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 Heidelberg
29.06.2009

Dem umnebelten Geist

Die Ausstellung "Intermedia 69|2009" zeichnet das Bild einer politisierten Zeit. Welches Licht das auf die aktuelle Studenten-Generation werfen könnte, gingen Maximilian Oehl und Max Mayer nach.

Die Ausstellung "Intermedia 69|2009" zeichnet das Bild einer politisierten Zeit. Welches Licht das auf die die aktuelle Studenten-Generation werfen könnte, gingen Maximilian Oehl und Max Mayer nach.

Laut skandierend ziehen die Studenten am Bismarckplatz vorbei und biegen in die Hauptstraße ein. Wie gewöhnlich kommt es zu Ausschreitungen, die Polizei setzt Wasserwerfer ein. Im Hintergrund leuchtet das Weiß der Planen, in die der Künstler Christo das DAI gehüllt hat. Es steht nach wie vor unter ständiger polizeilicher Bewachung. Im Dunst des Tränengases geht ein junger Mann zu Boden, die Nase von einem Gummiknüppel zertrümmert. Die Stimmung in Heidelberg ist hochexplosiv.

Heidelberg im Bildungsstreik? Eine spontane Assoziation, die nahe liegt, aber freilich nicht zutrifft. Die beschriebenen Szenen entstammen einer anderen Zeit. Die Ausstellung Intermedia 69|2009 im Heidelberger Kunstverein transportiert in ihren Exponaten die Atmosphäre des Jahres 1969 in die Gegenwart. Die Rückschau präsentiert das gleichnamige Fluxus-Festival und Happening aus dem Jahr 1969, das Klaus Staeck und Jochen Goetze inmitten des damaligen politisch und gesellschaftlich aufgeladenen Zeitgeistes initiiert und inszeniert hatten.

An dem dreitägigen Fluxus-Festival hatten sich 80 internationale Künstler beteiligt. Es sollte einen Gegenpol zu einer Ausstellung im Heidelberger Kunstverein bilden, in der dessen damaliger konservativer Vorstand ein Spektrum seiner Auffassung nach zeitgenössischer Kunst präsentieren wollte. Die Aktionskunstbewegung Fluxus hatte es sich indessen zur Aufgabe gemacht, den klassischen Kunstbegriff in Frage zu stellen und einen Neuen zu definieren. Die schöpferische Idee wurde in den Mittelpunkt des Kunstschaffens gerückt, alles konnte als Form künstlerischen Ausdrucks dienen. Die alte Bindung von Kunstwerken an gegenständliche Formen war aufgelöst. In den Augen der Künstler verschmolz vor dem Hintergrund von Massenkommunikation und -konsum das Leben mit der Kunst und die Kunst mit dem Leben.

Von den linken Studenten als gemäßigte, unpolitische Kunst verschrien und vom Bürgertum und den „konservativen Studentenverbänden“ als unsinnig abgetan, war das Spektakel wie ein Keil zwischen die verhärteten Fronten gefahren und hatte sie gleichwohl in ihrer Acht vereint.

Entsprechend gespalten präsentiert sich die heutige Ausstellung im Kunstverein. Im Eingangsbereich hängen Fotografien des lieblichen Heidelbergs der 60er Jahre, die Hauptstraße mit ihren Geschäften dient als Symbol für das konservative Bürgertum. Auf der gegenüberliegenden Seite des Ausstellungsraums braust, auf großformatigen Fotographien und in Kampfschriften dokumentiert, der radikale Protest der Studierenden auf. In diesem Milieu trifft die Kunst mit ihren zahlreichen Originalexponaten des Festivals wie den in Polyester getauchten Grasbüscheln, dem Diktatoren-Trinkbecher oder Flugblättern ihre ureigene Aussage. Ein Film bleibt besonders in Erinnerung: Er zeigt einen Mann an einem Tisch der wankt und sich übergibt, zu betrunken, um seine Utopien zu äußern.

Wie steht es um unsere Generation? Ist auch sie zu benebelt, um ihre Utopien zu artikulieren? Hat sie denn Utopien?

Vor dem Hintergrund des Bildungsstreiks möchte man sagen: Ja. In seinem Rahmen wurden Ideen und Ideale, die Forderungen an Universitätsleitung und Politik ausformuliert und auf Pamphleten und Streikzeitungen abgedruckt. Skandiert wurden sie auf Demonstrationen und anderen Veranstaltungen, verkündet von Rednern der Studierenden, Parteien und Gewerkschaften. Klar und deutlich stehen sie im Raum.

Dennoch: Am Marstall steht ein Student und versucht vergeblich, seine Kommilitonen zu einer Teilnahme am Streik zu bewegen. „Mehr Mitbestimmung für die Studenten und so“, hört man ihn wackeln. Sonderlich durchdrungen zu haben scheinen sie ihn nicht, die Ideale, die er eben noch in klaren und mahnenden Worten auf Handzetteln gedruckt unter die Leute bringen möchte. Sich seiner Unwissenheit bewusst steht er sinnbildlich für unsere Generation.

Für eine intensive Auseinandersetzung mit „fachfremden Themen“ fehlt ihm die Zeit. Dass er überhaupt welche für politisches Engagement findet, unterscheidet ihn schon wesentlich von den Allermeisten seiner Kommilitonen. Die Notwendigkeit des Handelns erkannt, lehnt er die moderne, deregulierte Hochschule zwar ab, spürt den durch Bologna gewachsenen Druck vielleicht gar am eigenen Leib.

Gleichwohl wagt er aber nicht, sich dem System des universitären Ausbildungsbetriebs gänzlich zu widersetzen und sammelt nach Ende der Bildungsstreik-Demo fleißig weiter ECTS-Punkte. Eine rosige Zukunft erfordert Pragmatismus und Karrieredenken; gesellschaftliches Engagement dient lediglich der Aufbesserung des Lebenslaufs. Leistungsnachweise sind relevanter als Persönlichkeit.

So kommt es, dass schließlich gesellschaftliche und politische Themen in seinem Denken immer weniger Platz finden. Grund dafür ist allerdings nicht nur, dass ihm das Studium keine Zeit und Kapazität mehr ließe. Es fehlt ihm gleichzeitig schlicht an Interesse und Bereitschaft, sich mit öffentlichen Themen intensiv und kritisch auseinanderzusetzen. Um der Intensität des Studiums und dem damit verbundenen Lern-, Zeit- und Erfolgsdruck etwas entgegenzusetzen, flüchtet er sich in seiner arbeitsfreien Zeit in Unterhaltung und Zerstreuung.

„Langeweile“, schreibt Saul Bellow, „ist eine Art Schmerz, der von ungenutzten Kräften, vergeudeten Möglichkeiten oder Talenten ausgeht.“ Zur Entfaltung seiner außerhalb des Studiums liegenden Möglichkeiten und Talente findet unser Student zwischen den Polen Studium und Unterhaltung, die die Dimension seines Lebens darstellen, keinen Raum. Das Resultat ist ein Gefühl der Langeweile und Leere, das er durch Ablenkung zu betäuben sucht. Politisches und gesellschaftliches Denken und Handeln finden darin keinen Platz.

Es bleibt ein Student, dessen Leben sich in einem Dreieck aus Effizienz, Konsum und Lethargie abspielt.

Selten war es wichtiger, Ausrichtungen, Ideale und Proteste zu reflektieren. Ob die Studenten von 1969 politisch durchdachter waren, mag zwar fragwürdig erscheinen, aber politisch aktiver – intellektuell wie in Hinblick auf ihr tatsächliches Engagement – waren sie allemal.

von Maximilian Oehl und Max Mayer
   

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