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 Wissenschaft
25.12.2011

„Forschung vom Korsett befreien“

Literaturwissenschaftler kritisiert die Deutsche Forschungsgemeinschaft

Die Geschäftsstelle der Deutschen Forschungsgemeinschaft in Bonn. Hier unter anderem entscheidet sich, welche Forschung gefördert wird und welche nicht. / Foto: www.dfg.de

Für Roland Reuß ist die Deutsche Forschungsgemeinschaft ein rotes Tuch. Sie lehnte seinen Forschungsantrag ab. Aus "willkürlichen" Gründen, behauptet er und erhebt schwere Vorwürfe gegen den Verein, der jährlich 2,5 Milliarden Euro Forschungsgelder in Deutschland verteilt.

Um Forschung zu finanzieren, begaben sich Forscher einst in die Abhängigkeit reicher Mäzene. Zu Zeiten Leonardo da Vincis war „freie Forschung“ noch undenkbar. Heute stellt die Idee einer Forschungsfreiheit den zentralen Anspruch an die Forschung dar. Ãœber die Verteilung von öffentlichen Forschungsgeldern entscheidet in Deutschland keine staatliche Stelle, sondern die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG). Sie ist ein privatrechtlicher Verein und zählt mehr als 750 Beschäftigte. 

Mit einem Jahresetat von etwa 2,5 Milliarden Euro, wovon zwei Drittel vom Bund kommen, gilt die DFG weltweit als einer der größten Förderer von Forschungsprojekten. Ehrenamtliche Gutachter entscheiden im Rahmen eines mehrstufigen Verfahrens, welche Forschungsvorhaben gefördert werden. Diese Methode gilt als vorbildlich; umso erstaunlicher ist das Ausmaß der Vorwürfe, mit denen sie aktuell konfrontiert wird.

Angefangen hat alles am 19. Oktober, als der Heidelberger Literaturwissenschaftler Roland Reuß in einem Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zum Frontalangriff gegen die DFG ausholte. Dieser galt der angeblich willkürlichen Ablehnung eines Förderantrags und der nur ungenügenden Förderung eines Editionsprojektes von Reuß. 

Ein Vorwurf: Die Struktur der DFG-Verwaltung ermögliche Selbstbedienung an Forschungsgeldern. Reuß ist der Auffassung, ein hohes Amt innerhalb der DFG dürfe nicht an Wissenschaftler vergeben werden, die selbst weitere Forschungsinteressen verfolgen. Das könne in einen Interessenkonflikt münden. Als Beispiel führt Reuß den hauptamtlichen DFG-Präsidenten Matthias Kleiner an, der im Zuge seiner Amtstätigkeit auch die Finanzierung eigener Projekte bewilligen ließ. Die DFG will diesen Vorwurf nicht auf sich sitzen lassen. Die Behauptung sei haltlos und polemisch, konterte sie in einer Stellungnahme. „Persönlich lege ich Wert auf die Feststellung, dass ich vor Amtsantritt sämtliche DFG-geförderten Projekte abgegeben und seitdem eine neue Forschungsförderung weder erhalten noch beantragt habe“, fügte Kleiner hinzu. 

Reuß sieht das anders. Er stellte infrage, dass ein Gutachter den Antrag eines Vize-Präsidenten oder Präsidenten der DFG im Fall eines Nichtentsprechens der Kriterien den Antrag tatsächlich ablehnen würde. „Das halte ich nach allen Vorstellungen, die ich sozusagen von menschlicher Souveränität habe, für fast ausgeschlossen. Denn im Endeffekt weiß jeder höhere Amtsträger der DFG, wer der jeweilige Gutachter ist.“ „Gewöhnliche“ Antragsteller erführen im Gegensatz zu höheren Amtsträgern erst gar nicht, welcher Gutachter über sie entscheidet; auch wenn es sich dabei um einen Konkurrenten handeln könne. Eine solche Anonymität der Gutachter schüre die Gefahr des Ideendiebstahls und müsse abgeschafft werden. 

Wolfgang U. Eckart warnt vor einer solchen Maßnahme. Der Professor für Geschichte der Medizin an der Uni Heidelberg ist Kandidat für die Wahl der Mitglieder der Fachkollegien. Deren Aufgabe ist die Qualitätssicherung der Begutachtungen. „Wer die Identitätspreisgabe der Gutachter fordert, beschneidet Freiheit und Unabhängigkeit der Begutachtung“, sagt er. „Er strebt die Sanktionierung missliebiger Gutachter an, will zurück zum klassischen Begutachtungsfilz einer Hochschulpolitik der Mandarine oder hin zu neuen oder alten Forschungsseilschaften.“ 

Ein weiterer Vorwurf Reuß‘ zielt auf die Monopolstellung der DFG. Zwar gebe es auch andere Stiftungen wie die VW- oder Thyssenstiftung, diese hätten aber „eher einen Eventcharakter.“ Wollte man hingegen mittelfristige Projekte planen, sei die DFG die einzige Anlaufstelle. Doch sei sie zunehmend dazu übergegangen, Großforschungsbereiche zu fördern. Damit gebe sie im Prinzip den Rahmen der Forschung vor. „Das ist wissenschaftsfern, wenn nicht sogar wissenschaftsfeindlich“, entgegnet Reuß. „Wenn ich vorgebe, was beforscht werden soll, habe ich der Forschung eigentlich schon ein Korsett angelegt, sodass Nebentriebe in dem Raster überhaupt nicht mehr gefördert werden können.“ 

Reuß rät, für die Gelder künftig ein dialogisches Vergabeverfahren einzuführen. Der Antragsteller soll darin die Möglichkeit erhalten, auf den ersten Entwurf der Begutachtung zu reagieren.

von Eileen Passlack
   

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