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 Wissenschaft
04.11.2008

Ein Leben für die Forschung

Der Medizin-Nobelpreisträger Harald zur Hausen im ruprecht-Interview

Für seine Erfolge auf dem Gebiet der Krebsentstehung durch Viren und damit verbundenen neuen Therapien wurde der Virologe Professor Harald zur Hausen mit dem Nobelpreis für Medizin nun die höchste internationale Ehrung erwiesen.

Ruhig und bodenständig ist der erste Eindruck, den man vom Virologen Professor Harald zur Hausen gewinnt, als wir ihn in seinem Büro im Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg treffen. Von 1983 bis 2003 war er dessen Vorstandsvorsitzender und trug maßgeblich zum Weltruf der Heidelberger Krebsforschung bei. Für seine Erfolge auf dem Gebiet der Krebsentstehung durch Viren und damit verbundenen neuen Therapien wurde zur Hausen mit dem Nobelpreis für Medizin nun die höchste internationale Ehrung erwiesen. Ruhig und bodenständig? Nicht nur. Zur Hausen verriet im ruprecht-Gespräch warum Rauchen uncool ist, Forscher etwas verrückt sind und „gender solidarity“ so wichtig ist.

Das Gespräch führten Elena Eppinger, Judith Raeke und Anikó Udvarhelyi


Herzlichen Glückwunsch zum Nobelpreis, Herr zur Hausen. Wie hat sich Ihr Leben seit der Bekanntgabe verändert?

Erheblich, da ich von einem Interviewtermin zum nächsten gerufen worden bin und das Telefon nicht stillgestanden hat. Ich bin des Öfteren gefragt worden, ob ich denn schon kräftig gefeiert hätte. Aber ich hatte überhaupt keine Gelegenheit dazu. Insofern hat sich mein Leben geändert. Ich hoffe aber, dass dies nicht so bleibt.

Wen nehmen Sie zur Preisübergabe am 10. Dezember mit nach Stockholm? Haben sie bereits eine Dankesrede vorbreitet?

Nein, auch für eine Dankesrede hatte ich noch keine Zeit. Ich werde eine ganze Reihe meiner Verwandten mitnehmen, das ist schon eine größere Zahl. Ich bedaure sehr, dass ich einige Kollegen, die gerne mitkommen wollen, nicht mitnehmen kann. Sonst müsste ich die Verwandten ausschließen.

Der Familie gilt sicherlich großer Dank.

Sicherlich. Ich bin sehr stark wissenschaftlich engagiert gewesen und dabei ist die Familie schon ein bisschen kurz gekommen. Daher liegt es mir am Herzen, dass sie bei diesem Ereignis dabei ist.

Die Fachjury diskutiert lange darüber wer den Preis erhalten soll. Bei der Entscheidung soll es zu Unstimmigkeiten gekommen sein. Haben sie das mitbekommen?

Es hat eine gewisse Verstimmung gegeben, weil Gallo aus den Staaten nicht berücksichtigt worden ist. Ich gehe davon aus, dass die Kommission dies sorgfältig geprüft hat und dann zu dieser Entscheidung gekommen ist. Ohne jede Frage hat Gallo eine Reihe von Entdeckungen gemacht, die sehr wichtig waren.

Gibt es eine besondere Konkurrenz zwischen amerikanischen und europäischen Forschern?

Soweit das den Nobelpreis betrifft, glaube ich das nicht. Es ist hier die Absicht gewesen, Forscher, die das Aids-Virus entdeckt haben, auszuzeichnen. Auch aus meiner Sicht haben die Franzosen Francoise Barré-Sinoussi und Luc Montagnier das Virus zuerst entdeckt. Damals gab es Kämpfe zwischen den beiden Gruppen. Wenn man es historisch verfolgt, ist es wohl wahr, dass die Franzosen das Virus zuerst entdeckt haben. Deswegen sind sie letztlich auch ausgewählt worden.

Sie und ihr Forscherteam entdeckten, dass bestimmte HP-Viren Gebärmutterhalskrebs auslösen. Der Weg bis zum schlussendlichen Beweis war langwierig und steinig. Haben Sie je an Ihrer Theorie gezweifelt, als andere Wissenschaftler Sie deswegen belächelt haben?

Ich habe 1972 das Thema aufgegriffen, als ich nach Erlangen ans Institut für Virologie berufen worden war. Sicherlich wurde das von vielen Seiten mit Skepsis betrachtet. Von der Presse wird es aber vielfach so dargestellt, dass ich furchtbar hätte kämpfen müssen. Das ist sicher nicht wahr.

Im Gegenteil – ich habe über die ganzen Jahre hinweg großzügige Bewilligungen von der Deutschen Forschungsgemeinschaft bekommen und diese werden nur ausgesprochen, wenn Fachwissenschaftler Stellung genommen haben. Es hat also Wissenschaftler gegeben, die meine Idee für grundsätzlich gut hielten. Allerdings gab es in der frühen Phase eine Tagung in Florida, auf der ich relativ heftig angegriffen wurde. Doch durch die Isolierung von HPV 16 und HPV 18, die in insgesamt 70 Prozent aller Fälle von Gebärmutterhalskrebs eine Rolle spielen, hat sich in dieser Forschung eine gewaltige Wende vollzogen. Seit den Jahren 1983/84 sind die Kritiker weitgehend verstummt.

Seit 2006 sind die Impfstoffe Gardasil und Silgard auf dem Markt. Wie wirken diese eigentlich?

Es wird durch den Impfstoff, der aus reinen Virushüllen besteht, die Abwehr stark angeregt. Die Bildung von Antikörpern ist viel höher als bei einer natürlichen Infektion. Diese können eine Neuinfektion verhindern, indem sie das Virus neutralisieren, bevor es in die Zelle eindringt. Aber die Impfung wirkt nur vorbeugend und nicht bei bereits bestehenden Infektionen.

Die Impfung ist also nur bis zu einem bestimmten Alter empfehlenswert?

Der Impfstoff ist wirksam, wenn noch keine Sexualkontakte stattgefunden haben oder wenn sie noch keine Infektion verursacht haben.

Wer genau sollte sich impfen lassen?

Aus meiner Sicht sollten sich die jungen Mädchen ab dem neunten Lebensjahr impfen lassen. Ich bin sehr lebhaft dafür, dass auch Jungen geimpft werden, da sie Analkrebs, Rachenkrebs und in einigen Fällen auch Peniskrebs durch die gleichen Viren bekommen können. Und dann gibt es sowas wie gender solidarity. Jungen können Mädchen anstecken, es geht natürlich auch umgekehrt. Wir müssen Rücksicht auf das andere Geschlecht nehmen. Momentan sind 40% der Jugendlichen geimpft, das ist schon sehr erfreulich und mehr als in den USA. Durch eine großflächigere Impfung würden wir aber mehr erreichen und weniger Krebsfälle bekommen.

Die Gesellschaft ist also noch nicht ausreichend aufgeklärt.

Wenn man die Kommentare von einigen Impfgegnern in Deutschland hört, dann kann man nur noch den Kopf schütteln, oder? Natürlich könnte man mehr Werbung betreiben, aber damit erzeugt man eben auch viele Aversionen. Die Firmen, die dies in den Staaten zum Teil sehr aggressiv betrieben haben, sind damit im Grunde genommen aufs Kreuz gefallen. Es wird den Forschern dann nämlich schnell vorgehalten, dass sie mit der Pharmaindustrie unter einer Decke stecken. Genau dies wurde mir ja auch vorgeworfen. Das ist jedoch absurd, denn ich bekomme keinen einzigen Cent von der Pharmaindustrie. Deswegen kann ich mich auch frei äußern: Der Impfstoff ist viel zu teuer. In den Entwicklungsländern kann er einfach nicht bezahlt werden. Dies muss sich unbedingt ändern, gerade weil 80 Prozent der Krebserkrankungen in den Entwicklungsländern vorkommen.

Sie bereits als Student die nobelpreiswürdige Idee hatten, dass Viren Krebs verursachen können. Wieso haben sie bereits so früh mit diesem Thema beschäftigt?

Das kam dazu, weil ich ein bisschen verrückt war. Nein, es gab Erkenntnisse, dass Viren in Bakterien das Erbgut der Zelle verändern können. Ich habe mir damals gedacht, dass dies auch bei tierischen und menschlichen Zellen vorkommen kann. Nach meinem Studium hatte ich wenig Erfahrung und retrospektiv zu wenig Anregung, um diese Frage zu bearbeiten und bin dann nach Amerika gegangen. Dort habe ich mich noch nicht speziell für Papillomviren interessiert, sondern wollte erforschen, welche Krebsarten etwas mit Viren zu tun haben.

Welche Eigenschaften sollten junge Forscher mitbringen, um ihre Ziele zu verwirklichen? Gibt es gar ein Geheimrezept um den Nobelpreis zu gewinnen?

Nein. Ich würde aber schon sagen, dass man sich für einen Sektor besonders interessieren und an diesem mit einer gewissen Hartnäckigkeit festhalten sollte. Ich bin ja gebürtig ein Westfale, die sind immer ziemlich stur und hartnäckig. Vielleicht liegt es daran, dass ich meine Ziele erreichen konnte.

Letzte Woche verkündete Bundesverbraucherschutzminister Horst Seehofer, dass er den Nichtraucherschutz in Bayern lockern wolle. Was denken Sie darüber?

Ich bin dagegen. Eigentlich weiß heutzutage doch jedes Kind schon, dass 25 Prozent der starken Raucher später an Lungenkrebs sterben werden. Auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind eine Folge des starken Rauchens. Es gibt durchaus gut belegte Hinweise, dass auch das Passivrauchen Gesundheitsschädigungen verursacht. Vor diesem Hintergrund finde ich, dass der Schutz der Bevölkerung an allererster Stelle stehen sollte. Gerade, weil Horst Seehofer früher Gesundheitsminister war, verstehe ich diese Tendenz überhaupt nicht. Er hat mir übrigens heute gratuliert.

Wie lief das Gespräch ab?

Es gab keines. Er hat mir schriftlich gratuliert und nicht darauf Bezug genommen.

Welche Verantwortung muss die Politik übernehmen?

Das Thema ist ja Gott sei Dank in der letzten Zeit von der Politik überhaupt aufgenommen worden. Deutschland war ja eines der rückständigsten Länder in Westeuropa in diesem Punkt. Krebs ist ein großes Problem für unsere Bevölkerung generell und alles, was präventiv gemacht werden kann, sollte von der Politik unterstützt werden. Nun ist Krebs sehr vielschichtig in seinen Ursachen – es spielen Infektionen eine Rolle, Chemikalien, Strahlen, endogene Faktoren wie beispielsweise Übergewicht. Nicht so sehr Stress, jedenfalls nicht bei der Entstehung, mehr beim Krebswachstum. Wenn aber jemand, nehmen wir ein willkürliches Beispiel, nach einer Scheidung stark zu rauchen anfängt, dann ist es natürlich ein indirekter Effekt.

Inwieweit haben Mediziner nach der Publikation ihrer Forschungsergebnisse ein Mitspracherecht?

Zumindest sind ja einige Wissenschaftler zu diesem Vorhaben gehört worden. Insofern werden die Meinungen schon an die Öffentlichkeit gebracht. Im Grunde genommen bin ich froh, dass sich überhaupt etwas getan hat. Ich lehne das Rauchen sehr ab. Man raucht nicht mehr in Lokalen, sieht nicht mehr so viele junge Frauen mit Zigaretten im Mundwinkel auf der Straße. Es ist uncool geworden und das ist gut so.

Sie haben in Ihrem Forscherleben alles erreicht. Wie geht ihr Leben nach dem Nobelpreis weiter?

Ich würde jetzt nicht sagen, dass ich alles erreicht habe. Sagen wir so, vielleicht habe ich eine ganze Reihe von Auszeichnungen bekommen. Aber ich mache ja meine Wissenschaft nicht wegen der Auszeichnungen, nur aus Neugier und aus Interesse an der Sache. Deswegen möchte ich weiter forschen, solange ich kann und meine Gesundheit es zulässt. Da das DKFZ ausscheidenden Wissenschaftlern großzügig diese Möglichkeit gibt, nutze ich sie auch und sehe keinen Grund, aufzuhören.

Vielen Dank für dieses Gespräch.

   

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