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 ProContra
09.11.2010

Eingreifen oder nicht

Soll die PrÀimplantationsdiagnostik verboten werden?

Anhand von zell- und molekulargenetischen Untersuchungen ist eine Diagnose von schweren erblichen Krankheiten vor der Einnistung des Embryos in die GebÀrmutter möglich. Nun scheiden sich die Geister: Soll man Krankheiten vermeiden oder ist dies bereits genetische Selektion?

Anhand von zell- und molekulargenetischen Untersuchungen ist eine Diagnose von schweren erblichen Krankheiten vor der Einnistung des Embryos in die GebÀrmutter möglich. Nun scheiden sich die Geister: Soll man Krankheiten vermeiden oder ist dies bereits genetische Selektion?

JA

Eberhard Schockenhoff

Professor fĂŒr Moraltheologie an der UniversitĂ€t Freiburg

Die Hoffnung auf ein gesundes Kind entspricht einem natĂŒrlichen Wunsch aller Eltern. Die moderne Fortpflanzungsmedizin kann diesen Wunsch heute in vielen FĂ€llen erfĂŒllen. Mit ihr werden jedoch nicht nur Risiken erkannt, sondern Unsicherheit und Besorgnisse induziert. Der moralisch achtenswerte Wunsch eines gesunden Kindes darf nĂ€mlich nicht mit dem Willen gleichgesetzt werden, es nur unter dieser Bedingung zu akzeptieren. Eine verantwortliche Elternschaft erfordert, jedes Kind, im Zweifel auch ein behindertes, anzunehmen und um seiner selbst willen zu achten. Dies impliziert, das Kind nicht als Objekt zu behandeln, dessen voraussichtliche Behinderung durch den rechtzeitigen Abbruch der Schwangerschaft grundsĂ€tzlich vermeidbar ist.

Das unĂŒberwindbare ethische Bedenken, das die VerbotswĂŒrdigkeit der PrĂ€implantationsdiagnostik (PID) begrĂŒndet, verweist auf die ihrem Verfahren immanente Instrumentalisierung menschlicher Embryonen. Nur in ihrer Gesamtzahl werden sie in der Absicht erzeugt, eine Schwangerschaft herbeizufĂŒhren; fĂŒr jeden einzelnen ist diese Absicht an die Bedingung geknĂŒpft, dass der genetische Test zuvor das gewĂŒnschte Ergebnis gezeigt hat.

Die aus drei Teilschritten bestehende Gesamthandlung (1. Erzeugung mehrerer Embryonen in vitro, 2. gendiagnostische Untersuchung, 3. Aussonderung der auffĂ€lligen und Weiterverwendung der unauffĂ€lligen Embryonen) dient zwar dem Endziel der Schwangerschaft. TatsĂ€chlich ist die Absicht, den zum Zwecke der HerbeifĂŒhrung einer Schwangerschaft erzeugten Embryo zuvor zu testen und gegebenenfalls auszusondern, aber das nĂ€chste Handlungsziel des Arztes, hat also Vorrang vor dem Erreichen des Endzweckes. Die conditio sine qua non, auf der das gesamte Verfahren der PID beruht, lautet: Auf keinen Fall ein behindertes Kind! Lieber wird das Verfahren zuvor abgebrochen und auf die HerbeifĂŒhrung einer Schwangerschaft verzichtet.

Um die Vereinbarkeit der PID mit dem Embryonenschutzgesetz nachzuweisen, unterstellt das Gericht, der Arzt sei zum Zeitpunkt der Befruchtung entschlossen, jeden einzelnen der von ihm erzeugten Embryonen der Frau zu ĂŒbertragen. Die erst im Test zutage tretende SchĂ€digung mancher Embryonen und die Weigerung der Frau, sie unter diesen Bedingungen implantieren zu lassen, sei aus der Perspektive des Arztes eine Art Unfall, der das ursprĂŒngliche Ziel objektiv unerreichbar macht. Dies ist jedoch eine psychologische Fiktion, die dem tatsĂ€chlichen HandlungsgefĂŒge der PID und ihrer immanenten VerfahrensrationalitĂ€t nicht entspricht. Die Absicht, mit jedem einzelnen Embryo eine Schwangerschaft einzuleiten, ist bereits zum Zeitpunkt seiner Erzeugung nur eine hypothetische, der Wille, einen geschĂ€digten Embryo wieder zu verwerfen, dagegen von Anfang an handlungsleitend.

Diese Absicht, den menschlichen Embryo nur sub conditione zu erzeugen und ihm nur dann eine Entwicklungschance zu gewÀhren, wenn er den Vorstellungen seiner Erzeuger entspricht, ist mit der Achtung unvereinbar, die wir jedem Menschen um seiner selbst willen schulden.

NEIN

Wolfgang Eckart

Direktor des Instituts fĂŒr Geschichten und Ethik der Medizin, Heidelberg

„Hauptsache gesund!“, lautet die wohl hĂ€ufigste Antwort von Eltern auf die Frage nach dem Wunschgeschlecht ihres ungeborenen Kindes. Hier steht die Freude auf das Kind ganz im Vordergrund und der Herzenswunsch nach Gesundheit des Neugeborenen, der keinem modischen All-Gesundheitstrend folgt, sondern einzig von elterlicher Sorge bestimmt ist.

Leider werden die Hoffnungen auf ein gesundes Kind nicht immer erfĂŒllt. Vor wenigen Jahrzehnten erwies sich ein solches Schicksal erst mit oder sogar lĂ€ngere Zeit nach der Geburt. Mit der Entwicklung einer zuverlĂ€ssigen PrĂ€implantationsdiagnostik (PID) sind nun im Rahmen einer kĂŒnstlichen Befruchtung in der Petrischale schon im frĂŒhsten Mehrzellenstadium des Embryos sichere Voraussagen ĂŒber ein angeborenes kindliches Leiden, ĂŒber den zu erwartenden Schweregrad dieses Leidens und der elterlichen Belastung möglich. Gestattete die PrĂ€nataldiagnostik frĂŒher bei Vorliegen eines schwerwiegenden Befundes die Entscheidung zur Abtreibung erst im spĂ€teren Embryonalstadium, so ermöglicht die PID nun bereits vor der Einnistung in der GebĂ€rmutter eine Entscheidung der Eltern, den Embryo reifen zu lassen oder nicht. Damit wird vielen Eltern die schwere Entscheidungslast der spĂ€teren Abtreibung eines dann schon weit entwickelten schwer kranken Embryos genommen.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am 3. August 2010 entschieden, dass die PID nicht gegen das Embryonenschutzgesetz verstĂ¶ĂŸt und damit eine rechtsethisch klare und gute Entscheidung getroffen. Eine Gesellschaft, die Abtreibung, ja sogar die SpĂ€tabtreibung als Schutz der werdenden Mutter zulĂ€sst, darf sich nicht gegen die PID wenden. Dies wĂ€re unlogisch und unmoralisch, denn, so der BGH, die PID „dient dem Schutz des ungeborenen Lebens und dem Schutz der Mutter vor schwerwiegenden Schwangerschaftskonflikten“. Es kann nur in der freien und selbst verantworteten Entscheidung der Eltern liegen, ob ein Embryo mit genetischen oder morphologischen Defekten, die zu seinem Tod oder zu schwerster LebensbeeintrĂ€chtigung des Kindes fĂŒhren wĂŒrden, ausgetragen werden soll. Dies ist nicht Ausdruck eines leichtfertigen „Selektionismus“, sondern eine schwerwiegende und psychisch stark belastende Gewissensentscheidung, die unsere hohe Achtung verdient.

UnberĂŒhrt davon ist selbstverstĂ€ndlich die Entscheidung der Eltern fĂŒr ein solch schwer erkranktes Kind. Mehr noch: Eine solche Entscheidung verdient unseren grĂ¶ĂŸten Respekt und jede UnterstĂŒtzung. Es gibt in unserer Gesellschaft ein uneingeschrĂ€nktes Recht auf Krankheit; allerdings gibt es in ihr keine unbegrenzte Pflicht zum Risiko, einen Embryo mit schwerster unheilbarer Krankheit auszutragen.

Was wir in der gegenwĂ€rtigen Situation brauchen, sind nicht ultramontane Moralpositionen oder bio-politische Kurzschlussgesetze. Der BGH hat auf höchstem rechtlichem Niveau, unter sorgfĂ€ltiger Einbeziehung ethischer AbwĂ€gungen, entschieden. DrĂ€ngend aber ist die Revision des maroden Embryonenschutzgesetzes und/oder an seiner Stelle die Schaffung eines notwendigen Fortpflanzungsmedizingesetzes. Rechtssicherheit fĂŒr Eltern und Ärzte tut Not, Rechts vor allem aber fĂŒr das Wohl des Kindes!

von Stefanie Fetz und Jenny Genzmer
   

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