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 Wissenschaft
24.07.2012

„Wir müssen interdisziplinär arbeiten“

Die Heidelberger Tanzwissenschaftlerin Hanna Walsdorf ĂĽber Tanz und Ritual

Hat ein ausgefallenes Forschungsgebiet: Hanna Walsdorf. / Foto: privat

Hanna Walsdorf forscht seit 2009 in Heidelberg zum Thema Ritualisierung im Barocktanz und unterrichtet am Musikwissenschaftlichen Seminar. Im ruprecht-Interview spricht sie ĂĽber ihr Forschungsgebiet, Tanz in der deutschen Vergangenheit und tanzende Jesuiten.

Das Gespräch führte Tim Sommer

ruprecht: Frau Walsdorf, Sie haben in Salzburg, Bonn und Bern studiert. Wie sind Sie dabei zur Tanzwissenschaft gekommen? Das ist ja doch ein eher ausgefallenes Forschungsgebiet.

Hanna Walsdorf: Es ist ein sehr kleines Fach, das stimmt. Ich bin auch eher zufällig da hinein geraten. Ich wollte ursprĂĽnglich nur Musikwissenschaft studieren, hatte in Salzburg dann aber eine Pflichtvorlesung ĂĽber Tanzgeschichte und die hat mich gewissermaĂźen angefixt. Dann habe ich begonnen, mich nach und nach auf Tanzwissenschaft zu spezialisieren.

 

Tanzwissenschaft hört sich so exotisch an, dass man noch nicht einmal mit einem Klischee darüber aufwarten könnte. Was genau macht man als Tanzwissenschaftlerin?

Dass es noch keine Klischees über das Fach gibt, liegt sicher daran, dass es noch sehr jung ist. In Deutschland besteht die Tanzwissenschaft aus sehr wenigen Kolleginnen - die meisten davon arbeiten historisch, über die europäische Tanzgeschichte. Der zweite große Zweig der Disziplin ist die Ethnochoreologie, eine Unterdisziplin der Musikethnologie, die sich vor allem mit Volkstänzen beschäftigt, und zwar oftmals nicht mit denen der eigenen Kultur, sondern mit möglichst exotischen Tanzformen.
Generell sind wir Tanzforscher immer darauf angewiesen, interdisziplinär zu arbeiten: Es gibt Berührungspunkte mit Musikwissenschaft, Kunstgeschichte und Theaterwissenschaft – je nach Fragestellung auch mit Soziologie oder empirischer Verhaltensforschung.

 

Sie haben über „politische Instrumentalisierung von Volkstanz in den deutschen Diktaturen“ promoviert. Zu welchen Ergebnissen sind Sie dabei gekommen?

Ich habe die beiden Systeme, Nationalsozialismus und DDR, verglichen und festgestellt, dass beide den Volkstanz instrumentalisiert haben. Die Ideologeme waren natürlich gegensätzlich, aber es ging in beiden Fällen um die Stiftung einer ideologiekonformen Identität. Es wurde sehr genau festgelegt, was ein „deutscher“ beziehungsweise ein „demokratischer“ Volkstanz ist, welche Tänze verboten sind, welche erlaubt sind, und warum.

 

Einer Ihrer Artikel trägt den Titel „Masse Macht Tanz“. Wie hingen diese drei Begriffe beispielsweise bei den Nationalsozialisten zusammen?

Im Dritten Reich wurde, der Ideologie entsprechend, der Gruppentanz als Massentanz bevorzugt und auch als Blendwerk eingesetzt – zum Beispiel bei Festspielen oder Volkstanzwettbewerben, die es regelmäßig gab. Massentänze wurden sehr gerne genutzt, um die Masse als einheitlich und geordnet darzustellen und die Macht des Systems zu demonstrieren.

 

Wenn Volkstanz das Modell war, wie ist es den anderen Tanzformen ergangen?

Den Ausdruckstanz hat die nationalsozialistische Kulturpolitik quasi ausgelöscht. Das Ballett blieb interessanterweise noch erlaubt, allerdings hatte man da das Problem, dass es ursprünglich aus Frankreich kommt. Bei den Repertoirestücken hat man sehr genau ausgewählt, was irgendwie noch einen Bezug zu Deutschland haben könnte. Man hat regelrechte Theorieakrobatik betrieben, um die Pflege des „deutschen Balletts“ im NS-Staat zu rechtfertigen.

 

Fred Astaire hat einmal gesagt, Tanz sei Esperanto mit dem ganzen Körper. Ist Tanz denn nicht eigentlich eine völkerverbindende Sprache, die alle sprechen?

Das geht in dieselbe Richtung wie die Behauptung, Musik sei eine Weltsprache, was auch völliger Quatsch ist. Tanz ist genau so wenig wie Musik ein universelles Mittel der Verständigung. Das ist eine schöne Idee, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass es Universalien in der Kultur nicht (oder kaum) gibt.
Wir verstehen indischen Tempeltanz nicht, wenn wir uns nicht ausführlich damit beschäftigt haben, und indische Tempeltänzer verstehen das Ballett nicht. Diese Systeme sind in ihrem Bewegungsfundus derart ausdifferenziert und kodifiziert, dass man sehr viel Studium investieren muss, um sie verstehen zu können.

 

Momentan sind Sie Mitarbeiterin im Heidelberger Sonderforschungsbereich „Ritualdynamik“ – ein Schwerpunkt Ihrer Forschungen ist dabei Louis-le-Grand, eine Pariser Jesuitenschule. Welche Ritualfunktion hatte Tanz dort?

Tanz heißt dort Ballett in einem Ritual. Das Ballett im Schultheater war Teil einer Preisverleihung, einem akademischen Ritual, in dessen Rahmen jedes Jahr ein Ballett mit wechselnden Inhalten aufgeführt wurde. Obwohl es dem Ballet de cour formal sehr ähnlich war, lässt sich das Ballet de collège selbst nicht mehr als Ritual deuten. Der Rahmen hatte sich so radikal geändert, dass nicht mehr der Tanz, sondern die schulische Feier, in deren Rahmen er stattfand als rituell beschrieben werden kann. Wir haben es hier also mit einem Ritualtransfer zu tun.

 

Tanz verbindet man ja doch eher mit Weltlichkeit und Profanität. War das für tanzende Jesuiten nicht problematisch?

Das war auch immer ein groĂźer Kritikpunkt der konkurrierenden Orden, die es natĂĽrlich gar nicht gut fanden, dass die Jesuiten mit ihren BallettauffĂĽhrungen so viel Erfolg hatten. 
Allerdings haben die Jesuitenpatres nicht selbst getanzt, das war in der Ordensregel nicht vorgesehen. Es wurden Choreographen und Musiker von der Pariser Oper geholt, die dann mit den SchĂĽlern jedes Jahr ein Ballett eingeĂĽbt haben. Tanz wurde also outgesourct.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Walsdorf.

   

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