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26.11.2009

Forschen am Ende der Welt

Die Zukunft der Menschen am Aralsee hängt am Grundwasser

Zur Erforschung des Grundwassers auf dem Gebiet des Aralsees verbringen Geowissenschaftler und Physiker zwei Wochen in der Salzwüste. In den einst blühenden Fischerdörfern am Seeufer sind die Lebensbedingungen heute katastrophal.

Zur Erforschung des Grundwassers auf dem Gebiet des Aralsees und der Amu-Darja-Region verbringen Geowissenschaftler und Physiker zwei Wochen in der Salzwüste. Ein Expeditionsbericht.Durch die verlassenen, schon zu Ruinen zerfallenen Gebäude, streunt ein Hund. Das letzte Grün verdorrt. Wasser aus dem maroden Leitungssystem gibt es selten, mal für wenige Stunden am Tag, manchmal gar nicht. Hier in Muynak, einem einst stolzen Fischerdorf am Aralsee, sind die Lebensbedingungen heute katastrophal.

Für die Einwohner ist es unmöglich geworden, Arbeit zu finden: Die Fischerei existiert nicht mehr, der Flughafen wurde geschlossen und versinkt zunehmend in Sand und Staub. Banken und andere Dienstleister haben ihre Filialen geschlossen, denn mit dem See verschwand der Tourismus, und die Landwirtschaft wurde mangels Wasser unmöglich. Hand in Hand mit der Arbeitslosigkeit breiten sich Armut und gefürchtete Krankheiten wie etwa Tuberkulose aus.

Muynak ist die erste Station auf unserer Expedition zum ehemaligen Aralsee. Zusammen mit Geowissenschaftlern und Physikern vom Geoforschungszentrum Potsdam wollen wir die Grundwasserverhältnisse im Aralseebecken und im Deltabereich des Amu-Darja-Flusses untersuchen, um Prognosen für die Entwicklung der Wasserversorgung in dieser Gegend auf eine wissenschaftliche Grundlage zu stellen und Leitlinien für zukünftiges Handeln zu entwickeln.

Die Brunnen pumpen fast ausnahmslos hochsalziges Wasser, das für die Landwirtschaft, zum Waschen und Trinken völlig unbrauchbar ist. Da die öffentliche Wasserversorgung marode ist, sind die Menschen auf das Wasser des Amu-Darja angewiesen. Dieses Wasser jedoch kommt in den vergangenen Jahren immer seltener im Delta an.

Bereits am ersten Tag bestaunen wir die Misere der Aralseeregion die sich exemplarisch an unserer Unterkunft widerspiegelt: Was zu Sowjetzeiten ein Mittelklassehotel mit Seeblick, Balkon und grünem Vorgarten war, bietet heute einen fast morbiden Anblick. Abgeplatzte Kacheln, schimmlige Wände im Treppenhaus und teilweise mit Brettern verschlagene Fenster. Auch in der Umgebung ist der wirtschaftliche Niedergang infolge des austrocknenden Aralsees unübersehbar. Im krassen Gegensatz zu den schwierigen Lebensverhältnissen stehen die Offenheit und die bedingungslose Gastfreundschaft der Usbeken.

Mit einem alten sowjetischen Transporter, einem Jeep und einem moderneren Offroader geht es am Tag darauf weiter in Richtung des ausgetrockneten Aralsees – auf einem Feldweg mit riesigen Schlaglöchern. Dementsprechend kommen wir nur im Schritttempo vorwärts. Ohne GPS würden wir Stellen, an denen wir Proben entnehmen wollen, kaum finden, denn die Landschaft ist so eintönig, dass es kaum Orientierungsmöglichkeiten gibt. Beinahe glaubt man, über einen fernen, sehr staubigen Planeten zu fahren.

Die logistischen Herausforderungen unserer Expedition sind groß. Tankstellen sind in Usbekistan dünn gesät, und unsere Fahrzeuge fahren nicht gerade spritsparend. Neben Treibstoffvorräten und Hunderten Wasserflaschen haben wir auf dem Basar von Nukus auch Lebensmittel eingekauft, darunter Kartoffeln, Nudeln und Fleisch. Bei Temperaturen um die 40 Grad Celsius und ohne Kühlung ist die Lebensmittellagerung, vor allem was das Fleisch angeht, kritisch.

In Mitteleuropa hätte wahrscheinlich jeder von uns eine Lebensmittelvergiftung bekommen, im Aralseecamp vertragen wir es trotzdem einigermaßen. Vielleicht liegt das an der desinfizierenden Wirkung des Wodkas, der mitunter eine Kompletträumung des Magens verursacht. Fast wie im Zigaretten-Werbefilm kochen wir über holzbefeuerten Bolleröfen und essen in großer Runde. Zur Übernachtung haben wir für die zwei Wochen einfache Zelte und Schlafsäcke dabei.

Der Aralseeboden gleicht einer Wüste, in der die Arbeit extrem anstrengend ist. Sobald die Sonne aufgeht, steigen die Temperaturen auf bis zu 45 Grad. Auf Abkühlung hofft man vergebens, denn im Sommer ist hier kaum mit Bewölkung zu rechnen, geschweige denn mit Regen. An manchen Tagen weht der Wind so stürmisch und heiß, dass man das Gefühl hat, vor einem Backofen auf Umluft zu stehen. Schon das Kistenschleppen wird unter diesen Bedingungen zur Herausforderung. Gegen Mittag sind auch unsere Wasserflaschen über 40 Grad warm, so das man von eiskaltem Bier zu träumen beginnt. Erst die Dämmerung bringt Erfrischung und entschädigt uns mit einem brillanten Sternenhimmel, an dem die Milchstraße in allen Details funkelnd hervorsticht.

Die folgenden zwei Wochen verlaufen eintönig. Bei der Fahrt von einer Messstelle zur nächsten ersticken wir regelmäßig fast im Staub. Im Gegenzug lassen die hohen Temperaturen im Wagen schnell Saunastimmung aufkommen. Die Polster sind beim Aussteigen jedenfalls immer klatschnass. Eine richtige Waschgelegenheit gibt es nicht, denn das mitgebrachte Trinkwasser ist viel zu kostbar und knapp. Für die Expeditionsteilnehmer ist es unvorstellbar, auch noch Wasser zum Waschen mitzunehmen. Interessanterweise nimmt man weder bei sich selbst noch bei Anderen unangenehme Gerüche wahr.

Überall auf dem mit Salzkrusten überzogenen Boden sieht man Muscheln, die bezeugen, dass wir über ehemaligen Seegrund fahren. An einer anderen Stelle finden wir einen verrosteten Anker. Noch vor 50 Jahren hätte unsere Route bis zu 30 Meter unter Wasser gestanden.

Am deutlichsten wird die ökologische und ökonomische Katastrophe, die mit dem Verschwinden des Sees einhergeht, am Schiffsfriedhof in Muynak: Dort rostet die ehemalige Fischereiflotte in den Sanddünen vor sich hin. Inzwischen lebt ein Großteil der Bevölkerung von der Viehzucht. Ohne Industrie und Tourismus gibt es auf den versalzenen Böden kaum Alternativen. Allerdings ist auch die Viehzucht zum Scheitern verurteilt. In der näheren Umgebung wächst außer einer Sorte salzresistenter Sträucher kein Gras mehr – zu wenig um die vielen Ziegen und Kühe zu ernähren.

Vom Flugzeug aus sieht man, wie bereits 250 Kilometer flussaufwärts von Muynak der Flusslauf so gut wie ausgetrocknet ist und sich die Felder rostbraun färben. Der riesige Deltabereich des Amu-Darja droht sich in eine Wüste zu verwandeln. Ähnlich wie der Aralsee ist auch er komplett von der Wüste umgeben und wird nur durch das Flusswasser zum Leben erweckt. Der Rückgang des Flusswassers bahnt eine Katastrophe an, die mehrere hunderttausend Menschen betreffen wird.

Darüber hinaus macht die politische Situation eine Änderung der politischen Missstände im Delta fast unmöglich: Der Amu-Darja durchfließt verschiedene Länder, die alle nach Gutdünken Wasser entnehmen. Was im Delta an Wasser fehlt, wird an anderer Stelle verschwendet, zum Beispiel für einen blumenbepflanzten Mittelstreifen auf der Autobahn nahe Samarkand.

Nicht nur die geteerten Straßen enden in Muynak, dem ehemaligen Fischerdorf am Aralsee, auch die Zukunft der gesamten Deltaregion ist hier in eine Sackgasse geraten. Muynak liegt mitten in Asien und doch irgendwie am Ende der Welt.

von Tobias Kluge
   

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