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01.06.2008

Zentrale am Stadtrand

Junge Russen haben den Verein „Molodaja Evropa“ gegründet. Ihr Ziel: Russland soll in die EU. Doch der Staat behindert die Arbeit.

Die russische Politik macht den Nichtregierungsorganisationen das Leben schwer, wie Human Rights Watch unlängst offiziell bestätigte. „Molodaja Evropa“ aus Sankt Petersburg haben trotzdem große Pläne für die Zukunft.

Aus St. Petersburg berichtet unsere Korrespondentin Cosima Stawenow

Pavel, Mascha, Ilona und Gleb von der Organisation „Junges Europa“, auf russisch „Molodaja Evropa“, wollen sich zu einer Sitzung treffen. Dazu fahren sie in das nagelneue Jugendzentrum am Stadtrand von Sankt Petersburg.

Von weitem ist es schon an seiner Leuchtschrift zu erkennen und erstrahlt auch innen in frischen Farben. Auf dem Weg ins cremefarben gestrichene Büro kommt man durch einen Kinosaal mit hellblauen Plüschsesseln. Das ist aber schon so ungefähr alles an Komfort, den der Bau bietet.

Das Büro bekam die Gruppe von der Stadt zugewiesen. Es ist bitterkalt und auch sonst wird man im Gebäude nicht so recht warm miteinander. Wie in allen öffentlichen Einrichtungen Russlands sitzt am Eingang Aufsichtspersonal, dass sich „Wache“ oder „Schutz“ nennt. Die Sicherheitskräfte dort vergeben nicht nur die Schlüssel, die man beim Verlassen des Gebäudes wieder abliefern muss, sondern auch viele Ratschläge und Kommentare, gegen die nur eine Portion Gelassenheit hilft.

Geld vom Staat, aber keinen eigenen Schlüssel

Kaum haben wir das Gebäude betreten, will uns die mütterlich-strenge Aufseherin eine der laufenden Veranstaltungen schmackhaft machen: Wir sollen uns dem Fest eines Diabetikerclubs anschließen. Wir lehnen dankend ab. „So geht der Staat mit seinen Jugendvereinen um“, stellt der 32-jährige Pavel Drogow, Oberhaupt der „jungen Europäer“, lakonisch fest. „Wir sind registriert, bekommen finanzielle Unterstützung von der Stadt, aber keinen eigenen Schlüssel. Man traut unserer Arbeit nicht.“ Der Grund: Molodaja Evropa hat dem staatlichen Komitee für Jugendpolitik nicht genügend Treue geschworen. So erklärt sich jedenfalls Pawel das Misstrauen.

„Molodaja Evropa“ ist ein Sammelbecken für junge Menschen, die die europäische Integration Russlands wollen. Die Bewegung entstand 2001 im südrussischen Woronesh. Ein Jahr später gründete der heute 23-jährige Gleb Koschelew die Petersburger Abteilung, deren Vorsitzender der Jurist und Allrounder Pavel ist. Gleichzeitig ist Pavel Abgeordneter im Stadtrat des nahegelegenen Peterhof, stellvertretender Vorsitzender des staatlichen Jugendkomitees für Sport und Politik und Vorsitzender eines Schachclubs.

Kontakte zwischen Deutschland und Russland knüpfen

Für das zivilgesellschaftliche Desinteresse der Studenten in Russland hat er wenig übrig: „Wenn man an die Uni geht und sagt, dass man Mitglied einer gesellschaftlichen Organisation ist, wird man bestenfalls gefragt: 'Wieviel verdienst du da?'“, meint er sarkastisch. „Bei uns wird leider nicht viel gedacht. Die jungen Leute gehen lieber ins China-Restaurant.“

An diesem Abend plant „Molodaja Evropa“ die jährlich in Sankt Petersburg stattfindende internationale Kontaktmesse. Dort sollen Jugendorganisationen aus Deutschland und Russland untereinander Kontakte knüpfen. Alexander Kostrikin, der als städtischer Koordinator zwischen den Petersburger Jugendorganisationen vermittelt, legt das Programm vor. Als Gewinner einer Ausschreibung bekam „Molodaja Evropa“ dieses Jahr die Aufgabe, die Messe vorzubereiten und durchzuführen. Das bedeutet Unterkünfte und Busse mietet und die Teilnehmer von den Flughäfen und Bahnhöfen abholen. „Ich bereite die Exkursionen vor“, meldet sich Mascha Tichowa, die hauptberuflich als Fremdenführerin arbeitet. Die zierliche 25-jährige ist bei „Molodaja Evropa“, weil sie gerne mit engagierten Leuten zusammen arbeitet und sich für Menschen und Mentalitäten aus ganz Europa interessiert.

Wer Geld aus dem Ausland bekommt, macht sich verdächtig

 

Die „registrierten“ Gruppierungen und Vereine Russlands stehen in ständiger Konkurrenz. Und der Druck ist hart. Es geht darum die Existenz zu sichern. Sämtlich Gruppen versuchen sich einen Namen bei den städtischen, regionalen oder überregionalen „Wettbewerben“ zu machen. Wenn sie gewinnen, bekommen sie neben einem Auftrag auch etwas Geld, um eigene Projekte zu finanzieren. Geld aus dem Ausland zu erhalten ist schwierig: „Unser Staat misstraut inzwischen jedem, der Gelder aus dem Ausland bekommt“, sagt Pavel. „Das bringt unsere ‚uneingeschränkte Demokratie‘ mit sich“.

Als registrierter Verein muss „Molodaja Evropa“ sein Finanzen offenlegen. Jahr für Jahr verschärfen sich die Registrierungsbedingungen für NGOs. Der Anmeldezirkus macht die Gründung von neuen Gruppen fast unmöglich. Wer sich nicht registrieren lässt, macht sich verdächtig.

Der 20-Jahres-Plan: Euro statt Rubel

Pavels ehrgeiziges Ziel, dem er zusammen mit „Molodaja Evropa“ entgegenwirken will, ist es, Russland im Schengener Abkommen, also in der EU zu sehen. Seine Vision ist, dass es die russische Währung Rubel in zwanzig Jahren nur noch als Souvenir gibt. „Dann ist Russland in der EU, zahlt endlich auch mit dem Euro und die Visapflicht ist abgeschafft.“

Diese kühne Vorstellung reicht weit über den engen Horizont hinaus, den der Staat und mit ihm die Aufseherin des Sankt Petersburger Jugendzentrums vorgeben. Im Lauf des Abends platzt die Wächterin herein. Ihre völlig absurde Frage: "Warten nicht schon Eure Eltern auf Euch?" Und pünktlich um neun Uhr erscheinen zwei Männer in der Uniform des Sicherheitsdienstes, die das Gebäude abschließen wollen.

   

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