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 Interview
24.11.2008

In zwei Welten daheim

Petra Dallmann fühlt sich in Schwimmanzug und Arztkittel gleich wohl

Sie ist Spitzensportlerin und Ã„rztin zugleich. Im ruprecht-Interview berichtet die Welt- und mehrfache Europameisterin über ihre Erfahrungen bei den Olympischen Spielen und den schwierigen Spagat zwischen Arztberuf und aktivem Schwimmsport.

Der Heidelberger Schwimmstar ist Spitzensportlerin und Ã„rztin zugleich. Im ruprecht-Interview berichtet die Welt- und mehrfache Europameisterin über ihre Erfahrungen bei den Olympischen Spielen in Athen und Peking und den schwierigen Spagat zwischen Arztberuf und aktivem Schwimmsport.

Die Gespräch führte Verena La Mela


Der Austragungsort der Schwimmwettbewerbe bei den Olympischen Spielen in Peking

ruprecht: Frau Dallmann, wie hat sich Ihr Leben in der Öffentlichkeit nach den Olympischen Spielen verändert?

Petra Dallmann: Ãœberhaupt nicht. Da ich nicht erfolgreich war, bin ich nicht sonderlich bekannter geworden. Meine Bekanntheit habe ich mir in den letzten Jahren erarbeitet. Ich bewege mich in der Öffentlichkeit wie bisher, nur ist der Schwimmsport nun nach den Olympischen Spielen nicht mehr Mittelpunkt meines Lebens.  

Wie „frei“ fühlten Sie sich während Ihrer Zeit in Peking?

Wir haben uns fast ausschließlich im Olympischen Dorf oder auf den Wettkampfstätten bewegt. Die waren natürlich sehr streng bewacht, aber das war schon in Athen 2004 so.
Nur einmal haben wir gemerkt, dass wir in China sind: Als wir auf einen sturen Beamten trafen, der uns nicht mehr auf das Olympische Gelände ließ, obwohl wir akkreditiert waren. Das Ganze fand vor der Eröffnungsfeier statt. Der Beamte hatte die Uhrzeit verwechselt und ließ sich nicht dazu bewegen, uns wieder auf das Gelände zu lassen.
Wir mussten eine halbe Stunde lang diskutieren, bis er endlich seinen Vorgesetzten geholt hat, der uns dann reinließ. Ganz allgemein habe ich mich dort, wo wir uns bewegt haben, nicht unfreier gefühlt als bei den Spielen vor vier Jahren in Athen.

Hatten sie im Hinblick auf Tibet und auf die dortige Menschenrechtssituation keine Bedenken an den Spielen teilzunehmen?

Nein, aber wenn die Situation eskaliert wäre vielleicht schon.

Was wäre eine Eskalation für Sie gewesen?

Zum Beispiel wenn chinesische Sicherheitskräfte bei Demonstrationen in die Menge geschossen und es Tote gegeben hätte. Dann hätte ich mir das Ganze überlegt. So aber habe ich mich zu keinem Zeitpunkt gefragt nicht teilzunehmen, weil wir damit niemandem geholfen hätten.

Blieb vor den Spielen Zeit, um sich auf Land und Leute vorzubereiten?

Ich habe mich hauptsächlich auf den Wettkampf konzentriert, weil ich mich jahrelang darauf vorbereitet hatte. Das war immer das Wichtigste. Aber wir hatten während der Vorbereitung einen Vortrag der Präsidentin der deutschen Abteilung von Human Rights Watch. Die informierte uns ausführlich über die Situation der Menschenrechte in China, wobei ich vorher bereits privat einiges darüber gelesen hatte. Ganz blauäugig wollte ich da auch nicht hinfahren.

Was war Ihr größtes Erfolgserlebnis in Peking?


Sportlich gab es bei uns Schwimmern leider nicht allzu viele Erfolge. Viel schöner war es, einmal die verschiedenen anderen Wettkämpfe anzuschauen und mit den anderen Sportlern ein Gemeinschaftsgefühl zu erleben. Das gilt besonders für die deutsche Mannschaft, wenn wir uns in der Mensa trafen oder wir zusammen die anderen deutschen Athleten anfeuerten. Was mich an Peking positiv überrascht hat, war das Künstlerviertel „798“. Man glaubt, dass alles in China sehr konform sei, deshalb war ich recht überrascht, dass es doch so viele kreative Köpfe gibt.  

Ihr Wettbewerb mit der schönsten Erinnerung?

Das Gold von Britta Steffen über 100 und 50 Meter Freistil. Natürlich war es Wahnsinn, zu sehen, was teilweise für Zeiten geschwommen wurden. Aber wenn ich an die Schwimmwettkämpfe der deutschen Mannschaft zurückdenke, bleibt kein wirklich positives Gefühl übrig.

Wer hat Sie während der Spiele unterstützt?


Meine Eltern haben mich angefeuert. Es war übrigens sehr schwer, Karten für sie zu bekommen. Alle denken, Sportler bekämen Karten für ihre Familien, aber die gibt es nie. Für uns gibt es nicht mal Sonderkonditionen, geschweige denn eine Möglichkeit, einfacher an Karten für die Familien heranzukommen. Manche Eltern haben bis zu 300 Dollar auf dem Schwarzmarkt gezahlt; für einen Abschnitt. Daher konnten meine Eltern auch nicht bei jedem Start dabei sein.

Wie war das Verhältnis unter den Sportlern im Olympischen Dorf?

Innerhalb der deutschen Mannschaft hat man sich immer gegrüßt und gefragt: „Wie wars?“.
Auch wenn man die anderen Sportler nicht kennt, sobald man sieht, dass jemand einen Adler auf der Brust oder Deutschlandfarben trägt, grüßt man automatisch. Wenn man in der Mensa einen Deutschen sieht, setzt man sich dazu und erfährt dabei viel über die anderen Sportarten. Am Ende ging man auch mal gemeinsam abends weg. Es ist einfach ein schönes Gemeinschaftsgefühl.  

Haben Sie nun mehr Lust auf China kommen?

Die Spiele haben bei mir einen besseren Eindruck hinterlassen, als ich vorher von dem Land hatte. Positiv überrascht hat mich die Freundlichkeit und die Hilfsbereitschaft der Menschen dort. Alle Helfer im Dorf waren unglaublich nett. Negativ empfand ich die Kontrolle und Polizeipräsenz überall. Da gab es auch Leute, die nicht uniformiert waren, von denen man aber genau wusste, dass sie alles genau beobachten und regelmäßig die Mülleimer durchsuchen. Es ist ungewohnt und irgendwie befremdlich. Ich werde sicher mal wieder nach China zurückkehren, aber in den nächsten Jahren stehen noch ein paar andere Ziele oben auf meiner Liste.

Wird Ihnen die Teilnahme an den Olympischen Spielen etwas für die berufliche Zukunft bringen?

Man lernt mit Enttäuschung umzugehen. Und Peking war sportlich gesehen eine große Enttäuschung, an die ich noch lange immer mal wieder denken und mich fragen werde, was da falsch gelaufen ist. Man lernt auch, dass Erfolg nicht immer planbar ist, aber das ist im Beruf wohl erheblich leichter als im Sport. Im Sport gibt es immer mehr Zufallsfaktoren.

Wie konnten Sie Training und Studium miteinander vereinbaren?


Ich studiere schon seit drei Jahren nicht mehr. Seit September 2006 arbeite ich mit einer Teilzeitstelle an der Psychiatrischen Uni-Klinik in Heidelberg als Assistenzärztin. Diese Stelle finanziert die Deutsche Sporthilfe mit.

Was sieht diese Mitfinanzierung aus?

Immer wenn ich Wettkämpfe, Lehrgänge oder Trainingslager hatte und gefehlt habe, hat die Stiftung Deutsche Sporthilfe meinem Arbeitgeber den Ausfall bezahlt. Nur so konnte ich an den ganzen Maßnahmen teilnehmen. Mein normaler Urlaub hätte dafür hinten und vorne nicht gereicht. So konnte ich mich gut vorbereiten. Teilweise haben mir meine Kollegen auch viel abgenommen. In dieser Hinsicht hatte ich Nachteile gegenüber einem Schwimmer, der „nur“ Profi ist.
Aber in Deutschland gibt es für ein Leben als Schwimmprofi einfach nicht die Mittel. Außer man würde zur Bundeswehr gehen, aber das ist ja auch nicht jedermanns Sache. Man sollte auch an seine Zukunft denken. Leistungssport kann man nur bis Anfang 30 machen. Ich wollte danach nie mit leeren Händen dastehen und habe deshalb die Facharztausbildung begonnen.

Wie verlief das Studium?


Am Anfang war es sehr schwer, da ich in Heidelberg ein „Niemand“ war. Ich war in keinem Kader und hatte noch keinen internationalen Erfolg vorzuweisen. Da wurde ich für meinen Sport eher belächelt, so als sei er nur irgendein Hobby. Die Dozenten haben nicht verstanden, was für ein Aufwand dahinter steckt.
Nachdem ich nach Heidelberg gewechselt hatte, kamen jedoch relativ schnell die ersten Erfolge. Erst da begannen die Dozenten meinen Sport ernster zu nehmen. Dennoch waren die Reaktionen sehr unterschiedlich und reichten von Anerkennung und Entgegenkommen bis zu völligem Desinteresse. Manchmal hat man mir sogar noch Steine in den Weg gelegt.
Erst im dritten Jahr als ich hier war gab es richtige Unterstützung, als der Olympiastützpunkt Heidelberg und die Uni ein Kooperationsvertrag schlossen, in dem sich die Uni verpflichtete, Spitzensportlern bei Studienangelegenheiten entgegenzukommen.

Hatten Sie denn neben so viel Training und einem derart anspruchsvollen Studium überhaupt genügend Freizeit?
 
Tagsüber blieb nicht mehr viel Freizeit. Ich ging morgens um sieben aus dem Haus und kam abends um halb acht zurück. Dann musste ich noch einkaufen, kochen, Wäsche waschen und mit Leuten telefonieren. Danach ist der Tag gelaufen. Das Schwimmen hat den Aufwand der letzten Jahren aber mehr als entschädigt. Ich war in so vielen Ländern unterwegs und habe so viel erlebt.

Was für Tipps würden Sie Studenten geben, die Studium und Spitzensport vereinbaren wollen?

Wenn man mit dem Dozenten persönlich über die Situation redet, kann man Glück haben und auf Verständnis treffen. Dann kann man Dinge ganz gut regeln und ein, zwei Mal öfter fehlen, weil man auf einem Wettkampf ist. Manchmal ist das aber auch nicht so. Angenommen ein Kurs hat zehn Sitzungen und ich darf nur einmal fehlen, dann gibt es wirklich Dozenten, die mir den Schein nicht geben möchten, weil ich zweimal gefehlt habe. Da hilft es auch nichts zu sagen, dass ich mit der deutschen Nationalmannschaft unterwegs war, oder anbiete Extra-Referate zu machen.
Wenn das nichts gebracht hat, habe ich mir vom Laufbahnberater des Olympiastützpunkts Christoph Steinbach Hilfe geholt. Dazu muss man jedoch bereits in einem Kader sein oder zumindest eine Perspektive haben in einem aufgenommen zu werden. Der spricht dann mit dem Rektorat oder Dekanat. Spätestens dann klappt es.

Welche Zukunftspläne haben Sie nun?

Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, an dem ich wieder etwas mehr Freizeit brauche und mich um meine Freundschaften kümmern will. Auch mein Freund musste in den letzten Jahren sehr zurückstecken. Beruflich möchte ich mich mehr fortbilden. Langsam rücken andere Lebensinhalte in den Vordergrund. Ich möchte einfach wieder ein bisschen freier sein.

Wie lange möchten Sie noch im Spitzensport bleiben?

Bis zum Sommer. Ich würde noch einmal gerne bei den Weltmeisterschaften in Rom im Juli 2009 antreten. Früher habe ich zwei Mal am Tag trainiert, momentan mache ich das nur noch ein Mal. Einen radikalen Schnitt zu machen ist mir nicht gelungen. Der Schwimmsport hat bislang eine zu wichtige Rolle in meinem Leben gespielt. Ich versuche jetzt einen sanften Übergang zu machen und hoffe bei den Weltmeisterschaften noch einen schönen Abschluss zu haben.

Betrachten Sie sich selbst als Schwimmerin oder Ärztin?


Ich sehe mich als beides, weil beides den gleichgroßen Stellenwert hatte. Es ist schön zwischen diesen zwei Rollen wechseln zu können. Im Schwimmen habe ich eine ganz andere Rolle als in der Klinik. Das hängt auch mit den Personen zusammen, die einen jeweils umgeben: Beim Schwimmen sind fast alle jünger und es herrscht eine sehr lockere Atmosphäre. Da habe ich eine Vorbildfunktion und stehe im Mittelpunkt, wohingegen ich in der Klinik als neue Assistenzärztin jemand war, der noch viel lernen musste und ganz unten in der Hierarchie stand. Ich genieße es in beiden Welten daheim zu sein. Eine ist mir auf Dauer über die Jahre hinweg dann doch zu langweilig.

Vielen Dank für das Gespräch.


von Verena La Mela
   

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