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 Feuilleton
03.02.2013

Der NimmermĂĽde

Klaus Staeck wird 75. Ein Besuch

Klaus Staeck in seinem Atelier. / Foto: Anna Vollmer

Im Interview mit dem ruprecht entstanden: Eines der bekanntesten Plakate Klaus Staecks aus dem Jahr 1997. / Plakat: Klaus Staeck

Seit fünfzig Jahren prägt Klaus Staeck mit seinen politischen Plakaten die deutsche Kunstszene. Noch immer kämpft der lebensfrohe Wüterich mit den gleichen Gegnern – und für dieselben Ideale. Am 28. Februar wird der bekannteste Heidelberger Künstler 75 Jahre alt.

Beim Rückblick auf ihr Lebenswerk sind die wenigsten Jubilare betrübt über die Einsicht, den Status eines Klassikers erreicht zu haben. Zu ihnen gehört Klaus Staeck. „Meine Plakate sind leider zeitlos geworden“, beklagt der 74-Jährige – und beginnt sofort zu poltern: Über die Formel 1 und den ADAC, die „Abstumpfung dieser Gesellschaft“ und ihre „Ablenkungsindustrie“, wider religiösen Wahnsinn, Daniela Katzenberger und Menschen, die noch immer ihr Butterbrot in Alufolie verpacken. Man muss ihm nur die Stichworte geben, dann wütet er wie ein junger Revolutionär.

 

Die großen und die kleinen „Gangster“, wie er sie nennt, treiben Staeck um, seit er in den 1960er Jahren mit der Kunst angefangen hat. Mehr als 300 Plakate und Postkarten sind seitdem entstanden, für die Zahl seiner Ausstellungen muss man noch eine Null anhängen. Das Goethe-Institut zeigt seine Werke derzeit an 60 Orten in der halben Welt. Staeck ist nicht nur Grafiker und Publizist, sondern auch Verleger und, seit 2006, Präsident der Akademie der Künste in Berlin. Das geographische Zentrum seines vielfältigen Schaffens bleibt indes Heidelberg. Hier, in seinem Atelier in der In-grimstraße, empfängt er auch die jungen Reporter, die sich nach seiner Dreiviertel-Jahrhundert-Biographie erkundigen wollen, spricht über das „Schreckgespenst Lebensabend“ und wehrt sich gegen das Wort vom Ruhestand: „Mein Ziel war nie, auf dem Sofa zu sitzen, die Beine baumeln zu lassen und den Dackel zu streicheln.“

 

„Du fährst zu oft nach Heidelberg“

 

Klaus Staeck ist Jahrgang 1938. Geboren im sächsischen Pulsnitz, aufgewachsen in der Industriestadt Bitterfeld, kommt er 18-jährig aus der DDR nach Heidelberg. Zunächst schlägt er eine Juristen-Laufbahn ein, studiert neben Heidelberg in Hamburg und Berlin. 1962 legt er sein erstes Staatsexamen ab und erhält 1969 die Zulassung als Rechtsanwalt. Zu diesem Zeitpunkt hat er sich jedoch längst in der Kunstszene einen Namen gemacht. Mit der Gründung der „Edition Tangente“ 1965, inzwischen „Edition Staeck“, verlegt er fortan seine Werke selbst, dazu auch die von über 70 anderen Künstlern, unter ihnen Namen wie Beuys und Böll. Mit beiden war er über die Kunst hinaus freundschaftlich verbunden. Erinnerungen an Joseph Beuys zieren das Atelier, wo man hinsieht; vom Literaturnobelpreisträger wurde ihm die Erzählung „Du fährst zu oft nach Heidelberg“ gewidmet, eine literarische Auseinandersetzung mit der Bundesrepublik der 1970er Jahre.

 

Die ist es auch, welche Staecks Schaffen von Beginn an thematisch prägt. Seine Kunst ist durch und durch politisch. In den Konflikten der jungen Bundesrepublik ist die Position des Künstlers stets klar: kapitalismuskritisch, pazifistisch, gesellschaftlich liberal – und damit vor allem eines nicht: im Sinne der CDU. Im Bundestagswahlkampf 1972 unterstützt Staeck, selbst Sozialdemokrat, die SPD mit einer groß angelegten Plakataktion. Mit Postern wie „Deutsche Arbeiter! Die SPD will euch eure Villen im Tessin wegnehmen“ und „Die Reichen müssen noch reicher werden – wählt christdemokratisch“ wird er einer breiten Öffentlichkeit bekannt.

 

Zum Eklat kommt es 1976, als wütende CDU-Abgeordnete – unter ihnen Philipp Jenninger, der als Bundestagspräsident auch später noch von sich reden machen wird – in einer Ausstellung der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft in Bonn einige Plakate von den Wänden reißen. Die Ausstellung wird geschlossen, Jenninger zu 10 D-Mark Schadensersatz verurteilt, und Staeck durch diesen Vorfall, der heute als „Bonner Bildersturm“ bekannt ist, noch populärer.

 

Sein Kampf gegen die Springerpresse, Waffenlobbyisten und Umweltverschmutzer wird ihn noch oft vor den Richter führen. Von über 40 Prozessen gegen ihn – oder, wie er selbst sagt, „gegen meine Plakate“ – hat er „so gut wie alle gewonnen“.

 

Staecks Plakate bilden die Geschichte der jungen Bundesrepublik ab. Dabei ist er nicht nur deren satirischer Chronist, sondern auch aufmerksamer Zeitzeuge – etwa der 68er-Bewegung, zu deren Zentren, heute kaum vorstellbar, auch Heidelberg gehörte. Dass, bei aller Sympathie für die Studentenproteste, in dieser Zeit auch „viel Heuchelei“ verbreitet wurde, steht für ihn außer Frage: „Die Heidelberger Bevölkerung wollte sonstwo hin, aber niemals zu Mao Tse-tung.“

 

„Ich leide unter Ungerechtigkeit“

 

Im Rückblick spiegelt das Staecksche Werk Kontinuität und Wandel der deutschen Geschichte gut wider: Ist das Land auf der einen Seite zweifellos offener und toleranter geworden (so manche Eklats von damals wären heute allenfalls eine Randnotiz), fehlt andererseits für die großen Probleme noch immer ein ehrliches Bewusstsein. Früher als andere hat Klaus Staeck etwa auf die Notwendigkeit des Umweltschutzes aufmerksam gemacht, seine ersten Plakate zum Thema zeigt er Anfang der Siebziger. „Und dennoch arbeiten nach wie vor mehr Menschen an der Zerstörung unseres Planeten als an seinem Erhalt“, stellt er fest, und man weiß nicht, ob er sich dabei wundert.

 

Eigentlich glaubt er ja an die Aufklärung. Die Menschen zum Nachdenken zu bringen, sie an ihre Verantwortlichkeit zu erinnern für die Gesellschaft. Kunst ist für ihn die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Sein Mittel ist die Satire. Für Staeck ist sie nicht gleichbedeutend mit der Blödelei, als die sie manche Leichtmatrosen von heute betreiben, sondern verfolgt tatsächlich den Anspruch, auf gesellschaftliche Veränderungen hinzuwirken. Nach fünf Jahrzehnten Kunst ist Staeck sich durchaus im Klaren, wie gering ihr Einfluss auf die Menschen wirklich ist. „Was man selbst tun kann, ist erbärmlich wenig. Mein Verstand sagt mir: das ist längst gelaufen, nichts mehr zu machen“, bekennt der verzweifelte Aufklärer – und wird dennoch nicht müde, weiterzumachen. „Ich leide unter Ungerechtigkeit“, erklärt er seinen Antrieb. Optimist ist er nicht: Er sei ganz froh, nicht mehr die Zukunft erleben zu müssen, die uns bevorsteht.

 

Was ihn derzeit umtreibt, ist die digitale Revolution, oder, in Staecks Worten: „die Verlagerung des analogen Lebens ins Digitale“. Wer den Künstler in seinem Atelier besucht, dem fällt auf: Staeck ist noch ziemlich analog. Und froh darüber: In feinster kulturpessimistischer Manier beklagt er das Sterben des Analogbuchhandels, die Oberflächlichkeit der sozialen Netzwerke, das sich verflüchtigende ‚Real Life’ im digitalen. Wie die Heidelberger Hauptstraße seit dem Boom des Internethandels aussieht, beunruhigt ihn. Es ist das ehrliche Empfinden über den Verlust des realen Lebens, gegen den Staeck ankämpft.

 

Er tut das mit den bewährten Mitteln. Auf diese Weise sind wohl die meisten von Staecks Plakaten entstanden: Der Ärger über eine gesellschaftliche Entwicklung führt bei ihm noch immer nicht zur Resignation, sondern zum Gang an den Schreibtisch. Im Augenblick arbeitet er daran, seine Gedanken zur digitalen Welt künstlerisch umzusetzen. Ihn interessiert die „Krakentätigkeit“ von Google und Amazon – auch „Gangsterbetriebe“, natürlich. Pakete des Versandriesen nimmt er deshalb gar nicht erst an. „Meine Nachbarn sollen in die Buchhandlung um die Ecke gehen.“

 

Ein Computer-Verweigerer ist er deshalb trotzdem nicht. Zwar liegt ihm der Stift noch immer besser in der Hand als die Maus; die bedient Bruder Rolf, während er selbst Photoshop nur vom Zuschauen kennt. Die Möglichkeiten des Programms nutzt der Plakate-Bastler auf diese Weise dennoch mit Begeisterung. Und so entsteht, wozu früher Kopierer, Schere und Leimtopf nötig waren, heute am Bildschirm. Dass seine Kunst dadurch für jedermann mit wenig Aufwand zu betreiben sei, findet er nicht. Auf die Idee komme es schließlich an.

 

„Ein Volk, das solche Boxer, Fußballer, Tennisspieler und Rennfahrer hat, kann auf seine Universitäten ruhig verzichten“

 

Als Staeck ĂĽber die Entstehung seiner Arbeiten spricht, erklärt, wie  ihm seine Ideen kommen, fällt ihm plötzlich ein: Waren es nicht Reporter dieser Zeitung gewesen, die ihm vor einigen Jahren in einem Interview den Satz entlockt hatten: „Ein Volk, das solche Boxer, FuĂźballer, Tennisspieler und Rennfahrer hat, kann auf seine Universitäten ruhig verzichten“? Von ihm beiläufig ausgesprochen, gefiel der Spruch den ruprecht-Redakteuren so gut, dass sie ihn baten, ihnen den Satz zu „schenken“. Als sie ihn anschlieĂźend fĂĽr Banner auf Demos verwenden, beschlieĂźt auch Staeck, die Idee nochmals aufzugreifen und gestaltet ein Plakat – heute eines seiner berĂĽhmtesten.

 

Seit 2006 hat Staeck noch einen weiteren Job inne: den des Präsidenten der Akademie der Künste. Die 300 Jahre alte Künstlergesellschaft war zu diesem Zeitpunkt in eine Legitimationskrise geraten, der Präsident Adolf Muschg zurückgetreten. Unter seinem Nachfolger ist inzwischen Ruhe eingekehrt, die Akademie geht wieder ihren eigentlichen Aufgaben nach. Staeck ist im letzten Jahr zum zweiten Mal wiedergewählt worden und pendelt weiter zwischen Heidelberg und Berlin – natürlich umweltfreundlich mit der Bahn.

 

Die Umtriebigkeit eines Mannes wie Staeck misst sich bekanntlich nicht daran, wie viele Veranstaltungen er jeden Tag besucht, sondern an der Zahl derer, die er absagt. Zwei bis drei seien das täglich, sagt er. Und klingt nicht so, als habe er vor, das zu ändern.

 

Auch in Zukunft werden deshalb wohl noch bis spät in die Nacht die Atelierfenster leuchten. Klaus Staeck wird nicht auf dem Sofa, sondern inmitten seines Papierhaufens sitzen und Stift oder Tastatur anstelle des Dackels streicheln.

 

Seinen Geburtstag wird er mit einem kleinen Umtrunk in der Akademie begehen. Große Geburtstagsfeiern gibt es dort nicht. Die hat er selbst abgeschafft – ständig wird irgendwer 75, 80. Oder 100.

von Kai Gräf und Anna Vollmer
   

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