05.05.2008
Ohrenbetäubende Leere
Sollbruch-Theater spielt Stramms „Rudimentär“
Godot kommt nicht. Dazu ist die Situation zu ausweglos. Beeindruckend bedrückend füllen die Darsteller des Sollbruch-Theaters, bei "Rudimentär" die Szenerie im Romanischen Keller.
Am Anfang war die Stille. Ein Zimmer. Ein Mann. Eine Frau. Kein Wort. Stille. Auch ohne Sprache steht außer Zweifel: Ein glücklicher Tag ist das nicht, der die beiden erwartet, die da regungslos auf der Matratze am Boden liegen. Aus der Decke eine Gasleitung, dreckiges Geschirr auf dem Tisch, in der Ecke Pizzakartons – das Bühnenbild versinnbildlicht Trostlosigkeit und Leere.
Dann erste Worte: „Merkst du was?“ „Lass mich.“ Worte zwar, aber doch nur Worte, die, wenn überhaupt, Ausdruck der Sprachlosigkeit sind. Nach fünf Silben bricht das Gespräch ab. Stille. Worüber auch sprechen? Man hat sich ja doch nichts zu sagen. Und wenn: Was vermitteln schon Worte? Wie sein Gegenüber erreichen?
Sprach- und Sinnkrise im Romanischen Keller
Fundamentale Zweifel an der Sprache und ihren Ausdrucksmöglichkeiten charakterisieren die Literatur am Beginn des 20. Jahrhunderts. August Stramms experimenteller Einakter „Rudimentär“ (1912) fällt in genau diese Zeit. Eng verknüpft gehen Sprach- und Sinnkrise in dem Drei-Personen-Stück einher: „Was hat das alles für nen Zweck?“, wird Stramm seine geschundene Protagonistin später einmal fragen lassen. Wer auf eine Antwort wartet, wartet vergebens.
Godot kommt nicht. Dazu ist die Situation zu ausweglos. Aus der anfänglichen Stille entwächst im Lauf der Zeit ein Kosmos aus Armut, Gewalt und Verzweiflung. Beeindruckend bedrückend füllen Elisabeth Bohnet, Nader Alsarras und Tobias Rohde, die Darsteller des Sollbruch-Theaters, die Szenerie im Romanischen Keller.
Es wird gestammelt, gewinselt, geschrien und für Momente sogar gelächelt. Stramms Sprachfetzen lässt Regisseurin Juliane Zöllner ihre Darsteller dabei teilweise mehrfach wiederholen, was die Monotonie und Hoffnungslosigkeit noch unterstreicht.
Am Ende verleiten ein paar wenige Euro die drei Figuren zwar zu überschwänglicher Euphorie und dem Glauben: „Wir können leben!“ Im Rausch durchbrechen sie die Wirklichkeit, feiern ausgelassen das Vergessen. Doch das Glück reduziert sich auf zwei Flaschen Wodka und eine Pizza. Dazu übertönt das Dröhnen der Bässe für den Augenblick die unerträgliche Schwere des Seins. Am Ende war der Lärm.
„Rudimentär“ ist bis zum 8. Mai täglich um 20:30 Uhr im Romanischen Keller zu sehen. Eintritt: 4 bzw. 6 Euro.
von Johannes Schubert, Fabian Wennmer