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 Interview
10.03.2008

Eine der wenigen Feministinen

Charlotte Roche im großen ruprecht-Interview

Charlotte Roche ist ein Multitalent: Moderatorin, Autorin, TV-Produzenten. Im ruprecht-Interview verriet die 30-Jährige, warum sie Pornos mag, das für Feminismus hält und sich vor fremden Kühlschränken ekelt.

Foto: Wikipedia, Markus Hammes (CC BY-SA 3.0)

ruprecht: Als wir im Buchladen nach Deinem neuen Roman „Feuchtgebiete“ fragten, antwortete die recht emanzipiert wirkende Verkäuferin: „Ich weiß gar nicht, ob wir das bestellt haben. Das ist ja schon ein schlüpfriges Thema“.

Charlotte Roche: Oh je. Haben die das denn dann bestellt?

Ja.

Ich wollte schon sagen. Sonst wäre ich da mal vorbeigegangen.

Analsex, Körperflüssigkeiten, Darmpilze sind allerdings wirklich sehr schlüpfrige Themen, die Du auch sehr detailliert beschreibst. Wieso hast Du ausgerechnet darüber geschrieben?

Weil mich diese Themen seit langer Zeit interessieren und seit Jahren begleiten. Zum Beispiel, warum wir Amerika im Umgang mit unseren Körpern alles nachmachen müssen. Mit dieser Frage entstand die Idee zum Buch. Das erste, was ich überhaupt geschrieben habe, waren diese Witze über Smegma [Anm. d. Red.: weiße bis hellgelbe Substanz, die sich auf der männlichen Eichel oder den Schamlippen der Frau bildet] als Parfüm zu benutzen. Grundsätzlich geht es immer um die Hauptdarstellerin Helen, ihren Körper, Masturbation und Körperflüssigkeiten. Erst wollte ich, dass es eine Art Kammerspiel wird und dann kam noch das ganze Krankenhaus dazu.

Du beklagst, dass Frauen ein Problem im Umgang mit ihren Körperflüssigkeiten haben und lernen sollen damit offensiver umzugehen. Ist „Feuchtgebiete“ ein Aufklärungsbuch?

Ja, weil ich glaube, dass das viel mit der Erziehung von Frauen zu tun hat. Diese ganzen Smegma-Geschichten sind völlig überdrehte Obszönitäten bei einem Thema, dass wir alle wegwaschen wollen. Und dabei kommt dieses Wegwaschen noch nicht mal von den Männern. Es ist schlimm, schon als Mädchen zu hören, dass man wie ein toter Fisch stinkt. Da muss man sich nicht wundern, wenn Frauen keinen Oralverkehr mögen.

Es gibt ein interessantes Zitat von Dir: „In meiner Jugend habe ich mir an Silvester heimlich Blut abgezapft, es getrunken, übers Gesicht laufen lassen, bin dann laut schreiend durchs Haus gelaufen und habe manchmal wochenlang nicht geduscht. Ich wollte die Leute ärgern, testen, ob die Liebe aufhört wenn man sich nicht anpasst. Ich war ein Monster.“ Ging es dabei auch um Deinen Umgang mit Körperflüssigkeiten?

Auf jeden Fall. Ich habe auch im Kunstunterricht Bilder mit Blut gemalt. Es habe schon immer gerne mit Sachen rumhantiert, bei denen andere „Aah, weg! Blut!“ sagen. Dabei ist es egal, ob es um das anfassen oder wie im Buch um Worte geht. Ich würde nie sagen: „Oh Gott, eine Wunde“, sondern „Oh, eine Wunde, lass mal gucken! Darf ich meinen Finger da reinstecken?“

Ernsthaft? Hast Du das gemacht?

Wenn ich jemanden im Krankenhaus besuchen würde, der eine Wunde am Bein mit einem Pflaster drauf hätte und wir würden die ganze Zeit von der Operation und der Wunde reden, würde ich sagen: „Mach mal das Pflaster weg, ich will das mal sehen.“ Das ist ein Wesenszug von mir, den viele Menschen nicht haben: das Hingucken- und Anfassen-Wollen. Ich will das eben wissen, auch wenn mich das überfordert.

Anale Operationen: Charlotte Roches Buch ist keine leicht verträgliche Kost.

Ekelst Du Dich überhaupt vor etwas?

Eher bei Gerüchen. Körpergerüche sind da kein Problem, sondern zum Beispiel Salami. Ich finde die stinkt total. Wenn jemand neben mir ein Salamibrot isst, könnte ich kotzen. Oder wenn bei fremden Leuten normale Lebensmittel – nicht mal verdorbene Lebensmittel - im Kühlschrank stehen und sich die Gerüche davon vermischen, das ist auch ein Problem. Wenn ich aus solchen Kühlschränken ein Bier rausholen soll, bekomme ich die totale Krise. Da denke ich: „Vielleicht steht da Matjes drin, eine angeschnittene Zwiebel oder so was. Bei fremden Leuten stinken die Kühlschränke total. Das finde ich voll ekelhaft!

Hast Du dann das Bedürfnis deren Kühlschranke sauber zu machen?

Nein. Es geht ja nicht darum, dass der dreckig wäre, sondern ich ekele mich davor, was andere Leute gerne essen. Nehmen wir den Geflügelsalat vom Aldi. Das ist ein Pott mit Mayonnaise. Wenn ich sowas sehe, könnte ich brechen. Es sind viele solcher Sachen, vor denen ich mich ekle.

Die meisten Frauen haben deiner Meinung eher Angst selber zu stinken. Hast Du die Erfahrung gemacht, dass Frauen davor keine Angst haben müssen?

Eines vorweg: Die Leute denken da immer gerne, ich würde mich nie waschen und wäre voll behaart. Das ist nicht der Fall! Ich dusche einmal am Tag. Manche Frauen aber finden, dass einmal am Tag nicht reicht und müssen sich abends vor dem schlafen gehen nochmal duschen. Die denken dann sie müssen überall die Haare entfernen, sie dürfen nicht nach Achselhöhle oder nach Muschi riechen. Wenn Du so denkst, fängst Du an alles zu bekämpfen, bekämpfen, bekämpfen. Irgendwann denkst Du: „Was tut mir mein Körper mit diesem ganzen Geschwitze und Haare-gewachse eigentlich an?“

Es führt dazu, dass man seinen Körper hasst?

Ja, weil man die ganze Zeit gegen seine eigenen Gerüche ankämpfen muss. Der Körper wird ein Kampfgebiet und ich glaube, dass man dann auch auf seinen Körper sauer wird.

Hilft es Frauen, wenn sie sagen: „Ich geh jetzt kacken“?

Klar. Also jetzt mal ganz im Ernst: Es ist ganz wichtig, einen gesunden Umgang mit seinen Gedärmen und Körperflüssigkeiten zu haben. Das haben Männer definitiv viel mehr als Frauen. Wenn bei Männern mal ein Pups raus muss, dann muss der eben raus. Frauen lassen den nicht raus und das ist ungesund. Wenn man in einem Großraumbüro arbeitet und den ganzen Tag seinen Pups einhält, nur weil man sich schämt dann vielleicht rumzustinken, ist das völlig ungesund.

Ist dieser Art Körperumgang in den letzten Jahren schlimmer,  besser gesagt „amerikanischer“ geworden?

Ich glaube ja. Frauen denken mittlerweile, sie müssten so reinliche, fast schon unmenschliche Wesen sein. Das hat mit vielem zu tun: mit dem Aussehen, mit dem Geruch, aber auch mit Stuhlgang. Frauen denken: „Das gehört nicht dazu.“ Für eine Frau ist es mittlerweile eigentlich schon viel zu dreckig überhaupt aufs Klo zu gehen.

Also Gleichberechtigung von Mann und Frau im Umgang mit Körperflüssigkeiten.

Ja.

In etlichen Interviews bezeichnet man Dich auch, als eine neue führende deutsche Feministin.

Ich bin eine der wenigen, die das überhaupt von sich sagt. Allein das scheint schon eine totale Sensation zu sein. Feminismus heißt für mich, dass man die Gleichberechtigung der Frau will und glaubt Frauen können das gleiche wie Männer und dass keiner aufgrund seines Geschlechts benachteiligt werden darf. Im Prinzip müsste doch jede Frau, aber auch jeder Mann Feminist sein. Wer man kein Feminist wäre, würde das bedeuten, dass man für die Unterdrückung der Frau ist. Und wer will das denn?

Feminismus hat in Deutschland aber einen etwas anderen Beigeschmack.

Ja, einen sehr negativen. Für mich ist es aber etwas ganz tolles und vollkommen richtiges. Man würde doch nie einen Schwarzen ansprechen und sagen: „Das ist ja komisch. Du bist gegen Rassismus. Das ist ja 'ne wilde Sache, Wahnsinn! Schaut mal, da ist ein Schwarzer, der ist gegen Rassismus.“ Das wäre genau das Gleiche!

Wenn man in Deutschland über Feminismus redet, denkt man automatisch an Alice Schwarzer.

Ja, leider nur eine Person.

Früher war sie Dein Vorbild. Nachdem sie aber Werbung für die Bild-Zeitung macht und mit Verona Feldbusch über Feminismus diskutiert hatte sich das geändert.

Ja. Gerade deswegen kann ich Alice Schwarzer in Sachen politischer Feminismus auch nicht mehr ernst nehmen. Als ich in der Emma auf dem Titel war und sie in meiner Sendung zu Gast hatte, war ich 20 Jahre alt. Das ist jetzt zehn Jahre her und seitdem hat sich meine Ansicht darüber, was für mich Feminismus bedeutet, sehr stark geändert.

Aber sie war damals ein großes Vorbild für Dich.

Ein Riesenvorbild. Aber jetzt bin ich aber zehn Jahre älter, schaue sie an und denke, dass sie dem Feminismus eher schadet.

Hat sich Alice Schwarzer geändert, oder nur Deine Meinung über sie?

Früher war Sie seriöser und gerade in den letzten Jahren hat sie viel Quatsch gemacht. Ein Beispiel: Letztens war sie bei „Wetten dass“ und sollte da Rock'n'Roll tanzen. Ich mach' euch das jetzt mal vor. Rock'n'Roll geht ja so. (Charlotte steht auf tanzt Rock'n'Roll) Die hat aber so gemacht (Charlotte schleudert die Beine nach vorne, wie eine Marionette in der Augsburger Puppenkiste) Dabei ist die volle Kanne auf den Po gefallen, kam nicht mehr hoch und alle haben „hö-hö-hö“ dazu gemacht – und das war nur eine der vielen komischen Sachen in der letzten Zeit. Werbung für die Bild-Zeitung zu machen ist allerdings das aller-allerschlimmste.

Hat die Bild-Zeitung, nachdem Du Dein Buch veröffentlicht hast, eigentlich mal um ein Interview gebeten?

Die würden nie bei mir anfragen, weil die wissen dass sie keine Chance hätte, dass ich mit denen rede. Aber nicht nur die Bild hätte keine Chance: Seit sieben Jahren sage ich jeder Zeitung ab, die zum Springer-Verlag gehört. Immer wenn eine Zeitung was von mir will, schaue ich im Internet nach und wenn diese Zeitung auf unserer langen Springer-Liste steht, sage ich ab.

War das mal anders?

Bevor die Bild-Zeitung mich damals erpresst hat, habe ich nie darauf geachtet. Wie gesagt: Damals war ich Anfang zwanzig und wenn man da bei VIVA moderiert, dann redet man auch mit Springer. Zwar nicht unbedingt mit der Bild-Zeitung, aber schon mit der „Welt“ oder was noch dazu gehört.

Stichwort: Pornos.

Kenne ich.

Wie hieß der letzte Pornofilm, den Du gesehen hast?

Gott, das weiß ich nicht.

Merkst Du Dir eigentlich die Titel der Filme?

Ja, manchmal. Lass mal kurz überlegen (denkt lange nach). Ich komme nicht drauf, aber Andrew Blake war jedenfalls der Regisseur.

Ah ja.

Das ist lustig. Wenn man mit Männern über Pornos redet, kennen die immer die weiblichen Hauptdarstellerinnen, also die Pornosexstars, aber nie die Regisseure des Films.

Das kommt aber eher daher, dass die Namen der männlichen Hauptdarsteller meist nicht auf dem Cover stehen.

Außer bei Rocco Sifredi. Den kennt jeder. Da steht dann: „geschrieben, ausgedacht, produziert und Hauptdarsteller: Rocco Sifredi.“ (lacht)

Schaust Du Dir Pornofilme komplett an oder nur bestimmte Szenen?

Ich hasse Filme, in denen gesprochen wird. Ganz grundsätzlich zur Pornografie: Es könnte auch auf Frauen stimulierend wirken, leider aber sagen viele: „Das ist einfach nichts für mich. Die Dialoge sind ja so albern.“ Kein Mann sieht sich die Dialoge an. 

Woher weißt Du das?

Früher war bei den Pornos aus den Videotheken, immer das Band an den Stellen ausgeleiert, wo es zur Sache geht. Der Grund dafür war, dass die Männer immer die Dialoge vorgespult haben, sich die Sex-Szenen angesehen haben und dann zurück-vor-zurück-vorgespult haben. Man pickt sich eben das raus, was man möchte. Pornografie muss man mit einem Wurstgeschäft vergleichen. Wir wissen ja grundsätzlich: Bei REWE-Wurst vielleicht eher Dreck drin, aber es gibt auch gute Wurst. Ich sage ja nicht, dass Wurst komplett verwerflich ist, nur dass es sehr viel schlechte Wurst gibt. Aber dann gehst Du halt irgendwohin und kaufst Dir die Wurst, von der Du denkst, dass sie gut ist und Dir schmeckt. Das ist das gleiche wie mit der Pornografie. 

Es gibt aber auch spezielle Pornos für Frauen, in denen eben keine dummen Dialoge vorkommen. Ist das was für Dich?

Ich mag bestimmt keine Filme, in denen ein Handwerker reinkommt und irgendwas vorher erzählt. Ich schaue ganz oft Filme in denen gar keine Männer vorkommen. Die Andrew-Blake-Filme zum Beispiel haben ein ganz anderes Tempo. Es gibt Pornofilme, die sind eher so, wie wenn man Koks zieht und es gibt welche, die sind wie Opium rauchen. Man sitzt da und schaut wie Frauen an sich rumspielen. Das sind aber trotzdem Hardcore-Pornos, die alles zeigen.

Andrew Blake macht aber eher edlere Sachen.

Ja, ich mag die Filme, weil die Frauen da schöner aussehen. Aber das hat jeder einen anderen Geschmack. Manche finden es toll, wenn die Hauptdarstellerinnen große Plastik-Titten haben. Das mag ich nicht. Ich suche immer Filme, in denen die Frauen natürlich aussehen. Die müssen nicht so gebaut sein, wie ich. Die dürfen schon Brüste haben. Ich mag dieses künstliche amerikanische „Oh-oh-oh“-Geschreie mit aufgerissenen Augen nicht, sondern eben das Natürliche.

Die natürliche Geilheit.

Ja, so. Ich mag zum Beispiel Dahlia Grey, die oft in Andrew Blake Filme mitspielt. Von der bin ich ein großer Fan. Die finde ich total Super.

Würdest Du die gerne mal treffen?

Ja! Mit der würde ich gerne mal eine ganz 3sat-Sendung machen. „Durch die Nacht mit Dahlia Grey“. Das fänd' ich cool. Das würde aber wohl nur gehen, wenn wir nicht über ihren Beruf reden. Aber nochmal zurück zu den Frauen-Pornos: Ich finde es prinzipiell gut, wenn Frauen für Frauen Pornos machen. Nur sind sehen diese Filme immer aus, als wären sie für das Fernsehen geschnitten. Die sind zensiert.

Was heißt zensiert?

Bei Frauenpornos liegt die Frau breitbeinig da, zieht dann ihre Unterhose aus und dann verdeckt der Kopf des Mannes die ganze Zeit ihre Scham. Das ist das Problem. Die Produzenten denken immer noch, dass Frauen von harten Szenen wie in normalen Pornos abgestoßen sein könnten. So kommen diese Filme raus, die ohne Probleme um 22 Uhr im Fernsehen laufen könnten. Das sind Softpornos.

Schaust Du auch Pornos im Internet?

Im Internet kenne ich mich überhaupt nicht aus. Ich kann E-Mails schreiben, das ist auch schon fast alles. Ich habe auch noch nie YouTube gesehen - leider. Was das angeht, bin ich ziemlich altmodisch.

Gerade bei YouTube ist letztens eine Produktion namens „Wahrheit oder Pflicht“ von dir aufgetaucht. Dort spielst Du mit vier Gästen Flaschendrehen und ihr erzählt Euch dabei ziemlich intime Dinge. Wird es diese Sendung bald irgendwo im Fernsehen geben?

Nur weil das jetzt im Internet aufgetaucht ist, denken alles, dass das frisch wäre. Diese Sendung fünf Jahre alt und bei dieser einen Sendung wird es auch bleiben, weil sich kein Sender für dieses Konzept interessiert.

In der Sendung erzählt zum Beispiel Roger Willemsen von seinem ersten Analsex. War den Teilnehmern damals klar, dass das mal gesendet wird?

Nein! Das hat irgendeine Sackratte ins Netz gestellt. Wenn ich wüsste wer das war, würde ich den vor Gericht stellen. 

Willemsen war also nicht gerade begeistert, als die Sendung bei YouTube auftauchte?

Oh Gott, nein. Das war eine einmalige Pilotsendung, die wir produziert haben, um den Sendern das Konzept vorzustellen. Jahrelang hat keine Sau mehr daran gedacht, bis das plötzlich bei YouTube auftauchte. Das war gruselig.

Du bist ja auch eine Erfinderin. 2006 hast Du Dir ein Gerät für die Dammmassage bei Frauen patentieren lassen. Diese Massage zwischen Anus und Scheide soll verhindern, dass Frauen bei der Geburt die Haut einreißt. Hast Du dafür mittlerweile einen Produzenten gefunden?

Leider nicht. Ich habe weltweit das Patent angemeldet, tausende Euro in Anwälte investiert die ausländische Patentrechte für mich prüfen. Aber ich bin am Ball. Ich will das irgendwie produzieren. Da bin ich nach wie vor auf der Suche. Könnt ihr das schreiben? Vielleicht findet sich ja einer - jemand der Plastikspielzeug produziert.

Machen wir. Vielen Dank für das Gespräch.

von Lisa Grüterich, Reinhard Lask
   

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