17.06.2011
Deadlines fĂĽr Hausarbeiten - Nein
Sind feste Abgabetermine notwendig?
Deadlines sorgen bei Studenten regelmäßig für schlaflose Nächte. Während die einen Fristen als Eingriff in die persönliche Freiheit und das wissenschaftliche Arbeiten betrachten, sehen die anderen sie als notwendiges Element zur Organisation und Selbstdisziplin.
Feste Abgabetermine – Neudeutsch: Deadlines – sorgen bei Studenten aller Fachrichtungen regelmäßig für schlaflose Nächte. Kein Datum kommt so überraschend wie das Eintreffen des erfolgreich verdrängten Abgabetermins der Hausarbeit. Doch das Meinungsbild über den Nutzen fester Deadlines ist geteilt. Während die einen Fristen als Eingriff in die persönliche Freiheit und das wissenschaftliche Arbeiten betrachten, sehen die anderen sie als notwendiges Element zur Organisation und Selbstdisziplin.
NEIN
Martin Gessmann
Professor fĂĽr Philosophie
an der Universität Heidelberg
Es ist vollkommen unbestritten, dass es viele und gute Gründe für das Setzen einer Abgabefrist bei Hausarbeiten gibt. Eine Deadline hilft, sich zu organisieren, sie motiviert dazu, auch einmal fertig zu werden und erinnert mit ihrem drohenden Näherrücken generell daran, daß alle unsere Unternehmungen letztlich doch endlich sind und auch so behandelt werden müssen. Jeder hat Beispiele vor Augen, wie es ohne solche Fristen auch schon einmal schiefgehen kann. So kenne ich Kollegen, die sich nach 20 Jahren des Habilitierens bis heute nicht zur Redaktion eines Inhaltsverzeichnisses durchringen konnten.
Es spricht aber auch manches gegen solche Deadlines. Ganz zuerst möchte man ja einmal auch das Gefühl loswerden als Student, man sei noch in der Schule und schreibe immer noch Klassenarbeiten. Und eine Deadline hat etwas vom Pausenklingeln, wenn der Lehrer einem das Blatt noch beim Schreiben des letzten Wortes unter der Feder wegzog.
Dann kann man auch ganz nüchtern und sachlich einmal feststellen, dass eine Hausarbeit, die erst nach einer Frist fertig wurde, um gar nichts schlechter sein muss als eine fristgerecht versandte Kopie – meist im Gegenteil. Der Wert wissenschaftlicher Arbeiten liegt ja prinzipiell im Ergebnis, und wenn das gut oder sogar genial ist, ist es so gesehen nicht ganz so wichtig, in welcher Zeit es entstanden ist. Philosophie beispielsweise ist ja kein Wettschwimmen.
Auch zu bedenken ist: Es kann ja mal etwas schief gehen. Ein Gedanke hält nicht, was er verspricht, man bemerkt, dass es die Idee schon mal gab und so weiter und so fort. Was macht man dann? Am besten doch wohl noch mal schreiben, eine bessere Idee finden. Und wie sag’ ich’s dem Dozenten?
So kommt dann ein weiterer Aspekt ins Spiel: Wer unter Druck steht, trifft zuweilen falsche Entscheidungen. In der Not verlässt sich womöglich der eine oder die andere auf falsche Freunde. Ganz schlecht ist es in dem Zusammenhang, wenn diese Freunde Copy und Paste heißen.
Wem das alles zu akademisch und gesucht klingt, und ich dann noch einmal antworten muss auf die Frage: Und warum machst Du es doch so, dass Du keine Fristen setzt? Dem gegenüber müsste ich wohl mit der ganzen Wahrheit heraus und zugeben, dass es zuletzt und für mich gesprochen aus schierer Menschenfreundlichkeit geschieht. Es fällt mir einfach schwer, Menschen leiden zu sehen. Die Vorstellung jedenfalls, Schuld daran zu haben, dass Kommilitonen ganze Nächte vor dem PC verbringen, nur um die von mir willkürlich gesetzte Frist einzuhalten, wenn ich zur gleichen Zeit friedlich und zuhause nur halbe Nächte vor dem PC verbringe, um meine selbstgesetzten Fristen zu halten – diese Vorstellung ist mir unangenehm.
Und können Sie sich vorstellen, wie es ist, in der Sprechstunde zu sein, eine Kommilitonin oder ein Kommilitone Ihnen gegenüber sitzt, feuchte Hände, ein vorbereiterer Vortrag auf den Lippen, was alles dazwischenkam, den Blick schon halb in dem Abgrund, der sich auftut, wenn ich nach nun abgelaufener Frist die Annahme verweigere?
Und können Sie sich vorstellen, wie es ist, zu sagen, nachdem jener Kommilitone schon minutenlang seinen Vortrag begonnen hat und sich beim besten Willen nicht unterbrechen lässt, ihm also zuzurufen, durch seine Verzweiflungsrede hindurch: Es gibt bei mir keine Fristen?
von Annika Kasties und Claudia Pollok