsecke während der Mittagspause haben.“ Angesichts der im Islam vorgeschriebenen Gebetszeiten würden sich die Klagen über lange Anfahrtswege für Mittags- und Nachmittagsgebet häufen. Seit etwa Anfang 2008 beschäftige sich die MSG deshalb, unterstützt von der Fachschaftskonferenz (FSK), aktiv mit der Suche nach eigenen Gebetsräumen.

Beten zwischen BĂĽcherregalen

„Es kam auch mal vor, dass ich mich in der Unibiblitothek gewaschen habe und zum Beten in den Kirchenhof der Peterskirche gegangen bin,“ erzählt Fatma Hassan.

In der Altstadt sei das Beten wegen zum Teil engerer Institutsräume schwieriger. Man könne sich nicht zum Gebet zurückziehen. „Einige Studierende beten sogar in den Umkleidekabinen des Kaufhauses Galeria Kaufhof“, beklagt Fatma und erzählt uns, wie sie einmal mit einer muslimischen Kommilitonin zum Beten eine Damen-Unterwäsche-Abteilung benutzte und sich die Gespräche in den Nachbarkabinen über „Körbchengröße“ und „Brustumfang“ anhören musste.

Einige Studierende, die zu Gebetszeiten gerade in der UB lernen, drängen sich zum Beten in die Nischen zwischen den Bücherregalen. „Dieser Zustand ist eine Zumutung“, ärgert sich Sara Ehsan. Sie schloss letztes Jahr ihr Studium in Iranistik, Kunstgeschichte und Literaturwissenschaft ab.

Grundlose Ablehnung der Gebetsräume?

Andere teilen die Räume mit der Evangelischen Studierendengemeinde. Bei diesen – und auch den Räumen der Katholischen Hochschulgruppe – handelt es sich ĂĽbrigens um rein kirchliche Räume. Ihre Nutzung verwaltet also nicht die Universität sondern die  Landeskirche beziehungsweise die Erzdiözese, so Willi Dimmler von der Zentralen Universitätsverwaltung und Verantwortlicher fĂĽr Lehrraumvergabe.

Aussagen Sara Ehsans zufolge soll die MSG zu Zeiten des ehemaligen Rektors Peter Hommelhoff eine grundlose Ablehnung ihrer Gebetsraumanfrage erhalten haben. Dimmler und Pressesprecher Michael Schwarz wollen hiervon nichts erfahren haben. „Ein solcher Antrag lag nie vor“, sagte Schwarz.

von Sade Gök
   

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