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21.05.2012

Sind die Piraten eine ernstzunehmende Partei? NEIN

Michael Hermann (Professor für Soziologie und Politikwissenschaft)

Foto: privat

Aus fünf mach' sechs: Zu den bisherigen Parteien gesellen sich die Piraten als neue Kraft. „Klarmachen zum Ändern“ lautet ihre Devise. Doch was will die neue Kraft überhaupt ändern? Hannes Munzinger und Patrick Wehowsky haben zwei Experten um Auskunft gebeten.

Die Piraten entern die Parlamente. Die deutsche Öffentlichkeit verfolgt mit einer Mischung aus Bewunderung, Verwunderung, Zustimmung und Ablehnung, wie die Protagonisten der Partei in den Fernsehtalkshows ihre Weltsicht und mitunter fehlende politische Positionen zur Schau stellen. Die Etablierten sind irritiert ob des steilen Aufstiegs der Piraten, und mancher Politikwissenschaftler ist ratlos, was hier gerade vor sich geht. Werden die Piraten das deutsche Parteiensystem dauerhaft bereichern? Werden sie den Durchmarsch in mächtige Positionen schaffen? Stehen sie für eine ganz neue Art von Politik?

Die Piraten haben ihren Aufstieg dem Wähler zu verdanken. Aus wahlsoziologischer Perspektive versucht man, diesem etwa mit Hilfe von Rational-Choice-Ansätzen auf die Spur zu kommen. Man geht dabei von einem Wähler aus, der strikt einem Kosten-Nutzen-Kalkül folgt: Er beurteilt die Parteien anhand des Nutzens, die sie für die Durchsetzung seiner Interessen bringen könnten, berücksichtigt die anfallenden Kosten und trifft nach dieser Abwägung seine Entscheidung.

Zur Idee des rational handelnden Wählers gehört auch die Vorstellung von sogenannten Erpressungsparteien. Das sind Parteien, die oft unerwartet großen Erfolg haben, weil Sympathisanten anderer Parteien aus Unzufriedenheit einen Newcomer wählen. Die Wähler der Erpressungsparteien sind also nicht wirklich deren Anhänger. Vielmehr entscheiden sie sich aus einem rationalen Kalkül heraus, der Erpressungspartei ihre Stimme zu „leihen“. Damit zwingen sie die anderen Parteien, Standpunkte und Programmaussagen zu überdenken und sich im Parteienspektrum anders zu platzieren. Sobald diese Parteien reagiert haben, ist die Funktion der Erpressungspartei erledigt. Sie verschwinden wieder, weil sich deren Wähler wieder ihren eigentlichen Favoriten zuwenden. Die Piraten könnten eine solche Erpressungspartei sein. Das ist freilich nichts, was im Bewusstsein der Parteiaktiven vorhanden wäre. Diese Funktion vollzieht sich im Heimlichen.

Die Zeit wird zeigen, ob diese These trägt. Die etablierten Parteien werden reagieren und sich im Hinblick auf zentrale politische Positionen der Piraten bewegen. Verlassen die Piraten dann nicht die Parlamente, ist das Phänomen anders zu begreifen: Die Parteienlandschaft tendiert aus systemtheoretischen Gründen zur Überschaubarkeit. Wenn eine neue Partei einen festen Platz im Parteienspektrum findet, dann ist es ihr gelungen, eine dauerhafte Koalition zwischen einer Thematik oder einem Milieu auf der einen Seite und der Partei auf der anderen Seite herzustellen. Solche langanhaltenden Koalitionen entstehen an den Konfliktlinien oder auch Brüchen einer modernen Gesellschaft, die in der Wahlsoziologie „cleavages“ genannt werden. Klassische Konflikte sind die zwischen Besitzenden und Armen, Staat und Kirche, Zentrum und Provinz.

Die Existenz der Grünen und deren Erfolgsgeschichte lassen sich mit dem Entstehen eines solchen cleavage erklären. Ob die Themen und Positionen, die die Piraten derzeit besetzen, ausreichend sind, um von einem neuen cleavage sprechen zu können, ist recht fraglich. Ist das nicht der Fall, wären die Tage der Piraten gezählt. Sie müssten nicht einmal mit Gewalt von der Brücke vertrieben werden. Sie würden die geenterten Parlamente von alleine verlassen.

   

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