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21.12.2012

Ein Land im Aufbruch

Der vorsichtige burmesische Optimismus – Gespräche einer Reise

Die Reformen sind Früchte der Demonstrationsbewegungen, in denen Mönche eine wichtige Rolle spielten. / Foto: Michael Madry

Der Besuch Barack Obamas Ende November markiert einen Einschnitt in der Öffnung des Jahrzehnte lang höchst isolierten südostasiatischen Staates Birma. Während meiner Reise durch dieses faszinierende Land versuche ich eine Momentaufnahme der Stimmung einzufangen.

Meine Reise durch Birma beginnt am selben Tag, an dem auch US-Präsident Barack Obama einfliegt, am 19. November. Es ist nicht nur die erste Auslandsreise des Demokraten nach der Wiederwahl im November; überhaupt ist Obama der erste seines Amtes, der die ehemalige Kolonie Großbritanniens besucht. Eine halbe Stunde nach meinem Flugzeug landet auch die Maschine der Air Force One am internationalen Flughafen von Yangon, dem wirtschaftlichen und kulturellen Zentrum Birmas.

Die Straßen der sonst so chaotischen Stadt sind allesamt gesperrt, die Sicherheitskräfte strengen sich sichtbar an, dem geschichtsträchtigen Besuch gerecht zu werden. Ich sehe Mönche mit Transparenten in der Hand, die den hohen Besuch aus den Staaten begrüßen. Ein Mann schwenkt euphorisch den Star-Spangled Banner, gleich vor einem Sicherheitsbeamten.

Vor einem Jahr wäre dies noch unmöglich gewesen. Ein Plakat skandiert in der Mitte von Kinderscharen: „Amerikaner! Das einzige Land mit vollwertiger Demokratie und uneingeschränkten Menschenrechten! Helft uns mit Herz und Seele!“.

Reformbestrebungen nach Jahren der Isolation

Historisch war dieses Land vor kurzem noch isoliert wie kaum ein anderes. Eine Militärdiktatur handelte Jahrzehnte lang im Sinne einer kleinen Elite, nicht jedoch zum Wohle des Volkes. Aufstände wurden blutig niedergeschlagen, etwa 1988 und 2007. Nach gravierenden Manipulationsvorwürfen zur Parlamentswahl vor zwei Jahren folgten im April dieses Jahres schließlich Neuwahlen.

Erfolgreich bewarb sich auch die Friedensnobelpreisträgerin und jetzige Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi um ein Mandat im Parlament, nachdem sie mehrere Jahre unter Arrest gestanden hatte. Thein Stein, jetziger Präsident der formal zivilen Regierung und früherer Kopf der Militärjunta, verblüffte kurz vor Obamas Besuch mit der Freilassung von zahlreichen politischen Gefangenen und setzte damit ein deutliches Zeichen der Reformbestrebung. Internationale wirtschaftliche Sanktionen wurden infolgedessen gelockert.

Ich verschaffe mir Eintritt durch den Presseeingang, um Obamas Rede an der University of Yangon zu hören. In dem repräsentativen Saal der Universität finde ich die Würdenträger des Landes vor; erstaunlich viele Studenten sind anwesend. Die Frauen tragen ihre bunt verzierten Roben, die Männer den traditionellen Longyi, ein rockähnliches Tuch, welches um die Hüfte geschlungen wird.

Die Rede des Präsidenten ist emotional. Mit diplomatischem Feingefühl berührt er Themen wie die immer noch kritische Menschenrechtslage des Landes. Die zahlreichen Versprecher und das von diesem charismatischen Redner eigentlich unbekannte Stocken sind für mich jedoch sinnbildlich für das seichte Terrain, auf welches sich der Präsident mit jeder Aussage begibt. Es bleibt eine sehr generelle Rede ohne politisches Konfliktpotential.

Im Anschluss spreche ich mit einer jungen Birmanesin. Sie ist Absolventin der Universität und Mitorganisatorin. Was sie von der Euphorie halte, frage ich sie. Obamas Entschluss nach Birma zu kommen sei ein starkes ökonomisches Zeichen. Die Euphorie auf der Straße teile sie jedoch nicht. Sie bleibt meinem Empfinden nach sehr sachlich. Bereits seit einem Jahr habe sie beobachtet, dass die Öffnung zugleich einen Wandel in der Mentalität der Bevölkerung mit sich bringe.

Geld und der eigene Vorteil, Individualismus, würden traditionelle Werte der Familie verdrängen, in einem Land, das hauptsächlich von der Landwirtschaft lebt und in dem Zusammenhalt ja doch so wichtig sei. Sie habe zudem Angst, dass Birma auf der einen Seite zum strategischen Spielball seiner mächtigen Nachbarn China und Indien verunglimpft werde und auf der anderen Seite die Chance auf höhere Löhne Zwietracht zwischen den ohnehin rivalisierenden ethnischen Minderheiten schüren würde.

Einige Tage später treffe ich mich mit Aung, einem jungen Medizinstudenten aus Mandalay, der zweitgrößten Stadt Birmas im geographischen Zentrum des Landes. Er ist einer von einem guten Dutzend Couchsurfern des Landes. Die Unterbringung von Ausländern ist ihm per Gesetz nicht gestattet. Er holt mich mit seinem eigenen Auto ab und fährt mit mir in sein Stammlokal, wo wir ausgiebig zu Mittag essen und Tee trinken.

Aung hat die Welt bereist, war in Europa und den Vereinigten Staaten von Amerika. Er versucht, mir ein weltoffenes und modernes Birma zu eröffnen. Er verhält sich wie ein Westler, trägt ein Polohemd mit dem bekannten Krokodil an der Brust, fügt mich auf seinem Telefon bei Facebook hinzu und spricht akzentfreies Englisch mit eindeutig kalifornischer Prägung. Ich frage mich kurzzeitig, ob ich wirklich in einem der ärmsten Länder Asiens bin. Wir sind in der Öffentlichkeit. Ich begehe den Fehler, Aung auf Suu Kyi anzusprechen. Gekonnt manövriert er meinen Fauxpas in Richtung Obamas Rede.

Ich frage ihn, was eine potentielle weitere Öffnung seines Landes für ihn persönlich bedeuten würde. Auswandern sei eine Option, denn als Arzt verdiene man einen Hungerlohn in Birma und die Visumsbeschaffung könne jetzt weitaus einfacher ausfallen. Das Prozedere sei selbst für ein Touristenvisum äußerst hürdenreich und zäh. Das könne sich jetzt aussichtsreicher gestalten.

Ich merke, dass er versucht, westlich zu klingen in seinen Ansichten. Dabei verhaspelt er sich ungewollt auf eine sympathische Art und Weise. Er würde sich freuen, wenn jetzt Menschen von außerhalb nach Birma kämen, auch Hochqualifizierte, damit dieses Land weiter an Perspektive gewinnt. Er betont mit leuchtenden Augen den Austausch von Kulturen, welcher ihn in seiner persönlichen Entwicklung und besonders in seiner Jugend sehr bestärkt habe.

Yangon und Mandalay gehören zu den Gebieten, die ich als Tourist bereisen darf. Viele Bereiche sind für Touristen gesperrt. Die Regierung gestaltet den Bewegungsradius so, dass Konfliktherde – besonders im Norden des Landes, wo derzeit buddhistische und muslimische Minderheiten gewaltsam aufeinandertreffen – weiträumig gemieden werden. Dennoch besuche ich auf meiner Reise auch eher ländliche und zum Teil sehr arme Gegenden und spreche mit der dortigen Bevölkerung über ihre Ansichten zur Situation Birmas.

Optimismus trotz vieler sozialer Missstände

Im Shan-Staat, an der Grenze zu Thailand, unterhalte ich mich mit Ba. Ba arbeitet als unabhängiger Touristenführer in den Bergen des Shan-Staates und zeigt ihnen die weitläufigen Täler und Wälder um den Inle See. Ich bin drei Tage mit ihm unterwegs. Erst am zweiten Tag, an einem entlegenen Ort auf einem Berg, wo wir sichergehen können, dass keiner zuhört, beschreibt er mir seine Situation. Er sei Christ, müsse sich jedoch als Buddhist ausgeben, da er sonst schwerer an einen Job kommen würde. Der Buddhismus ist nämlich die Religion der Bamar, der vorherrschenden und wirtschaftlich dominierenden Ethnie, die etwa zwei Drittel der Bevölkerung Birmas stellt. Die Regierung würde Ba im Alltagsleben schikanieren.

Erfolg sei zu stark von sozialer Herkunft geprägt. Günstlinge des Militärs etwa gelangten viel einfacher an attraktive Positionen, während es dem normalen Bürger unmöglich gemacht werde, sich etwa politisch einzubringen – besonders, wenn man nicht die Linie der Regierung vertrete. Ba erzählt mir von einem Kollegen, der nach Australien auswandern will. Er sei 43 Jahre alt, habe noch nie eine Freundin gehabt und verurteile die Menschenrechtslage in Birma streng, weil er anders sei, eben keine Freundin haben wolle. Ba behält dennoch seinen Humor und einen Hang zur Ironie, bei allem was er sagt. Er scheint mir optimistisch, genauso wie die Menschen in Yangon und Mandalay.

Und nicht nur er ist optimistisch: Ich treffe vielerorts auf fröhliche Taxifahrer, die mir auf entlegenen Straßen offen und mit voller Inbrust ihre Meinung zur Regierung kundtun, oftmals – wenn auch nicht immer – „The Lady“, Aung San Suu Kyi anpreisen. Ich begegne Frauen und Männern, die einen Plausch mit mir halten möchten und mich plötzlich auf beide Wangen küssen. Ich erlebe dieses stolze und traditionsreiche Land als ein Land im Aufbruch, auch wenn sich dieser Aufbruch vorsichtig gestaltet.

von Michael Madry aus Yangon (Birma)
   

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