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 Interview
18.11.2008

„Wir sind einfach zwei faule Socken“

Christine Westermann und Jörg Thadeusz schrieben ein Briefe-Buch

Die TV-Moderatoren Christine Westermann und Jörg Thadeusz kannten sich kaum, als sie einen Briefwechsel aufnahmen, den sie nun in Buchform veröffentlicht haben. Der ruprecht traf die beiden vor ihrer Lesung im Heidelberger DAI.

Die beiden Beststellerautoren und Fernsehmoderatoren Christine Westermann und Jörg Thadeusz kannten sich kaum, als sie sich in das Abenteuer stĂĽrzten, gemeinsam ein Buch zu schreiben. Entstanden ist ein sehr persönlicher, stets ĂĽberraschender und höchst unterhaltsamer Briefwechsel. Unser Mitarbeiter Christian Rohm traf die beiden vor ihrer Lesung im Deutsch-amerikanischen Institut Heidelberg.

ruprecht: Neben Ihrer Fernseharbeit haben Sie beide schon mehrere, sehr erfolgreiche Romane geschrieben, „Aufforderung zum Tanz“ ist nun Ihr erstes gemeinsames Buch. Wie kam es dazu?

Westermann: Die Initiative ging vom Verlag aus, der uns gefragt hat, ob wir nicht Lust hätten, zusammen ein Buch zu schreiben. Ursprünglich hatten wir einen E-Mail-Roman geplant. Irgendwann waren diese E-Mails dann aber zu privat und man konnte sie teilweise auch nicht mehr richtig begreifen, weil sie manchmal nur aus Sätzen wie „Entschuldung, dass ich wieder so lange für die Antwort gebracht habe“ bestanden. So sind es dann Briefe geworden.

Dachten Sie beim Schreiben der Briefe bereits an die Leser? Sie geben in den Briefen viel persönliches preis.

Westermann: Wir hatten den Leser bereits im Hinterkopf. In unserem Beruf macht man das automatisch, schließlich schreiben wir auch Moderationen. Da hat man das Gefühl dafür, was man preisgeben kann – eine Art inneren Detektor. Ich habe zum Beispiel kurz bevor das Buch in den Druck ging, noch eine Textstelle herausgestrichen, weil ich sie im Nachhinein doch etwas zu intim empfand. Ich habe die Briefe beispielsweise auch nicht meinem Mann zum Lesen gegeben – vielleicht auch, weil ich nicht schon nach dem dritten Brief hören wollte: „Das würde ich aber vollkommen anders schreiben“. Vor allem wollte ich mir aber diese Nähe, die durch das Briefeschreiben entstand, nicht von einem Dritten – der mir natürlich noch viel näher steht – nehmen lassen.

Thadeusz: Ich glaube sogar, dass man selbst beim Tagebuchschreiben unbewusst ein kleines Publikum immer im Hinterkopf hat – so nach dem Motto „Meine Mutter könnte es lesen oder meine Freunde gucken mal rein.“ Ich bin also der Meinung, dass man sich selbst in Tagebüchern nicht so sehr entäußert, wie man es vielleicht tun würde, wenn man völlig frei von Beobachtung und ganz für sich alleine wäre.

Wie lange haben Sie den Briefwechsel gefĂĽhrt?


Westermann
: Ăśber drei Jahre. Es war nicht geplant, dass es so lange dauern wĂĽrde, aber heute bin ich froh, dass wir uns so viel Zeit gelassen haben.

Zwischendurch gab es auch eine fast einjährige Pause. Was waren die Gründe dafür?


Westermann
: Ganz ehrlich: wir sind einfach beide zwei unheimlich faule Socken. (lacht) Gerade über die Stelle, an der es darum geht, dass mittlerweile fast ein ganzes Jahr vergangen ist, haben wir mit unseren Lektoren übrigens länger gesprochen. Die wollten, dass wir den Satz rausnehmen, um den Lesefluss nicht zu unterbrechen. Letztlich konnten wir sie jedoch überzeugen, ihn drin zu lassen. Schließlich passiert es auch bei anderen Briefwechseln oder Korrespondenzen immer wieder, dass man monatelang nichts voneinander hört und dann in einem langen Brief erzählt, was man in den letzten Monaten oder im letzten Jahr erlebt hat.

Heutzutage schreibt man kaum noch Briefe, sondern kommuniziert per E-Mail oder SMS. Da fragt man sich, ob Sie die Briefe auch tatsächlich mit der Post verschickt haben?

Thadeusz
: Nein. Wir haben die Briefe in „Word“ geschrieben und als E-Mail-Anhänge verschickt. Das war einfach praktischer und ging schneller. Wenn man am Computer schreibt, raschelt zwar kein Papier, ansonsten ist es aber nicht anderes, als das normale Briefeschreiben.

Westermann
: Gerade bei E-Mails gebe ich mir bei der Adresszeile immer sehr viel MĂĽhe, eine Formulierung zu finden, die ein Hingucker ist.

Welche Briefe
bedeuten Ihnen persönlich besonders viel?

Westermann
: Da fallen mir zwei Dinge ein. Mein Vater, der mir sehr nahe war, starb als ich gerade 13 Jahre alt. Ich habe viele Kondolenzbriefe lange aufgehoben, die mir über den Schmerz hinweggeholfen haben. Und ich habe mir einen Zettel aufgehoben, den mir ein Redakteur nach meiner ersten Fernsehsendung auf den Schreibtisch gelegt hatte. Darauf stand: „Die Kamera meint es sehr gut mit dir, Herz und Mensch kommen herüber.“ Diesen Zettel habe ich heute noch.

Thadeusz
: Ich hebe eigentlich alles, was mir Menschen handschriftlich schreiben, aufgehoben: zum Beispiel Ansichts- oder Weihnachtskarten. Das Problem dabei ist, das ich als Erwachsener jetzt Weihnachten auch schon 25 Mal gefeiert habe und dass sich bei mir also schon eine ganze Menge Weihnachtskarten angesammelt haben. (lacht) Ich habe außerdem einmal einen Brief von einem Zuschauer aus Süddeutschland bekommen. Dieser Brief hängt über meinem Schreibtisch in Berlin. Der Zuschauer ist Arzt und hat mir ein Rezept mit der Aufschrift „Bitte um ein Autogramm“ geschickt. Das fand ich irre.

Bewahren Sie alle Briefe aus dem Familienkreis auf?

Teilweise besitze ich auch noch die Geburtstagsbriefe, die ich als Kind meiner Mutter geschrieben hatte. Meine Mutter hatte die aufgehoben und irgendwie sind die mir jetzt wieder in die Hände gefallen. Aber ich stehe zu dem, was ich damals geschrieben habe. (lacht)

Herr Thadeusz, Sie haben eine Abneigung Personen zu googlen und schreiben, dass man dies nur heimlich tun sollte. In Ihren Sendungen „Thadeusz“ und „Dickes B.“ sprechen sie regelmäßig mit prominenten Gästen. Kommen Sie bei der Vorbereitung ganz ohne Internet und googlen aus?


Thadeusz
: Vorweg: Ich finde das Internet super! Ich finde es nur unfair, den Namen eines anderen zu googeln. Ganz einfach deswegen, weil da auch viel Müll und unwahres Zeug auftauchen kann. Ansonsten nutze ich das Internet aber sehr regelmäßig. Das geht mittlerweile sogar so weit, dass ich mit aufgeklapptem Laptop zu Hause sitze, wenn ich mir eine politische Talkshow im Fernsehen ansehe. Dabei google ich dann alle Worte, die ich nicht verstehe. Bei einer Sendung zur aktuellen Bankenkrise zum Beispiel, waren das die Begriffe „Zertifikate“ oder „Derivate“. Das was ich herausgefunden habe schreibe ich mir dann auf.

Warum drucken sie sich so etwas nicht einfach aus?

Thadeusz: Alles, was man sich aufschreibt, schreibt man sich gewissermaßen auf die Hirnrinde. Und wenn man Glück hat, bleibt es dann dort – zumindest für eine Zeit. Deshalb drucke ich meine Suchergebnisse auch nicht aus, sondern schreibe sie vom Bildschirm ab. Ich lese auch viel bei Wikipedia, aber vertraue darauf nicht hundertprozentig und ziehe auch andere Quellen heran. Hinter meinen Gesprächssendungen steckt natürlich auch eine Redaktion, die im Vorfeld ein Dossier mit wichtigen Informationen über die Gäste zusammenstellt. Und wenn der Gast ein Buch geschrieben hat, lese ich natürlich das Buch. Hat er einen Film gemacht, sehe ich mir den Film an.

Frau Westermann, im Buch schildern Sie einen skurrilen Traum. Sie
besuchen darin ein Museum, in dem die letzte Mahlzeit ausgestellt ist, die John F. Kennedy angeblich vor seinem Tod gegessen hat: ein Jägerschnitzel. Im Traum essen Sie dieses Schnitzel und bemerken erst viel zu spät, was Sie damit angerichtet haben. Haben Sie sich überlegt, was dieser Traum bedeuten könnte?

Westermann
: Ich habe tatsächlich mal einen Traumforscher gefragt. Im Traum haben warme Pilze angeblich mit Problemen in der Verwandtschaft zu tun. Ich glaube zwar ein wenig an Sternenkunde, doch diese Deutung halte ich für totalen Quatsch. Es könnte jedoch sein, dass der Traum etwas mit meiner Mutter zu tun hat, denn die kommt in dem Traum ja auch noch um die Ecke.

Spielen in Ihren Träumen auch Versagensängste eine Rolle?

Westermann
: Solche Träume habe ich schon, wenn auch nicht mehr so oft. Man kommt zum Beispiel irgendwo hin, muss jemanden interviewen und weiß absolut nichts über den Gesprächspartner und hat auch keine Fragen vorbereitet. Ich träume auch immer wieder von Blackouts, wenn es um Zahlen geht. Das liegt vielleicht daran, dass ich im Mathe-Abi eine fünf hatte.

Frau Westermann, in einem Ihrer Briefe beklagen Sie das zu hohe Niveau des deutschen Feuilletons. Sie schreiben: „Wenn ich versuche, eine Buchkritik oder eine Premieren-Besprechung zu lesen, werde ich den Eindruck nicht los, dass dort ein zäher Zeilenwettkampf ausgetragen wird.“

Westermann
: Ja. Ich habe übrigens erst vor kurzem gelernt, dass es ein sogenanntes „Hochfeuilleton“ gibt und dass dieses Feuilleton – wie in der Süddeutschen Zeitung oder der Frankfurter Allgemeinen Zeitung – eigentlich nur für Insider gedacht ist; also gar nicht für den normalen Leser. Die Kulturredakteure schreiben gewissermaßen nur für sich selbst und das in einer höchst komplizierten Sprache. Nicht betrifft nicht alle, aber viele. Neulich habe ich einen Artikel gelesen, in dem die Buchkritiken der letzten Monate in Bezug auf die verwendeten Adjektive untersucht wurden. Das war entsetzlich, was man da lesen musste. (lacht)

Thadeusz
: Die Schriftstellerin Theo Dorn hat kürzlich im Spiegel beklagt, dass es zu wenig junge Intellektuelle gäbe. Als ich das las, war ich zwischen Ärger und Schuldbewusstsein hin- und hergerissen. Einerseits fragte ich mich, was sich Frau Dorn da anmaßt, andererseits dachte ich auch, dass ihre Ansicht nicht ganz falsch ist. Ich selbst halte mich permanent im journalistischen Milieu auf, doch sobald ich sage „Leute, ich interessiere mich für die Geschichte des Zweiten Weltkrieges“, herrscht großes Schweigen. So etwas bespricht keiner. Da weiß ich dann, dass ich langweile.

Womit langweilt man nicht?

Thadeusz: Ganz anders ist es natürlich, wenn ich sage: „Hast du den schon gesehen? Der hat schon wieder ’ne neue Freundin.“ Das ist dann ein Thema. Aber dass man mal über die wirklichen Themen spricht und fragt „Was haltet ihr von Nicholas Sarkozy?“ oder „Wie findet ihr die Russen?“ – das findet nicht statt. Dabei sind wir Journalisten doch eigentlich der Gesellschaftskreis, der da zumindest eine ganze Menge mitzusprechen hätte.

Westermann
: Es geht mir vor allem darum, wie formuliert wird. Ich fühle mich von der Sprache ausgeschlossen. Manche Journalisten verwenden Worte, die ich einfach nicht verstehe. Und wenn ich etwas lese, will ich nicht mit Fremdworten bombardiert werden. Ich fühle mich dann alleingelassen und blöd.

Thadeusz
: Ich finde das auch immer verdächtig, wenn jemand kein normales Deutsch, sondern Soziologensprache spricht. Ich habe das bei einer Freundin beobachtet, die immer „das Verhältnis muss perpetuiert werden.“ sagt. Ich habe mich noch nie getraut, mal dazwischenzugehen und zu fragen, was sie damit meint. Sie verwendet das Wort auch in den unterschiedlichsten Zusammenhängen. Es muss also diverse Bedeutungen haben.

Frau Westermann, Sie besprechen seit vielen Jahren Bücher für die WDR-Sendung „Frau-TV“ und im Radio auf WDR 2. Wie wählen Sie die Bücher aus, die Sie empfehlen?

Westermann
: Das ist ein bisschen wie Weihnachten. Ich bekomme die Vorschaukataloge der Verlage und kann daraus bestellen, was mich interessiert. Und dann werden die Bücher teilweise wirklich in Dutzenden angeliefert. Meistens zeigen mir bereits die ersten zehn, zwanzig Seiten, ob mich das Buch mitreißt. Ich habe einen Hang zu Familiengeschichten und Tragödien, ich bin kein großer Krimileser. Aktuell kann ich „Wie ich mich einmal in alles verliebte“ von Stefan Merrill Block empfehlen. Das Buch hat einen grauenhafter Titel, ist aber ganz wunderbar geschrieben. (lacht)

Sie schreiben beide BĂĽcher und machen sowohl Fernsehen, als auch Radio. Was macht Ihnen am meisten SpaĂź und in welchem Medium fĂĽhlen Sie sich am wohlsten?


Westermann
: Die Abwechslung macht’s.

Thadeusz
: Ja. Ich finde aber vor allem das Radio nach wie vor total faszinierend. Das ist mein kleines Königreich. Das hängt aber auch damit zusammen, dass ich keinen Fernsehsender kenne, der mir so große Freiheiten einräumen würde, wie mein Radiosender „Radio Eins“.

Westermann: Radio steht bei mir an letzter Stelle. Wahrscheinlich liegt das daran, weil ich damals bei SWF3, einem mir wirklich sehr wichtigen Radiosender, rausgeflogen bin. Das schmerzt immer noch. Es ist auch heute noch so, dass ich die ersten 20 Sekunden einer Radiosendung immer unheimlich nervös bin - viel nervöser als bei „Zimmer frei“.

Frau Westermann, Sie sind in Mannheim aufgewachsen und leben mittlerweile in Köln. Sehen Sie die Kurpfalz dennoch als Ihre Heimat an?


Westermann: Eindeutig. 1953 kam ich mit fünf Jahren nach Mannheim, weil meine Eltern damals aus meiner Geburtsstadt Erfurt fliehen mussten. In Mannheim habe ich meine Kindheit und Jugend verbracht und habe schöne Erinnerungen an diese Zeit. Auch heute fühle ich mich in Mannheim noch wohl und heimisch.

In „Zimmer frei“ gibt es immer die sogenannte „Lobhudelei“, bei der Ihr Studiogast von einem Freund oder Kollegen mit Komplimenten überschüttet wird. Was schätzen Sie beide aneinander?


Westermann
: An Jörg schätze ich vor allem seine Gelassenheit und Unaufgeregtheit, seine Ehrlichkeit und seine Klarheit. Und ich mag seine Sprache: Ich finde, er kann unheimlich schön formulieren.

Thadeusz: Ich schätze an Christine natürlich zuallererst ihre Schönheit. (lacht). Und ihre Sanftheit. Das ist eine ganz besondere Qualität, die aber nicht mit Unklarheit oder Deutlichkeit in ihrem Urteil zu verwechseln ist.

Frau Westermann, Herr Thadeusz, vielen Dank für das Gespräch.

von Christian Rohm
   

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