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05.05.2008

Mit- und nebeneinander leben

Singapur ist auf der Suche nach einer gemeinsamen Identität

Maritime Tradition und brüllende Moderne treffen in Singapur nicht nur bei seinem Wappentier aufeinander, sondern spiegeln auch die Suche des Stadtstaates nach einer Identität authentisch wider.

Gobbal trifft an diesem Abend zum ersten Mal in seinem Leben auf Merlion. Groß und majestätisch thront das Nationalsymbol Singapurs vor der hell beleuchteten Skyline im Süden der Insel; den Horizont dabei immer fest im Blick. Einzig die vielen Containerschiffe, welche unermüdlich die Frachthäfen anlaufen, trüben den einst so romantischen Postkartenblick. Maritime Tradition und brüllende Moderne – diese zwei vermeintlichen Gegensätze treffen nicht nur bei dem Fabelwesen aus Fisch und Löwe aufeinander, sondern spiegeln auch Singapurs Suche nach einer gemeinsamen Identität authentisch wider.

Obwohl er nun schon seit knapp zwei Jahren in dem südostasiatischen Stadtstaat lebt, hatte sich Gobbal bisher noch nie bis in das hiesige Hochhausviertel gewagt. „Selbst wenn ich einen Anzug trage, werden mir verachtende Blicke zugeworfen. Als Inder bin ich hier ein Mensch zweiter Klasse.“ Der 24-jährige IT-Spezialist hat sein bisheriges Leben in der indischen Metropole Mumbai nach dem Studienabschluss zurückgelassen.

Für einen vielversprechenden Job hat er einen Neuanfang in Singapur gewagt. Neben westlicher Kleidung und Andenken an die Heimat hatte Gobbal auch die Hoffnung auf eine bessere Zukunft für sich und seine Familie im Gepäck. „Im Vergleich zu Indien verdiene ich hier viel mehr Geld, aber genügend bleibt uns davon trotzdem nicht übrig“, klagt er. „Miete und Lebenskosten steigen ständig an und den Großteil meines Einkommens schicke ich zu meinen Verwandten nach Mumbai.“

Gobbal lebt mit seiner Frau und dem einjährigen Sohn in einer kleinen Wohnung in einem anonymen Hochhaus in Little India, einem bevölkerungsreichen Bezirk nahe der Stadt. Zwei der vier Zimmer vermietet er regelmäßig an Praktikanten, um monatlich über die Runden kommen zu können. Der kleinen Familie bleibt so nur ihr Schlafzimmer als einziger Rückzugsraum.

Ob er sich in Singapur wohlfühlt? „Ja, Little India ist ein bisschen wie zu Hause. Viele meiner Landsleute kommen zum Arbeiten hierher, man hat die gleichen Ängste und Sorgen und kann sich darüber austauschen. Vor allem für unsere Frauen ist das wichtig, sie arbeiten ja nicht. Aber ich vermisse die richtige indische Kultur. In Singapur ist alles so schrecklich künstlich.“

Während er erzählt, beginnt auf der Baustelle nebenan der Schichtwechsel für die Nacht. In Singapur arbeitet man rund um die Uhr, um die immer höheren modernen Prestigebauten in noch kürzerer Zeit zu errichten. Gobbal unterbricht da Gespräch, als er die Stimmen seiner Arbeitskollegen vernimmt. Er nickt ihnen kurz aufmunternd zu. Sie alle sind indische Gastarbeiter. Der Bauboom und das seit Jahren anhaltende Wirtschaftswachstum sind nur zwei der vielen Indikatoren, die Singapurs Wohlstand ausmachen.

Dank einer streng wirtschaftsorientierten und straff organisierten Politik gelang dem Inselstaat in nur fünfzig Jahren der Sprung vom Entwicklungsland zu einer der erfolgreichsten Industrienationen der Welt. Singapur galt neben Südkorea, Taiwan und Hongkong in den 80er und 90er Jahren als einer der vier Tigerstaaten als Musterland: Heute hat der 4,5 Millionen Einwohner zählende Staat den höchsten Lebensstandard Asiens erreicht.

Bei internationalen Wirtschaftsrankings war Singapur in den letzten Jahren immer ganz oben zu finden. Nahezu jedes international bekannte Unternehmen ist hier vertreten oder verwaltet gar sein Asiengeschäft von hier aus. Der niedrige Unternehmenssteuersatz von nur sieben Prozent (der deutsche beträgt 28 Prozent) ist nur einer der Standortvorteile des Stadtstaats. Singapur besitzt den Ruf einer hohen Rechtssicherheit (Todesstrafe inklusive) und einer übe rdurchschnittlich gut ausgebildeten Arbeitnehmerschaft. Insbesondere Amerikaner und Europäer sind herzlich willkommen – wenn sie mindestens zwei Jahre im Land bleiben und arbeiten. Der Staat sowie die Firmen suchen Spezialistenwissen aus dem Ausland.

Einer dieser Spezialisten ist Conrad. Wir befinden uns auf der Orchard Road, der Rotlichtmeile und gleichzeitigem Stil-Barometer aller Shopping-Victims. Soweit das Auge reicht reihen sich hier die Einkaufspassagen aneineinander. Jede versucht die andere an Luxus, Stockwerken und Angebotsauslagen zu überbieten. Gut gekleidete Asiatinnen zücken nach einem langen Arbeitstag lässig ihre Kreditkarten, während staunende Europäer sich durch die Massen drängen, um mit der gerade erworbenen Handy-Kamera Preisschilder und Designerware zu fotografieren.

Abseits des hektischen Einkaufslebens treffen wir Conrad in einem Café in einer kleinen Seitenstraße. Im Herbst 2007 kam der gebürtige Hamburger auf die Insel, um an der National University of Singapore zu studieren, die laut einschlägigen Rankings zu den zwanzig besten Universitäten der Welt zählt. Wie Conrad finden immer mehr europäische und amerikanische Studierende den Weg nach Singapur. „Neben den vielen asiatischen Studenten, die durch Stipendien hier kostengünstig studieren können, gibt es auch viele westliche Kommilitonen.

Unter den Europäern bilden wir Deutschen die Mehrheit.“ Begeistert berichtet Conrad über seinen Alltag auf dem Campus und wie wohl er sich hier fühlt: „Grundsätzlich bleiben die Austauschstudenten eher unter sich, aber das kann man an jeder Universität beobachten. Trotzdem geht der Multi-Kulti-Flair hier nicht verloren: Letztens habe ich in einem Master-Kurs mit sechs anderen Studenten zusammen gearbeitet, von denen jeder einer anderen Nationalität angehörte. So stelle ich mir Internationalität vor.“

Gobbal nestelt mittlerweile ungeduldig an seinem neuen Handy. Ihn drängt es in seinen Stadtteil Little India zurück. Er sei verabredet und habe genug gesehen „von der Welt der Schönen und Reichen“. Ein letztes Mal werfen wir einen Blick zurück zu Merlion. Maritime Tradition und brüllende Moderne – die Suche nach der Gemeinsamkeit ist Singapurs Identität.

von Isabelle-Jasmin Roth
   

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