04.11.2008
Das Leben nach dem Fegefeuer
Die „Help Society Nepal“ kümmert sich um Verbrennungsopfer
Radha Shrestha und ihre Mutter in ihrem Haus in Kathmandu gerade das Abendessen zu. Plötzlich explodiert die Gasleitung. Nachbarn bringen die beiden schwer verletzt in ein Krankenhaus. Erst nach zwölf Stunden erfolgte eine notdürftige Behandlung.
Aus Kathmandu, Nepal, berichtet unsere Mitarbeiterin Cara Schwab
Radha Shrestha und ihre Mutter waren in ihrem Haus in Nepals Hauptstadt Kathmandu gerade dabei, das Abendessen vorzubereiten – als plötzlich die Gasleitung explodierte. Nachbarn brachten die beiden schwer verletzten Frauen sofort in ein Krankenhaus.
Dort kümmerte sich zunächst niemand um sie, da die Ärzte in dem staatlichen Krankenhaus nicht auf Brandverletzungen spezialisiert waren. Erst nach zwölf Stunden wurde mit einer notdürftigen Behandlung der schweren Verbrennungen begonnen.
Nach drei Tagen starb Radhas Mutter an Nierenversagen, eine Komplikation, die bei starken Brandverletzungen häufig auftritt. Die Organe können die Giftstoffe, die durch die Verbrennungen entstehen, nicht mehr verarbeiten.
Auch Radha, deren Gesicht bis zur Unkenntlichkeit verbrannt war, gaben die Ärzte keine Chance. „Als der Arzt mir sagte, dass ich sterben werde, beschloss ich zu kämpfen“, sagt die heute 30-Jährige. Sie gewann den Kampf – auch mit der Hilfe von Freunden aus Deutschland, die ihr eine Behandlung in einem besseren Krankenhaus ermöglichten: Das Sushma Koirala Memorial Hospital in der Nähe von Kathmandu ist auf plastische Chirugie spezialisiert. In ganz Nepal gibt es nur zwei weitere Krankenhäuser dieser Art, die Brandopfer angemessen medizinisch versorgen können.
Nach ihrer mehrere Wochen dauernden Behandlung in der Koirala-Klinik beschloss Radha, Frauen mit demselben Schicksal zu helfen und gründete die Organisation „Help Society Nepal“.
Es gibt keine genauen Zahlen, wie viele Verbrennungsopfer es in Nepal gibt. Klar ist, dass die Unfälle in den meisten Fällen durch defekte Gasleitungen oder die unsachgemäße Benutzung von Kerosinkochern ausgelöst werden. In vielen nepalesischen Haushalten wird Kerosin zum Kochen verwendet. Dazu muss das flüssige Kerosin in gasförmigen Zustand gebracht und dann sofort angezündet werden. Wartet man nur einen Moment zu lange, kommt es zu einer Explosion, die verheerende Verbrennungen auslösen kann.
Die Opfer solcher Unfälle sind fast immer Frauen. Sie sind es, die in Nepal traditionell für die Zubereitung der Mahlzeiten zuständig sind. Von der „Help Society“ werden sie nun unterstützt. Und diese Hilfe ist dringend notwendig, denn viele der Frauen stehen nach ihrem Unfall alleine da. „Die Frauen werden von ihren Familien abgelehnt und von ihren Ehemännern verstoßen“, so Radha. Oft wird ein Fluch für den Unfall verantwortlich gemacht.
Radha und ihre Mitarbeiter besuchen die Brandopfer schon im Krankenhaus, beraten sie und ihre Familien. Frauen und Mädchen, die nirgendwo sonst Unterstützung finden, bietet Radhas Organisation ein Zuhause. Zur Zeit leben zwei Mädchen bei der „Help Society“. Amrita und Sunita sind beide 19 Jahre alt. Ihre Gesichter und Hände sind stark verbrannt. Beide hatten einen Unfall in der Küche ihres Elternhauses. Trotz ihres schweren Schicksals sind die Mädchen typische Teenager – sie haben Handys, lieben Bollywood-Filme und hören die neueste nepalesische Pop-Musik. Über ihren Unfall wollen sie nicht sprechen. Viel interessanter finden sie es, welche indischen Filmstars in Deutschland populär sind.
„Ich will die Mädchen stark machen, ihnen ihr Selbstbewusstsein wiedergeben“, sagt Radha. „Sie sollen sich nicht zuhause verstecken.“ Um das Selbstbewusstsein der Mädchen und Frauen zu stärken und ihnen die Möglichkeit zu geben, sich später selbst zu versorgen, bietet die Organisation verschiedene Trainings an. Amrita und Sunita lernen gerade, Snacks herzustellen, die sie dann auf dem Markt verkaufen können. Bald bekommen die Mädchen auch ein Computer-Training.
Für die Zukunft hat Radha viele Pläne: Sie möchte mehr Frauen in ihrer Organisation aufnehmen und die Menschen in Nepal auf die Probleme der Verbrennungsopfer aufmerksam machen. Auf die Frage, woher sie selbst die Kraft für ihre Arbeit nimmt, zuckt sie mit den Schultern: „Ich weiß es nicht, aber irgendwie steckt sie in mir.“ Nach einer Pause sagt sie dann: „Gott wollte, dass ich überlebe. Damit ich anderen helfen kann.“
von Cara Schwab