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05.05.2008

Versklavt in der Silbermine

Tödliche Arbeit als einzige Überlebenschance im Cerro Rico, Bolivien

Wer in der Mine im Cerro Rico, des „reichen Berges“ in Potosí sein Brot verdient, schuftet wie ein Tier. Die barbarischen Arbeitsbedingungen haben sich in den letzten 400 Jahren kaum verändert.

Und dann wird es kälter. Tiefer und tiefer gräbt sich die Gruppe in den Stollen. Die Luft enthält spürbar weniger Sauerstoff. Ohne das Licht der am Helm befestigten Lampen wäre es stockfinster. „Achtung, da kommen Minenarbeiter!“, schallt es der Gruppe entgegen. Einen Augenblick später schnellt eine Lore auf den Schienen vorbei.

Die Begehung des Cerro Rico, des „reichen Berges“ in Potosí, am östlichen Rand des bolivianischen Hochlandes, ist eine Quälerei. Immer schmaler und niedriger wird der Gang, bald krabbelt die Gruppe auf allen Vieren. Der aufgewirbelte Staub tanzt in den Lichtkegeln der Stirnlampen, Schweißtropfen perlen über die Gesichter.

Schon vor Beginn unserer Besichtigung hatte Carlos Rodriguez, 39, der einst selbst in der Mine arbeitete, seit 15 Jahren aber Fremdenführer ist, auf die Gefahren hingewiesen: „Die Tour ist körperlich sehr anstrengend. Ihr werdet einer Menge Staub, möglicherweise toxischen Gasen ausgesetzt sein. Falls ein Stollen einbricht, sitzt ihr genauso in der Falle wie die Arbeiter.“ Mindestens einer von ihnen stirbt jede Woche in der Mine. Wer in der Mine von Potosí sein Brot verdient, schuftet wie ein Tier. Die barbarischen Arbeitsbedingungen haben sich in den letzten 400 Jahren kaum verändert. Mit Hammer, Meißel, Spaten und bloßen Händen kämpfen sich die „mineros“ seit Mitte des 16. Jahrhunderts in den dunklen Berg, schaffen Silber und andere Edelmetalle ans Tageslicht. Die Arbeiter ruinieren ihre Körper und rauben sich den Verstand. Lediglich die Erfindung des Dynamits vor knapp 140 Jahren erleichterte ihnen den Bergwerksalltag.

Die Backen der Arbeiter sind prall gefüllt mit Kokablättern, die Blicke glasig. Sie wirken apathisch, ganz auf die stumpfe Arbeit konzentriert. Auf Fragen reagieren sie reserviert. Man könnte meinen, dass sie genervt seien von den vielen Touristen. Die kommen mittlerweile tagtäglich in die Stollen, gaffen, fotografieren und verschwinden kurz darauf wieder mit betretenem Gesichtsausdruck.

Raus aus dem Berg, zurück in ihr komfortables Leben, in dem dieser Ausflug nur ein kleines Abenteuer ist. Aber die Touristen bringen kleine Präsente: Erfrischungsgetränke, Kokablätter, Dynamit. So haben sich die mineros mit den Menschenströmen arrangiert. Carlos erzählt, dass der „mercado de los mineros“, der Markt der Minenarbeiter, der einzige Ort auf der Welt sei, an dem es Dynamit legal und unbeschränkt zu kaufen gibt. Das Komplettpaket enthält Nitroglyzerin, eine Dynamitstange und die einen Meter lange Zündschnur, die die Explosion um sechs Minuten verzögert. Kostenpunkt: 27 Bolivianos, zwei Euro fünfzig.

Der Alkohol, den die Besucher den Arbeitern ebenfalls mitbringen, hilft ihnen, ihrer dunklen Hölle für kurze Zeit zu entfliehen. Sie berauschen sich mit Zuckerrohrschnaps, der unglaubliche 96 Prozent Alkohol enthält. In einer fünfköpfigen Gruppe vernichten sie schon mal drei Liter des betäubenden Fusels. „Die meisten mineros sind Alkoholiker”, sagt Carlos. Ihre Trinkgelage veranstalten sie in einer Mulde zu Füßen einer bunten Tonfigur, tio, Onkel genannt. In seinem fratzenhaften Mund steckt eine Zigarette, er ist mit Girlanden geschmückt und mit Kokablättern übersät. Er schützt die Arbeiter.

Während ihrer ritualisierten Zeremonie, die das Wochenende einläutet, gießen die Männer immer mal wieder ein paar Tropfen ihres Trunks auf den Boden. Zu Ehren von Pachamama, der Mutter Erde, der sie dafür danken, die Woche überlebt zu haben, und die sie anbeten, dass es in der nächsten Woche wieder so sein werde. Juan ist einer der Arbeiter. 43 Jahre ist er alt. „Seit 29 Jahren arbeite ich in der Mine, fünf bis sechs Tage pro Woche. Eine Schicht dauert zehn bis 14 Stunden“, sagt er und starrt wieder ins Leere. Es ist normal, dass Kinder mit 14 Jahren in der Mine zu arbeiten beginnen.

Versklavt in der Silbermine

Obwohl Kinderarbeit offiziell verboten ist, sind viele Familien finanziell darauf angewiesen, ihre Kinder in den Berg zu schicken. Die Geschichte von Potosí, der mit 4070 Metern höchstgelegenen Stadt der Welt, ist tragisch. Man könnte den gigantischen Reichtum, der im „Cerro Rico“ schlummerte, für großes Glück halten. Viele Bolivianer sprechen von einem Fluch. „Der Berg hat stets nur wenigen Glück gebracht“, sagt die Marktfrau Maria. „Am wenigsten den Bewohnern von Potosí.“ Zwar seien immer wieder einige zu großem Geld gekommen. Die meisten Einwohner aber hausen außerhalb des kolonialen Stadtkerns in einfachsten, dunklen und schäbigen Hütten.

Wo ist der Reichtum geblieben? Nachdem die Inkas die Mine entdeckt hatten, bekamen die spanischen Kolonialisten schnell Wind von dem begehrlichen Fund. 1545 gründeten sie die Siedlung am Fuße des Silberberges und begannen mit der systematischen Ausbeutung. Die Stadt im damaligen Alto-Peru wuchs rasant. Knapp 70 Jahre später war sie mit über 150.000 Einwohnern zur größten Metropole der westlichen Hemisphäre angeschwollen; größer als Madrid, London oder Paris. Die Stadt wurde zum Sündenpfuhl. Etliche Bordelle und Spielhallen eröffneten, prachtvolle Häuser schossen aus dem Boden, die Spanier pflasterten einige Straßen sogar mit Silber. Zugleich gaben sie sich gottgefällig. Die 32 noch existierenden Kirchen zeugen davon.

Die Gier der Spanier kannte keine Grenzen. Sie versklavten die einheimische Bevölkerung, die sich bis zu 16 Stunden täglich in den Minen plagte. Sicherungsmaßnahmen gab es kaum. Die Arbeiter verreckten wie die Fliegen. Knapp zehn Jahre malochten die Zwangsarbeiter im Schnitt, bis sie die Silikose, die Staublunge, dahinraffte. Bald mangelte es an Arbeitskräften. Die spanische Krone schiffte Sklaven aus Afrika ein, die jedoch Probleme mit der dünnen Luft hatten und weniger leistungsfähig waren. Über acht Millionen Menschen ließen im Laufe der Jahre in dem Berg ihr Leben. „Er ist ein Massengrab“, sagt Carlos. Noch immer bestimmt dieser Berg das Schicksal der Menschen.

Zwar hat die Bedeutung von Silber abgenommen, der weltweite Bedarf an Blei, Zink und Zinn löste jedoch einen neuen Boom des Bergbaus aus. Außerdem arbeiten die mineros selbstbestimmt; seit 1985 liegen die Schürfrechte bei insgesamt 45 Kooperativen. Deutlich verbessert hat sich die Situation der derzeit 15 000 Arbeiter indes nicht. Als Anteilseigner erhalten sie keinen festgesetzten Lohn. Ihr Einkommen orientiert sich an ihren Funden. Dazu kommt: „Die Minenarbeiter müssen die Preise immer neu mit den Abnehmern verhandeln“, wie Carlos sagt. Der Arbeiter Juan ergänzt: „Häufig verdienen wir nur 800 Bolivianos pro Monat.“ Ungefähr 75 Euro.

Ob Glücksfall oder Fluch, Chance oder Verderben, vielleicht erledigt sich das Thema in absehbarer Zeit ohnehin von selbst. „In 20 Jahren werden die Erzvorkommen des Cerro Rico erschöpft sein“, sagt Carlos. Was dann kommt, weiß hier und heute noch niemand.

von Sebastian Bühner
   

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