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 Feuilleton
15.12.2009

Identitätssuche und Schuldfrage

Gelungene Auseinandersetzung mit der Holocaust-Thematik

Es geht um Glaube, Liebe, Hoffnung. Aber es geht auch um Schuld in dem Stück „Alles ist erleuchtet“, das aktuell im Zwinger1 aufgeführt wird. Es ist die deutsche Erstinszenierung des gleichnamigen Debutromans von Jonathan Safran Foer.

Es geht um Glaube, Liebe, Hoffnung. Aber es geht auch um Schuld in dem Stück „Alles ist erleuchtet“, das aktuell im Zwinger1 aufgeführt wird. Es ist die deutsche Erstinszenierung des gleichnamigen Debutromans von Jonathan Safran Foer.

Ein Bluescreen, ein Esstisch und ein brachliegendes Feld bilden die drei Spielorte dieses aufwühlenden Stückes. Ja, das Stück wühlt. Es wühlt in der Vergangenheit des ukrainischen Schtetl Trachimbrod, in der fiktionalen Familienchronik des Autors Jonathan Safran Foer und in der europäischen Erde, die noch immer Schuld und Opfer bedeckt.

Drei Erzählebenen bringen dem Zuschauer die Familiengeschichten des jüdisch stämmigen US-Amerikaners Jonathan (Axel Sichrovsky) und des gleichaltrigen ukrainischen Dolmetschers Alex (Paul Grill) näher. Jonathan macht sich mit Alex, dessen Großvater (Frank Wiegard) und dem Hund Samie Davis Junior, Junior auf die Suche nach Augustine, der Frau die Jonathans Großvater Safran 1943 vor den Nazis gerettet haben soll. Als einziger Hinweis dient ein altes Foto von ihr und der Name des Ortes, in dem sein Großvater aufgewachsen ist: Trachimbrod.

Über das mögliche Leben seiner Vorfahren in Trachimbrod zwischen 1791 und 1943 dreht Jonathan nach seiner Reise in die Ukraine einen Film. Im Bluescreen lernt das Publikum Jonathans Großvater Safran und seine Urahnin Brod (Jennifer Sabel) kennen. Ihr wird klar, dass man niemals glücklich und ehrlich zusammen sein kann. Sie hat auf der Suche nach wahrer Liebe nicht gemerkt, dass sie ihre eigene Identität noch nicht gefunden hat.

Am Esstisch wird vom Briefwechsel zwischen Jonathan und Alex erzählt, die auch nach der Reise Kontakt halten. Dabei bekommt der Zuschauer Einblick in Alex‘ Gedanken und seine Erlebnisse nach dem verstörenden Roadtrip. Denn auch wenn die Suche nach Augustine vergeblich bleibt, stößt Alex auf ein dunkles Kapitel in der eigenen Familiengeschichte. Vor welche grausame Wahl wurde sein Großvater 1943 nur wenige Kilometer von Trachimbrod entfernt gestellt? Alex sieht sich mit Dingen konfrontiert, die ihn gar nicht zu betreffen schienen und muss seine eigene Identität in Frage stellen.

In den dreieinhalb Stunden Spielzeit hält sich die Inszenierung von Martin Nimz sehr stark an die literarischen Vorlage. Das gelingt vor allem durch die Texteinblendungen über eine Videoprojektion. Dort werden die Gefühls- und Gedankenwelten der Figuren ausgebreitet, die dem Publikum ohne den Text verwehrt geblieben wären. Dabei hilft es, dass es schon die Romanvorlage versteht, die ernste Thematik durch die Rolle des liebenswerten ukrainischen Übersetzers aufzulockern, der keinen Bezug zu der Vergangenheit zu haben scheint und mit seiner Aussprache und seinen grammatikalischen Fehlern immer wieder amüsiert.

An manchen Stellen wird das ohnehin schon lange Stück allerdings unnötig in die Länge gezogen. Jonathans Reise und die Geschichte um Alex und seinen Großvater fesseln und berühren den Zuschauer in jedem Moment. Das ist vor allem dem Schauspiel der Darsteller zu verdanken, die es immer wieder verstehen zwischen Komik und Tragik gekonnt zu wechseln.

Besonders überzeugend ist die Darbietung von Frank Wiegard, der einem das Gefühl gibt, als hätte man die Erinnerungen des Großvaters selbst vor Augen. Es wundert jedoch, warum bei der Inszenierung nicht auf die Umsetzung der Hunderolle verzichtet wurde, die für den Plot nicht von Belang ist und die Geschichte gefährlich nahe an die Grenze des Lächerlichen befördert.

Bei den Bluescreen-Szenen stören häufiger die aufdringlichen Kostüme und Requisiten. Die schauspielerische Leistung der Brod (Jennifer Sabel) wirkt steif und verhindert den näheren Zugang zu der Figur. Insgesamt aber überzeugt die Aufführung und wird der Romanvorlage Foers und der Shoah-Thematik gerecht.

Dabei geht die Aktualität nicht verloren. Was bedeutet Schuld? Wie schuldig ist man, wenn einem nie eine Wahl gelassen wurde? Mit diesen Fragen bringt uns das Buch und auch das Stück zurück in die Zeit des Holocaust und doch sind es zeitlose Fragen, die augenscheinlich auch heute noch das Nachkriegseuropa betreffen. Das zeigt nicht zuletzt der Prozess um den gebürtigen Ukrainer John Demjanjuk, der derzeit immer wieder für Schlagzeilen sorgt. Wie lässt sich Schuld definieren? Und was hätte ich getan? Mit dieser verstörenden Ungewissheit wird der Zuschauer nach der Aufführung von „Alles ist erleuchtet“ in den weiteren Abend entlassen.

von Julia Held
   

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