10.11.2009
Hörsaal besetzt
Bildungsstreik geht in die zweite Runde
Seit dem 3. November ist in der Neuen Universität der Hörsaal 14 besetzt. Neben einer Solidaritätserklärung mit den Besetzern in Österreich leitet diese Aktion gleichzeitig auch den Bildungsstreik im Herbst ein.
Seit dem 3. November ist der Hörsaal 14 der Neuen Universität in der Hand von Bildungsstreikaktivisten. Sie wollen damit ihre Solidarität mit den österreichischen Besetzern ausdrücken und auf die hochschulpolitischen
Probleme im eigenen Land aufmerksam machen.
Die Geschehnisse an den Hochschulen überschlagen sich derzeit. Ausgehend von der Wiener Akademie der Künste, deren Aula am 22. Oktober aus Protest gegen die drohende Bologna-Umstrukturierung der Studiengänge besetzt wurde, folgten andere Hochschulen. Erst zog die Uni Wien mit der Besetzung des Audimax nach, dann nahmen Studenten zahlreicher anderer Hochschulen sich dieses Vorgehen zum Vorbild. In der vergangenen Woche schwappte die Welle auch nach Deutschland über.
Heidelberg wurde davon als erste deutsche Hochschule erfasst. Auf einer studentischen Vollversammlung am 2. November sorgte eine Live-Schaltung ins besetzte Audimax nach Wien unter den Teilnehmern für „Aufbruchsstimmung“.So formulieren es jedenfalls die Bildungsstreikler.
Daraufhin machten sich einen Tag später rund 100 Studenten auf zur Neuen Universität und besetzten dort den Hörsaal 14. Sie wollten damit zum einen ihre Solidarität mit den österreichischen Besetzern demonstrieren und zum anderen knapp fünf Monate nach der Besetzung des Heidelberger Rektorats wieder auf die schlechten Zustände an deutschen Hochschulen hinweisen.
Wie vor fünf Monaten begannen die Besetzer in Arbeitsgruppen Ziele und Forderungen auszuarbeiten. Das Rektorat blieb im Gegensatz zur Besetzung im Juli bisher vergleichsweise passiv. Zwar hält die Universitätsleitung die Besetzung für illegitim, toleriert diese aber und will bislang nicht eingreifen. „Die Besetzer schauen danach, dass der Zugang zum Hörsaal für alle offen ist und dass die Veranstaltungen weitestgehend stattfinden können“, erklärt Uni-Pressesprecherin Marietta Fuhrmann-Koch. Ihr zufolge setze das Rektorat auf den konstruktiven Dialog mit den Studierenden* und sehe durch die AG Mitbestimmung und die Senatskommission gute Perspektiven dafür.
Auch andere Universitäten folgten dem Heidelberger Beispiel und besetzten ihrerseits Hörsäle. An insgesamt sieben deutschen Hochschulen kam es zu Besetzungen durch Bildungsstreikaktivisten. Darunter waren Marburg und Münster. Die Besetzungen dort wurden jedoch schon nach wenigen Tagen von der Polizei wieder aufgelöst.
In Heidelberg arbeiten die Aktivisten derweil weiter an ihrem Forderungskatalog, der inhaltlich dem des Bildungsstreiks im Sommer stark ähnelt. „Wir fordern freie Bildung für alle, Verbesserung der Lehr- und Lernbedingungen, die Demokratisierung des Bildungssystems mit einer verfassten Studierendenschaft und die Überarbeitung der Bachelor-/Masterstudiengänge“, erklärt einer von ihnen.
Freiräume sind ebenso ein wichtiger Bestandteil der Forderungen. In der Neuen Universität haben sie sich diese jetzt genommen. Der besetzte Hörsaal wird fast rund um die Uhr zur Arbeit und Diskussion genutzt. Vor dem Eingang haben die Bildungsstreikenden sogar eine Theke eingerichtet, wo gegen eine kleine Spende Essen und Getränke zur Verfügung gestellt werden. „Es ist jeder eingeladen ins Plenum zu kommen und mitzudiskutieren, oder sich einfach im Café informieren zu lassen“ erklärt ein anderer Besetzer.
Damit keine im Hörsaal 14 vorgesehene Veranstaltung ausfallen muss, wurden von den Streikenden Ausweichmöglichkeiten organisiert. Im Hörsaal selbst wurde ein alternatives Programm auf die Beine gestellt: Regelmäßig werden Workshops zu verschiedensten für den Bildungsstreik relevanten Themen und Vorträge angeboten.
FĂĽr die Bildungsstreikenden ist die Besetzung ein spontan entstandener Auftakt zur anstehenden Bildungsstreikwoche. Im Rahmen des Bundesweiten Bildungsstreiks geht es am 17. November mit der Auftaktdemonstration weiter. In Heidelberg soll diese von der Zentralmensa im Neuenheimer Feld Studie ĂĽber
den Bismarckplatz bis zum Universitätsplatz führen. Nach der Demo steht ab dem 30. November wieder eine Aktionswoche auf dem Programm. „Es wird wieder vielfältige Aktionen geben, oft kurzfristig und spontan“ erklärt Nico, ein Aktivist des Bildungsstreiks.
Auch bei der Kultusministerkonferenz am 10. Dezember in Bonn werde man Präsenz zeigen. Einige Bildungsstreikenden wollen vor Ort sein, um die Aufmerksamkeit der Minister auf sich zu ziehen. Dass der Bildungsstreik im Sommer Wirkung gezeigt hat, steht für Nico außer Zweifel: „Die Öffentlichkeit nimmt die Probleme und die Bildungsdebatte nun wahr. Es wird nicht mehr in Frage gestellt, dass die Umsetzung der Bachelor und Masterstudiengänge überarbeitet werden muss – sogar Bildungsministerin Schavan musste das öffentlich zugeben“, erklärt er. Auf der Kultusministerkonferenz wurde sogar vorgeschlagen, die Bachelor-Studiengänge auf acht Semester zu verlängern. Das Ziel sei, so Nico weiter, wieder so viele Leute wie im Sommer begeistern und politisieren zu können.
In der Neuen Universität geht die Besetzung zumindest vorerst weiter. „Solange wir von der Universitätsleitung geduldet werden, bleiben wir“, erklärt einer der Besetzer.
*In der Printausgabe schrieben wir "Besetzer", gemeint waren aber alle Studierende.
von Christoph Straub