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16.07.2013

Tränengas auf dem Taksim-Platz

Seit Wochen toben in Istanbul Proteste gegen Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan. Die Heidelberger Studentin Yasemin Altintop berichtet von der Lage in Istanbul

Demonstranten in Istanbul. / Fotos: Frederik Schwarz.

Das Gespräch führte Madalina Draghici.

Warum kam es zu den Protesten in Istanbul?

Ich glaube, das war am 28. Mai gewesen, und zwar ging es um den Abriss vom Gezi-Park, als dann einige Demonstranten den Park belagert haben. Um halb fünf Uhr nachts kam die Polizei und hat Tränengas in den Park geschossen, sodass die Demonstranten gehen mussten. Die Polizei hat deren Campingplätze abgebrannt. Und damit hat es eigentlich angefangen. Es war eine friedliche Demonstration, die mit Polizeigewalt aufgelöst wurde - das hat Empörung ausgelöst. Ich glaube, deswegen haben sich auch so viele den Protesten angeschlossen. Diese Proteste kollidierten auch mit den Alkoholgesetzen und dem sogenannten Kussverbot für die U-Bahnen in Ankara. Alles hat innerhalb von ein paar Wochen stattgefunden. Die Pläne für den Gezi-Park haben das glaube ich zum Eskalieren gebracht, es wurde immer totalitärer in der Türkei. Man hatte das Gefühl, man wird gar nicht mehr gefragt.

Was ist das Problem mit dem Gezi-Park?

Der Gezi-Park ist am Taksim-Platz, auf den auch die Istiklalstraße führt, die Haupteinkaufsstraße auf der europäischen Seite Istanbuls. In diesen Park soll ein Einkaufscenter gebaut werden. Und auf der europäischen Seite gibt es nur ganz wenige Parks - das haben die Bürger dann nicht befürwortet. Es geht auch darum, dass Erdogan in Istanbul wahnsinnig viel umbaut, und Istanbul gestaltet, wie er es sich wünscht, die Bürger aber nicht einbezogen werden.

Hast Du dich an den Protesten beteiligt?

Ja, ich war am Anfang täglich dabei. Am allerersten Tag habe ich teilgenommen, weil ich es spannend fand und eine Demonstration in diesem Ausmaß noch nicht erlebt habe. Und dann habe ich gemerkt, dass das keine Angelegenheit ist, die nach einem Tag vorbei ist. 

Später habe ich auch teilgenommen, weil mich das Vorgehen der Polizei aufgeregt hat. 

Und ich war auch dadurch, dass ich genau in dieser Gegend untergekommen bin, beteiligt. Die ganze Straße, in der ich wohne, hat nach Tränengas gerochen, die Augen haben gebrannt, man hatte die ganze Zeit Kopfschmerzen.

  

 

 

 

Was ist Deine Motivation, an den Protesten teilzunehmen?

Ich interessiere mich für meine Umwelt, ich habe hier ein Jahr gewohnt und ich bin ein Teil dieser Umwelt geworden. Deswegen fühle ich mich so, als würde auch ich ungerecht behandelt werden. 

Und ich finde, man kann da nicht so einfach sagen: „ich bin hier nur für ein Jahr, und das geht mich nichts an“, denn das ändert ja nichts an der Ungerechtigkeit.

Beteiligen sich viele Studenten?

Ich hatte das Gefühl, dass viele Studenten auf den Demonstrationen waren, aber es waren wirklich alle Altersklassen vertreten. 

An der Istanbul Universität hatten die Studenten gebeten, die Klausuren zu verschieben, weil sie an den Demonstrationen teilnehmen. 

Sind die Proteste auch unter Erasmusstudenten ein Thema?

Viele Erasmusstudenten sind schon vor den Protesten abgeflogen, weil die Uni schon vorbei ist und viele dann heimgehen. Ich habe hier türkische Freunde, ich habe Erasmusfreunde, ich habe Erasmusfreunde, die türkischen Hintergrund haben, und alle haben teilgenommen. Du kommst aus einem anderen Land, in dem du bei einer Demonstration keine Angst haben musst, und mit der Einstellung gehst du auch auf die Demonstration, und dann bist du da und merkst, dass du hier keine Menschenrechte mehr hast.

Hast Du Dir wegen der Proteste überlegt, früher nach Hause zu fahren?

Das habe ich mir nur einmal ganz kurz überlegt, aber dann hätte ich mir wahrscheinlich eine Unterkunft in einem anderen Stadtteil gesucht.

Beeinflussen die Proteste das tägliche Leben in Istanbul?

Im Augenblick ist es in Ordnung, eine Zeit lang hat es das tägliche Leben schon beeinträchtig. Tagelang wird Tränengas geschossen, der Taksim-Platz ist gesperrt, die Geschäfte machen dicht, die U-Bahn wird gesperrt. Das sind Dinge die den Alltag auch so beeinflussen, dass man sich fragt: „Gehe ich heute da lang nach Hause, oder soll ich einen anderen Weg benutzen?“ Aber das hat jetzt nachgelassen.

Verfolgst du die deutsche Berichterstattung?

Ja, ich habe sie täglich verfolgt. In den internationalen Medien kam das Thema erst zwei, drei Tage später und wurde recht gut dargestellt. Das Problem ist eher, wie darüber in der Türkei berichtet wird. Hier hat entweder überhaupt keine Berichterstattung stattgefunden, oder sie war nicht objektiv. Es ist total spannend, denn Ägypten ist im Moment auf allen Titelseiten, es gibt eine sehr gute Berichterstattung, und bei den eigenen Protesten wird das nicht gemacht. Ich finde die deutsche Berichterstattung gut, aber ich glaube das Ausmaß kann man sich gar nicht so gut vorstellen.

In der deutschen Berichterstattung wird vom „Türkischen Frühling“ gesprochen. Passt dieser Begriff?

Schon ein paar Tage, nachdem die Proteste angefangen haben, wurde dieser Begriff benutzt. Ich finde, dass man noch ein bisschen abwarten müsste, aber wenn man nach Gemeinsamkeiten suchen würde, dann könnte man sicher welche finden. Die Demonstranten haben ähnliche Forderungen, mehr Demokratie, mehr Bürgerbeteiligung.

Wie siehst Du die Türkei heute, nachdem Du ein Jahr dort warst und die Proteste miterlebt hast?

Ich habe das Gefühl, dass die Türkei gespalten ist. Die Demos haben gezeigt, dass viele Menschen unzufrieden sind, vor allem mit der AKP.

   

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