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 Feuilleton
11.05.2011

Lügen der Hoffnung

Jurek Beckers "Jakob der Lügner" im Theaterkino

Teaserbild Dilemma im Theaterkino: Sind Jakobs Lügen gerechtfertigt, weil er damit Hoffnung im jüdischen Ghetto spendet? Oder hindern sie seine Leidensgenossen daran, aktiv zu werden und gegen ihre Unterdrückung zu kämpfen?

Dilemma im Theaterkino: Sind Jakobs Lügen gerechtfertigt, weil er damit Hoffnung im jüdischen Ghetto spendet? Oder hindern sie seine Leidensgenossen daran, aktiv zu werden und gegen ihre Unterdrückung zu kämpfen?

Die Nachricht, dass der jüdische Jakob Heym ein Radio besitzt, verbreitet sich wie ein Lauffeuer im polnischen Ghetto. Einige Bewohner hegen die Befürchtung, dass die SS davon erfahren und das ganze Ghetto durchforsten könnte; schließlich ist es verboten ein Radio zu haben.

Die meisten jedoch bedrängen nun Jakob immer wieder, Antworten auf Fragen wie „Welche Neuigkeiten gibt es an der Front und wie weit sind die Befreier noch vom Ghetto entfernt?“ zu geben.

Schade nur, dass Jakob gar kein Radio besitzt. Nachdem er zufällig die Nachricht der vorrückenden Roten Armee im Radio eines deutschen Polizeireviers aufgeschnappt hat, behauptet er, er habe ein Radio und erfindet immer wieder neue Nachrichten, um den Anderen nicht den letzten Funken Hoffnung zu nehmen, dass ihr Märtyrium vielleicht bald ein Ende hat.

Jurek Beckers gleichnamiger Roman, der 1969 erschien, bildet die Grundlage des Stücks. Becker wurde selbst in jungen Jahren in ein polnisches Ghetto deportiert und später ins Konzentrationslager gebracht. Martin Nimz, der bereits mehrere Stücke für das Theater in Heidelberg inszenierte, hat sich nun der berührenden Geschichte von Beckers Jakob angenommen.

Die Wahl Axel Sichrovskys als Jakob war dabei ein echter Volltreffer. Mit einem traurigen Glanz in den Augen eröffnete dieser das Stück und spielte überzeugend den zaudernden Hoffnungsträger. Er quält sich, ringt mit sich, ob er weiter lügen soll – ja sogar muss, um die Hoffnung auf eine Rettung hochzuhalten und weitere Suizide im Ghetto zu verhindern.

Vergleiche zu Roberto Benignis „Das Leben ist schön“ sind berechtigt. Vor allem im Umgang mit dem Waisenkind Lina, das Jakob ins Herz geschlossen hat und das bei ihm wohnt, sind Parallelen zu finden. Als Lina von dem Radio erfährt, will Jakob sie nicht ihrer Illusion berauben und bittet sie, sich nicht nach ihm und dem Radio umzudrehen, wenn er es spielt. Dann verkündet er mit einer Plastiktüte über dem Mund und den Kopf in einen Blecheimer gesteckt die neuesten Radionachrichten.

Grandios füllt hierbei Natalie Mukherjee die Rolle der Lina als naiv-kindlichen Wirbelwind aus. Großartig auch Paul Grill, der es als Freund Jakobs versteht trotz der ernsten Thematik den Zuschauern ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern.

Das Bühnenbild selbst wurde schön umgesetzt: es ist ein kalt gefliester Raum, in dem die Schauspieler, die gerade nicht auf der Bühne agieren mit ihren Koffern auf dem Schoß ausharren. Sinnbildlich für die Hoffnung auf einen Start ins neue Leben sitzen sie und warten auf die Zukunft.

Es zeigt aber auch gleichzeitig die Ambivalenz von Jakobs Lügengeflecht: er schenkt ihnen Hoffnung, macht sie aber auch zu passiven Figuren. Niemand leistet Widerstand, alle warten nur noch auf die „Erlöser“. Und ihre Erwartungen werden bitter enttäuscht: Jakob und die anderen Juden werden am Ende deportiert.

Leider wurde die Bühne hinter einen Rahmen gesetzt, der für einige Zuschauer auf den äußeren Plätzen eine Sichtbehinderung darstellt. Eine weitere Schwachstelle ist die Auswahl der Kostüme: die Männer durchweg in Anzügen, die Schauspielerinnen in luftigen Sommerkleidchen. Das will nicht so recht in die triste Umgebung und zur finsteren Lage der Figuren passen. Den Auftritt eines Polizeibeamten in der Uniform eines Gladiators kann man als schlichtweg daneben und lieblos bezeichnen.

Abgesehen von diesen kleinen Mängeln, ist Martin Nimz eine bewegende und aufwühlende Inszenierung gelungen, an der übrigens auch Beckers Witwe, die die Premierenvorstellung besuchte, großen Gefallen gefunden hat. 

von Philine Steeb
   

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