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 Hochschule
15.12.2009

Warum machen wir nicht alle Revolution?

Eine Spurensuche nach Motiven von Protestierenden und Streikverweigerern.

Bildungsstreik und Hörsaalbesetzungen sorgten in den vergangenen Wochen für Schlagzeilen. In Heidelberg gab es Demonstrationen mit über 1000 Teilnehmern. Aber was machen die übrigen 29.000 Heidelberger Studenten?

Freitag, 27. November 2009, 20:30 Uhr
Weihnachtsmarkt auf dem Universitätsplatz


Eine Gruppe befreundeter Studenten hat sich um einen Glühweinstand geschart. Der Platz ist überfüllt mit Touristen und Marktbesuchern, Kinder schreien, das benachbarte Karussell dudelt vor sich hin. Nur schwach ist der Lichtschein aus der Neuen Uni zu erkennen, in der seit knapp vier Wochen Studenten einen Hörsaal besetzt halten. Die Geisteswissenschaftler bringen das Gespräch auf die Besetzung. Die Mediziner sind überrascht. Sie wussten noch gar nichts von einer Besetzung. Feld und Altstadt scheinen manchmal mehr als nur einen Fluss zwischen sich zu haben.

Die Mediziner haben wenig Verständnis für die Besetzung. Natürlich sei an unserer Universität, die sich selbst als exzellent betitelt, einiges änderungsbedürftig. Aber warum einen Hörsaal besetzen? Und wann soll man sich an derart zeitintensiven Aktionen beteiligen, wenn man ein arbeitsintensives Medizinstudium zu absolvieren hat?

Zudem ist man von Bologna oder Bachelor ohnehin kaum betroffen. Aber man könne doch auch ohne wochenlanges Übernachten im Hörsaal im Rahmen seiner Möglichkeiten aktiv die eigene Universität mitgestalten. Die Mediziner widersprechen einhellig: Wozu ein System beeinflussen, dass man nach wenigen Jahren ohnehin wieder verlässt? Es scheint vor allem eine Art Desinteresse an der Studienzeit zu sein. Desinteresse an einem Teil des eigenen Lebens, der als Pflicht angesehen wird, nicht als Selbstzweck.

Die nächste Runde Glühwein verschärft die Fronten zwischen Geisteswissenschaftlern und Medizinern: „Besetzen kann man halt nur, wenn man in seinem Studium ohnehin zu viel Zeit hat!“


Montag, 30. November 2009, 12:15 Uhr
ehemaliges Institut für Politikwissenschaft, Marstallstraße 6
 

Mittlerweile sind die Besetzer aus der Neuen Uni in den vorrübergehend bereitgestellten Raum im ehemaligen IPW umgezogen. Dort wo sich noch im vergangenen Jahr regelmäßig Politologen in übervolle Seminare zwängten, haben die Aktivisten ihr neues Basislager aufgeschlagen. Sofas und Stühle sind im Raum verteilt, in einer Ecke stehen Computer und neben den vollen Bücherregalen liegen haufenweise Unterlagen. Eine provisorische Küche schließt sich an. Überall dazwischen markieren Decken, Isomatten und Schlafsäcke die einzelnen Schlafplätze. Laute Musik läuft im Hintergrund. Eine Handvoll Besetzer ist damit beschäftigt, leicht verkatert Ordnung in den Umzug zu bringen. Vier Wochen Selbstverwaltung haben bei ihnen Spuren hinterlassen.

„Warum macht ihr euch diesen Aufwand? Warum diese viele Arbeit neben eurem Studium?“, frage ich. Bereitwillig geben die Besetzer Auskunft. Ein Schüler und ein Student im ersten Semester sind besonders vom starken Gruppengefühl und der selbstorganisierten Gemeinschaft angetan. Immer wieder betonen sie, wie wichtig ihnen solche „Freiräume“ sind, in denen nur sie selbst bestimmen, nicht irgendeine „bürokratische Uni-Verwaltung“. Ein selbstverwaltetes Studentenhaus gehört für sie daher auch zu den wichtigsten Zielen in Heidelberg. Ein älterer Student pflichtet ihnen bei. Er sagt, dass gerade diese Möglichkeiten der Selbstverwaltung im deutschen Universitätssystem immer mehr eingeschränkt würden. Zu Beginn seines Studiums war das noch anders. Gerade diesem Abbau an Freiraum müsse man doch entgegengewirken.

Sind denn Streik und Besetzung dafür das geeignete Mittel? Die Aktivisten antworten pragmatisch: Es geht vor allem darum, öffentliche Aufmerksamkeit für das eigene Thema zu bekommen. Dafür seien eben solche Aktionen notwendig, ist man sich einig. Erst wenn die Aktionen unbeteiligte Menschen stören, entsteht Interesse und das führt zur Berichterstattung in den Medien. Und erst dadurch entsteht dann eine öffentliche Diskussion. „Der Erfolg ist doch momentan auch spürbar, alle reden über das Thema!“

Diese Diskussion schließlich inhaltlich zu füllen, Argumente im gemeinsamen Plenum zu diskutieren, daneben auch die gemeinschaftlichen Aufgaben einer solchen Selbstverwaltung zu organisieren und letztlich Basisdemokratie zu leben – all das seien Erfahrungen, die einen auch persönlich sehr bereichern. „Das Studium ist doch mehr als nur Lernen und Fachwissen!“

Und während plötzlich zwischen all den Schlafsäcken und Decken ein übermüdeter Besetzer erwacht und hoppelnd den Raum verlässt, ergänzt der ältere Student: „Wann sollen wir eine solche Erfahrung denn machen, wenn nicht jetzt als Studenten!“


Freitag, 11. Dezember 2009, 11:55 Uhr
Zentralmensa im Neuenheimer Feld


Inzwischen ist die Dezember-Bildungsstreikwoche vorüber. Im Gegensatz zum Juli verliefen die Aktionen ohne große Aufmerksamkeit und Zulauf der meisten Studierenden. Über der Zentralmensa erinnert nur noch ein windschiefes Protestbanner an den Streikaufruf. Inmitten des Trubels der mittäglichen Essensausgabe schildert ein verhinderter Streikteilnehmer seine Sicht.

Als Student im ersten Semester in einem naturwissenschaftlichen Fach habe er sich von den Protesten durchaus angesprochen gefühlt. Auch ihm sei schnell aufgefallen, dass die Universitäten öffentlich als exzellent dargestellt würden, der Alltag der Studenten und ihre Studienbedingungen dann aber doch anders aussähen. Als Betroffener müsse man dann eben auch etwas dagegen unternehmen. „Demokratie muss doch schließlich auch aktiv gelebt werden“, sagt er.

Bei der Auftaktveranstaltung des Bildungsstreiks habe eine Rednerin über die Streikziele gesprochen. „Statt konkreter Anliegen ging es ihr lediglich um polemische Aufheizung der Stimmung“, schildert der Student. Eine inhaltliche Auseinandersetzung habe es kaum gegeben, stattdessen gab es Zulauf verschiedenster „linker Studentengruppen“. Selbst die Piratenpartei war dabei.

Neben der Bildungspolitik sei es dann um Abschaffung des Kapitalismus gegangen oder darum, öffentliche Gelder für die Bildung zu verwenden statt für den Bau von weiteren Neckarbrücken. Inhalte, die seiner Meinung nach nichts miteinander zu tun haben. „Dieses unproduktive Verhalten gipfelte dann in dem Versuch, die Universitätsverwaltung in der Altstadt zu stürmen. Daraufhin hat der Veranstalter schließlich die Demonstration aufgelöst“, erzählt er.

Man merkt ihm seine Resignation an, aber auch eine gewisses Unverständnis für seine protestierenden Kommilitonen, die doch eigentlich die gleichen Ziele verfolgen, die auch ihn bewegen.

Hätte man nicht versuchen können, durch aktive Teilnahme den Streik entsprechend der eigenen Vorstellungen zu beeinflussen? Der verhinderte Streikler überlegt kurz. Theoretisch hätte es diese Möglichkeit gegeben, die Organisation sei basisdemokratisch ausgerichtet. Aber die bestehende Mehrheit hätte man dabei wohl nicht überwinden können, so sein Eindruck der etablierten Streikstrukturen. „Die Organisation war insgesamt doch einfach schlecht!“, sagt er. „Es gab keinen ernsthaften Versuch, sich mit den Lehrkräften zu solidarisieren, die letztlich doch auch die Probleme an deutschen Hochschulen spüren.“ Stattdessen habe die Mehrheit der Aktiven nur den polemischen Konflikt mit dem System gesucht.

Mit einer solch simplen Haltung habe er sich jedoch nicht identifizieren können.

von Benjamin Jungbluth
   

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